Süddeutsche Zeitung

SZ-Advetnskalender:Eine Handvoll Leben

Jana kam als Frühchen auf die Welt, ihre Mutter ist zuckerkrank und der Vater schwer depressiv

Karin Kampwerth

- Berufswunsch: "Superheld", das hat Martina K. für ihre Tochter Jana in das Freundebuch der kleinen Schwester geschrieben. "Jana hat es nicht so mit dem Lesen und Schreiben", sagt die 38-Jährige. "Sie ist eben anders intelligent." So kennt sich Jana ganz genau aus mit den Superkräften von Hulk, Ironman oder Spiderman - alles muskelbepackte Charaktere aus der Welt eines US-amerikanischen Comic-Konzern, die wahlweise die Welt retten oder vernichten wollen. Jana selbst, nächsten Monat wird sie 14, ist ganz anders als die aufgerüsteten Figuren, deren Konterfeis sie in Sammelalben einklebt. Zart und zierlich, fast zerbrechlich wirkt Jana, nicht größer als 1,45 Meter, bestimmt nicht schwerer als 40 Kilogramm. Eine Heldin ist sie dennoch.

"Sie war nur eine Handvoll Leben", erinnert sich Martina K. an den Tag, als Jana 1998 in der 25. Schwangerschaftswoche auf die Welt kam. Eigentlich hätte sie noch über drei Monate im Bauch ihrer Mutter gedeihen müssen. "Doch sie ist auf einmal nicht weitergewachsen", erzählt Martina K. und zeigt ein Foto von Jana: 435 Gramm, gerade einmal so viel wie zwei Tüten Gummibärchen brachte das Neugeborene auf die Waage. Die Ärmchen und Beinchen sind streichholzdünn, der winzige Leib ist aufgebläht - irgendwie erinnert das Baby auf dem Bild an den Körper eines Käfers. "Dass sie überleben wird, daran habe nur ich geglaubt", sagt Martina K. und lächelt ihre Tochter an. "Und du natürlich. Du bist eine Kämpferin."

Fast ein Jahr sollte es dauern, bis Jana es endlich auf viereinhalb Kilo gebracht hat - das normale Geburtsgewicht eines properen Säuglings. Erst dann durfte sie nach Hause. Ein halbes Jahr lang musste sie aber noch beatmet und mit Sauerstoff versorgt werden. Und immer wieder ins Krankenhaus, denn der Kampf ums Überleben hatte die Kleine geschwächt. Ihre Entwicklung kam nicht nur körperlich, sondern auch geistig nicht voran. Jana besuchte deshalb den Montessori-Kindergarten im Betreuungszentrum in Steinhöring und geht inzwischen dort in die achte Klasse der Korbinianschule. Im Anschluss, so hofft die Mutter, kann Jana in den Werkstätten in Steinhöring eine Ausbildung machen.

Im Mittelpunkt des Familienlebens steht die 14-Jährige allerdings noch lange nicht. Jana hat noch vier Geschwister: drei Brüder mit 18, 16 und zwölf Jahren, und die Besitzerin des Freundebuches, die neunjährige Schwester Melanie. Mutter Martina hat zudem mit zahlreichen Schicksalsschlägen zu kämpfen. Die 38-Jährige ist zuckerkrank. Während einer Reha im vergangenen März machten ihr die Therapeuten Mut, ihren Mann zu verlassen. Er hatte sie neun Jahre lang mit einem früheren Au-pair-Mädchen betrogen, mit der er sogar ein gemeinsames Kind hat. Stark belastet war die Ehe aber auch, weil Walter K. schwer depressiv und deshalb seit Jahren arbeitsunfähig ist.

Vor zwei Monaten hat Martina K. endlich ein neues Heim für sich und die Kinder gefunden - mit einem netten Vermieter, der Verständnis für die Situation der alleinerziehenden Mutter hat. Der Nachteil ist nur, dass das Haus mitten auf dem Land liegt. Freunde können Janas Schwester und die beiden Brüder nur besuchen, wenn Martina K. sie fährt. Wenigstens der Älteste hat selber schon ein Auto. Dafür ist Jana jetzt schneller in ihrer Schule in Steinhöring, wo sie bis nachmittags untergebracht ist. Darüber ist ihre Mutter sehr froh. "Das ist eine große Entlastung", sagt sie.

Noch fehlt es der Familie für ihren Neuanfang aber an vielem, worüber Martina K. in ihrer Bescheidenheit eigentlich kein Wort verlieren würde. Dabei stapeln sich die Umzugskisten, weil es keine Schränke gibt. Und Martina K. würde sich gerne ein kleines Zimmer einrichten, um dort medizinische Massagen anzubieten und irgendwann einmal als Heilpraktikerin zu arbeiten. Die Ausbildung hat sie schon halb fertig, wegen der Kinder dann aber abgebrochen. "Ich hab noch viele Pläne", sagt sie und liefert auf die Frage, woher sie all die Kraft nimmt, eine ganz bodenständige Antwort: " Der Herrgott wird schon gewusst haben, warum er für all das mich ausgesucht hat."

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SZ vom 04.12.2012
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