SZ Gute Werke:Wenn die Seele nicht mehr mitmacht

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Wegen einer Dissoziativen Bewegungsstörung sitzt Veronika L. im Rollstuhl.
Wegen einer Dissoziativen Bewegungsstörung sitzt Veronika L. im Rollstuhl. (Foto: Johannes Simon)

Veronika L. hat sich viele Jahre lang falsch in ihrem Körper gefühlt. Inzwischen hat sie sich als trans geoutet, doch ihre gestresste Psyche hat sie in den Rollstuhl gebracht.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Ein bisschen verloren sieht sie aus, wie sie da sitzt, in ihrem Rollstuhl. Veronika L. tut sich nicht leicht mit anderen Menschen. Nicht alle akzeptieren sie so, wie sie eben ist. Bei manchen sei es sogar noch schlimmer, sie werde angefeindet wegen ihrer transgeschlechtlichen Identität, erzählt sie.

Veronika L. ist nicht ihr richtiger Name, der soll nicht in der Zeitung stehen, sagt sie. Nicht der, den sie jetzt trägt und gemeinsam mit ihrer Familie ausgesucht hat, als sie sich endlich als trans outete, und noch viel weniger jener, den sie davor trug. Und so hart ist der Weg für sie gewesen. So hart, dass sie ihren größten Wunsch mit schwerer Krankheit bezahlt hat.

Veronika L. ist in einem Dorf aufgewachsen – sich dort zu outen, war für sie undenkbar

Seit einiger Zeit sitzt sie nun sogar im Rollstuhl, aber es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass sie den auch wieder verlassen kann, wenn die Therapien anschlagen, oder wenn sich ihre Psyche erholt.

Schon mit sechs Jahren habe sie gewusst, dass die Hülle, in die sie hineingeboren war, nicht zu ihr passte, erzählt die 35-Jährige. „Ich war kein Junge und ich wollte keiner sein.“ Aber was tun mit diesem Wissen in einem kleinen Dorf irgendwo auf dem Land? In einem Ort, in dem jeder jeden kennt und das Denken so traditionell ist, dass an ein Outing nicht zu denken war, auch lang nach der Kindheit nicht, als aus der Ahnung ein sicheres Wissen geworden war. „Die Menschen wären nicht dafür bereit gewesen.“

2011 ging sie nach München, in die Großstadt, fand eine Stelle als Fachkraft in der Lagerlogistik, nebenher arbeitete sie ehrenamtlich beim Roten Kreuz im Sanitätsdienst, machte eine Fachsanitäterausbildung. „Eigentlich hätte ich einen Zweitjob gebraucht, um mich zu finanzieren, aber die ehrenamtliche Arbeit war mir wichtiger.“ Ihren letzten Job habe sie bei einer Zeitarbeitsfirma gehabt, den sie aber wegen ihrer Transidentität verloren habe. Dass sie immer wieder mit ihrer Psyche zu kämpfen hatte, brachte sie schließlich in den Rollstuhl, arbeiten kann sie fürs Erste nicht mehr.

Einige der gesundheitlichen Probleme, unter denen Veronika L. leidet, begleiten sie schon lang: Schon als Kind wurde bei ihr ADHS und Legasthenie diagnostiziert, es kamen ein Borderline-Syndrom und Depressionen dazu, die durch das Gefühl, als Kind, als Jugendliche immer im falschen Körper zu stecken, nicht besser wurden. Schon mit zwölf habe sie einen Selbstmordversuch mit einem Stromschlag unternommen. 2012 habe sie erstmals wegen ihrer Depressionen mit einer Therapeutin sprechen können, „die dachte aber, dass ich ein Transvestit bin“, also ein Mann, der sich einfach gerne frauentypisch kleidet und zurechtmacht. Erst mal habe sie ihr klarmachen müssen, wie sie wirklich sei. Mit mittelschweren Depressionen sei sie irgendwann im Krankenhaus gelandet, „gedanklich war ich oft genug im Suizid“. Ängste, paranoider Realitätsverlust kamen dazu, „ich konnte Realität und Fantasie nicht mehr unterscheiden“.

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Als sie sich endlich getraut hat, sich zu outen, sei für sie „im positiven Sinne eine Welt zusammengebrochen.“ Erst spät schaffte sie es, ihren Eltern davon zu erzählen, dass sie sich selbst als Frau sah, und bekam zu hören, dass die das längst gewusst hätten. „Im ersten Moment habe ich meine Eltern gehasst, das hätten sie mir auch früher sagen können.“

Und nun kann Veronika L. nicht mehr laufen. Dissoziative Bewegungsstörung heißt das neurologische Krankheitsbild, das auf emotionale Belastungen zurückgeführt werden kann, so wie Veronika L. sie kennt. Sie könne das spüren, erklärt sie, „das Gehirn schließt sich ab, weil ihm die Umwelt zu viel wird“.

Manchmal wirkt sich die neurologische Störung auch auf die Sprache der 35-Jährigen aus

Doch sie wolle die Hoffnung nicht aufgeben, irgendwann wieder ein normales Leben führen zu können, Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen zu können. Derzeit leitet sie eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Transgenderidentitäten, „Verantwortung stärkt mich, ich mache mich auf den Weg, den ich gehen kann“.

Im Moment lebt Veronika L. von Arbeitsunfähigkeitsrente, ist seit Sommer 2023 in einer sozialen Einrichtung im Landkreis Ebersberg untergebracht. Die Betreuung und die feste Tagesstruktur dort tue ihr gut, sagt sie, zur Physiotherapie muss sie allerdings aus dem Haus – sie brauche eine Sprossenwand, wenn sie überhaupt ein paar Schritte laufen will, sonst verliert sie das Gleichgewicht. Weil sich die neurologische Störung immer wieder auch auf das Sprachzentrum auswirke, es zu Sprachblockaden komme, sei sie auf ihren Laptop und eine App angewiesen. „Da spricht dann eine Stimme für mich.“ Doch der Akku ist kaputt. Einen neuen Akku aber kann sich Veronika L. nicht leisten.

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