SZ-Adventskalender:Zu viert in einem Zimmer

So können Sie spenden

"Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V."

Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg

IBAN: DE51 7025 0150 0950 0039 39

BIC: BYLADEM1KMS

www.sz-adventskalender.de

www.facebook.com/szadventskalender

Erst lebten Senyo und Elinam A. in einer Wohnung mit Ungeziefer, jetzt haben sie gar keine mehr. Seit diesem Frühjahr wohnen sie mit ihren zwei kleinen Kindern in einer Unterkunft für Obdachlose im Landkreis Ebersberg

Von Johanna Feckl

Er ist einfach zusammengeklappt. Zack, dann lag er auf dem Boden. Aufgewacht ist Senyo A., der im echten Leben anders heißt, in einem Krankenhaus. Ein anderer Bewohner muss ihn wohl gefunden haben, wie er bewusstlos im Badezimmer lag, und dann den Notarzt verständigt haben. An mehr kann sich der 41-Jährige nicht erinnern. Damals, 2010, lebte er in einer Obdachlosenunterkunft in München - genau wie heute, nur dass es jetzt eine im Landkreis Ebersberg ist. Zusammen mit seiner Frau Elinam, die in Wahrheit auch anders heißt, und den beiden Kindern, bald ein und vier Jahre alt.

Senyo A. floh vor 20 Jahren aus Westafrika nach Deutschland. In seiner Heimat herrschte eine Militärdiktatur, die Menschenrechtslage war katastrophal, und ist es zu großen Teilen immer noch. Zehn Jahre lebte er in Baden-Württemberg und arbeitete als Küchenhilfe. Er verliebte sich in eine Frau, sie wurden ein Paar. Eigentlich ging alles seinen Gang, A. war zufrieden. Bis 2008. Die Beziehung ging in die Brüche. A. verlor seinen Job. Mehr hatte es im Leben des 41-Jährigen nicht gegeben, er hatte nichts mehr - außer Depressionen.

Wenn A. von dieser Zeit erzählt, reibt er sich oft mit beiden Händen über das Gesicht, blickt auf die Tischkante vor sich. Als ob er um jeden Preis verhindern möchte, dass jemand den Schmerz in seinen Augen liest, den die Erinnerungen auslösen. Ohne Erfolg. Es braucht keine hochsensible Ader um zu merken, wie schwer diese Phase für ihn gewesen sein muss.

Der 41-Jährige wollte Abstand und kam nach München. Er zog bei einem Bekannten ein und fand eine neue Arbeit, wieder als Küchenhilfe. Eine eigene Wohnung konnte er sich von dem Gehalt nicht leisten. Zwei Jahre ging das gut so, bis sein Bekannter Nachwuchs erwartete. Die Wohnung wurde zu klein, A. musste ausziehen. So landete er zum ersten Mal in einer Obdachlosenunterkunft. Dort, wo er wenig später unter der Dusche zusammenbrach.

Ob er sich erklären kann, wie es dazu kam? "Ich habe nicht richtig verstanden, was los ist", sagt A. Aber, nun ja, es sei wohl alles zu viel gewesen. In der Obdachlosenunterkunft habe er sich ein Zimmer mit drei Männern geteilt, die Alkohol und andere Rauschmittel täglich konsumierten. "Mit solchen Sachen hatte ich nie etwas zu tun!" Der Blick des 41-Jährigen ist noch ein Stück ernster geworden, als er es ohnehin schon war. Es sei schwierig gewesen, auf so engem Raum mit gleich drei suchtkranken Menschen zu leben. Hinzukam die aussichtslose Perspektive, dass sich daran bald etwas ändern könnte - für eine eigene Wohnung reichte A.s Geld einfach nicht aus.

Nach seinem Krankenhausaufenthalt war A. psychiatrisch untergebracht. Er bekam einen Betreuer, bis 2015. Es gab viel Hin und Her, von der Psychiatrie zurück in die Obdachlosenunterkunft, dann nochmal Psychiatrie und wieder zurück, hier mal eine befristete Arbeit als Küchenhilfe, dann mal dort. Es scheint, als ob der 41-Jährige selbst nicht mehr genau wüsste, wann zu dieser Zeit was genau geschehen ist.

2014 dann kam Elinam A. aus dem Geburtsland des 41-Jährigen nach München zu ihm. Die beiden kannten sich aus der Heimat und zogen bald in den Kreis Ebersberg. Per Zufall hatten sie dort eine Wohnung gefunden. Zwei Jahre später wurde ihr erstes Kind in Deutschland geboren. Elinam A. lernte Deutsch und kümmerte sich um das Baby, während sich Senyo A. von einem befristeten Job zum nächsten schlug und gegen seinen Vermieter kämpfte. Es gab Schädlinge in der Wohnung, Mäuse, manchmal auch Ratten. Sie liefen mitten durch das Wohnzimmer.

Elinam A. verlässt die Küche der Obdachlosenunterkunft, in der die A.s nun leben, auf dem Arm das zweite Kind, das zu Beginn dieses Jahres auf die Welt kam. Wenig später kommt die 42-Jährige zurück und zeigt Fotos von damals. Zu sehen sind Mausefallen, darin gefangen die kleinen Nagetiere. Senyo A. wollte vor Gericht erreichen, dass der Vermieter etwas gegen das Ungeziefer unternimmt. Er verlor den Prozess, das bestätigt der Zentrale Sozialdienst vom Landratsamt. Nach dem Gerichtsverfahren wurde den A.s die Wohnung gekündigt. Etwas Neues haben sie nicht gefunden, seit diesem Frühling leben sie nun in der Obdachlosenunterkunft.

Zu viert schlafen sie dort in einem Zimmer. Es gibt noch ein zweites für einen weiteren Wohnungslosen. Die Küche wird als Gemeinschaftsraum genutzt, ein schmaler Tisch steht an der Wand, davor drei alte Plastikstühle. Das ist alles. So leben die A.s mit ihren zwei Kindern. Platz zum Spielen gibt es kaum.

Der Traum von Senyo A. ist es, eine Arbeit zu finden, in der er etwas mehr verdient. Denn von dem Gehalt, das er als Küchenhilfe bekommt, kann er keine Familie ernähren. Im Moment hat er keine Arbeit. Mit einem besseren Job, so hofft der 41-Jährige, stünden vielleicht auch die Chancen auf eigene vier Wände besser. Damit die Wohnungslosigkeit, die für ihn 2010 mit einem Zusammenbruch begann - damit dieses Elend ein Ende findet und seine Kinder in einem richtigen Zuhause aufwachsen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: