SZ-Adventskalender:Junge Eltern auf Herbergssuche

SZ-Adventskalender: Ein schwarzes Brett mit günstigen Mietangeboten, das wäre es, was Rafi S. jetzt bräuchte.

Ein schwarzes Brett mit günstigen Mietangeboten, das wäre es, was Rafi S. jetzt bräuchte.

(Foto: Catherina Hess)

Seit zwölf Jahren lebt und arbeitet Rafi S. in Deutschland. Jetzt muss er mit seiner hochschwangeren Frau und einem Kleinkind die Wohnung räumen.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

In Kabul gibt es keine Arbeit. In Kabul gibt es keine Zukunft. Und in Kabul gibt es jetzt auch keine Freiheit mehr. "Ich habe gedacht, ich lasse meine Probleme hinter mir", sagt Rafi S. (alle Namen geändert), der mit Kabul auch seine Heimat hinter sich gelassen hat, "und jetzt habe ich hier wieder neue." Und sein größtes Problem ist der Vermieter der Wohnung, in dem der Afghane seit fünf Jahren wohnt. Lang sei alles gut gegangen, erzählt er, er habe seine Miete bezahlt, die Nebenkosten extra, 100 Euro, so wie es in seinem Vertrag gestanden habe. Dann sei Ende des vergangenen Jahres die Aufforderung gekommen, Nebenkosten nachzuzahlen, über 3000 Euro bis Ende Februar. "Warum?", fragt der junge Mann, der ganz offenbar Mühe hat, seine Verzweiflung im Zaum zu halten.

Eine bezahlbare Wohnung hat die junge Familie bislang nicht finden können

Die Sache jedenfalls ging vor Gericht, der Anwalt, den Rafi S. zu Hilfe geholt hatte, nützte ihm nichts. Das Verfahren endete mit einem Vergleich. Das ist vom Ebersberger Jugendamt zu erfahren, das sich vor wenigen Tagen in den Fall eingeschaltet hat. Die Familie sollte, so die Entscheidung des Gerichts, die Wohnung bis Ende Juni herausgeben. Rafi S. verzichtete auf Räumungsschutz, wohl in der Annahme, dass sich schon eine neue Bleibe finden werde. Doch es fand sich keine, die wenigen Angebote, die ihm ein Makler vorlegte, waren zu teuer, andere hat er nicht bekommen, "vielleicht, weil ich Ausländer bin?" Er bekam noch etwas Zeit, "inzwischen habe ich 20 000 Euro Schulden, alles für die Wohnung." Ende des Jahres aber ist endgültig Schluss. Rafi S., seine Frau Ava und die kleine Tochter, 18 Monate alt, müssen ausziehen. Ende des Jahres soll aber auch Rafi S. zweites Kind zur Welt kommen, genau am 31. Dezember. Nun hat der Vermieter den 9. Dezember als Auszugstermin festgesetzt.

Vor zwölf Jahren ist der heute 35-jährige Rafi S. aus Afghanistan geflohen, hat hier einen Asylantrag gestellt, der längst bewilligt ist. "Ich habe immer gearbeitet und Steuern gezahlt", erzählt er. Derzeit räumt er Regale ein in einem Münchner Supermarkt, um die 1400 Euro Miete bezahlen zu können und um seine Mutter in der Heimat zu unterstützen. Der Vater sei gestorben, seine Mutter zu alt, um noch eine Arbeit zu finden, berichtet er. Unter dem Diktat der Taliban dürfte sie das wohl auch nicht. Ohne männliche Begleitung konnte sich auch seine junge Frau kaum mehr bewegen in Kabul - etwa um zu ihrem Deutschkurs zu kommen, Voraussetzung, um nach Deutschland zu dürfen. Irgendwie hat sie es dennoch geschafft, genug zu lernen, um im Rahmen des Familiennachzugs im Mai dieses Jahres zu ihrem Mann zu dürfen. Vor zwei Jahren hatten sie geheiratet, und zwei Jahre habe es auch gedauert, bis er Ava herholen konnte, "das war schwer", sagt Rafi S., auf dem Teppich in seiner Wohnung sitzend. Immer wieder zieht er die kleine Tochter an sich, die um ihn und seine Frau herumtollt.

Viele Möbel haben sie nicht - und bald vielleicht ohnehin keinen Platz mehr dafür

Platz hat sie noch genug, weil fast keine Möbel im Wohnzimmer stehen. Ein Sofa, sonst nichts, nicht mal ein Tisch. Nur Teppiche liegen hier, auf die Ava ein Tablett mit heißem Tee stellt. Sie sagt kein Wort, sie stammt aus einem kleinen Dorf in Afghanistan, im Deutschen ist sie noch unsicher, doch sie lächelt, wenn ihre kleine Tochter dem Besuch einen Ball hinhält zum Spielen. "Ich habe noch nichts besorgt für den 31.12.", sagt Rafi mit Blick auf den Bauch seiner Frau, 31.12. ist der Geburtstermin. "Mein Kopf ist kaputt von dem ganzen Nachdenken." Eine Wiege müsste her für den kleinen Sohn, den Ava bekommen soll, ein Babybettchen, Spielzeug vielleicht. "Aber was sollen wir damit machen, wenn wir morgen ausziehen müssen?" Seit Monaten versuche er, eine neue Wohnung zu finden, siebeneinhalbtausend Euro Kaution, fünftausend für den Makler, "wie soll ich das bezahlen?" Nach dem Gerichtsprozess, den Gebühren für den Anwalt, dem Geld, das er zwischenzeitlich auf Aufforderung des Gerichts an den Vermieter gezahlt habe, raubten ihm die Schulden den Schlaf.

Dann klingelt sein Telefon, er hält es hoch, "das ist er wieder", der Vermieter, "dauernd ruft er an." Rafi ringt mit sich, dann legt er das Handy auf die Seite, was soll er auch sagen. Zehn Sekunden später läutet es wieder. "Morgen, hat er gesagt, müssen wir raus." Rafi hebt seine Tochter hoch, sieht sie an, es zuckt in seinem Gesicht. Dann klingelt wieder das Telefon. Das Mädchen fängt an zu weinen, Ava übernimmt das Kind. Erst am Nachmittag hat Rafi S. seine Frau aus dem Krankenhaus geholt, wo sie wegen einer Entzündung im Bauchraum eine Woche verbringen musste. Wenn das Kind gesund auf die Welt kommt, haben sie einen kleinen Sohn, "dann hast du einen Bodyguard", flüstert er seiner Tochter ins Ohr. Die Frage ist nur, wo seine Wiege stehen soll.

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