SZ-Adventskalender:Lücken im sozialen Netz

Auch im Landkreis gibt es Familien, die in Not geraten sind. Vor allem für außergewöhnliche Anschaffungen reicht die staatliche Hilfe oft nicht aus

Von Carolin Schneider, Ebersberg

Mit einem letzten Schwall Wasser und einem Ächzen gibt die Waschmaschine den Geist auf. Für viele ein Ärgernis. Aber eines, das sich aus dem Weg räumen lässt: und zwar mit einem neuen Gerät. Doch es gibt Familien, für die bedeutet eine neue Waschmaschine, das Geld herzugeben, das sie für Nahrung, Kleidung oder Schuhe aufgespart haben. "In vielen Kreisen hier ist nicht bekannt, dass es Familien in Notlagen gibt", sagt Hermann Schmidbartl, Geschäftsführer des Ebersberger Jobcenters. Das liege daran, dass der Landkreis Ebersberg eine vergleichsweise reiche Region ist. Die Arbeitslosenquote sei extrem niedrig, sie liegt bei 0,7 Prozent.

"Trotzdem muss man sich bewusst sein: Hinter der Zahl stecken viele Menschen", sagt er. 2500 Kunden habe das Jobcenter zur Zeit. Die Zahl setzt sich zusammen aus 500 Arbeitslosen, 1300 Lebenspartnern und erwerbsfähigen Kindern über 15 Jahre und 700 jüngeren Kindern, deren Eltern keine Arbeit haben.

Es gibt eine Menge Gründe, die Familien in Notlagen bringen können: Krankheit, Tod eines Familienmitglieds, Verlust der Wohnung. Er sehe es natürlich aus der Sicht des Jobcenters, sagt Schmidbartl, bei ihm landen jene Fälle, in denen der Verdiener in einer Familie den Arbeitsplatz verliert oder erst gar keinen Job findet, dann seien Hilfe nötig. Dass es häufig der Verlust des Arbeitsplatzes ist, der Familien in die Hilfsbedürftigkeit drängt, bestätigt Tanja Bühler. Sie ist Familienbeauftragte im Landratsamt Ebersberg, zu ihrer Hauptaufgabe zählt es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten - was oft gerade für Alleinerziehende besonders schwierig ist. Das erlebt auch der Leiter des Jobcenters immer wieder. Auch bei Familien mit mehr als drei Kindern sei das Armutsrisiko besonders hoch, erzählt Schmidbartl, weil sie mit der Kinderbetreuung stark eingespannt seien. Insgesamt gebe es im Landkreis derzeit etwa 170 Alleinerziehende und ungefähr 50 Familien mit drei oder mehr Kindern, die auf Arbeitssuche sind.

Oftmals sei das Risiko groß, dass sich die Armut über die Generationen fortsetzt. Die Kinder hätten nicht selten Probleme in der Schule, weil sie zu Hause nicht so viel Unterstützung erfahren wie andere. "Die Eltern sind keine schlechten Eltern", betont Schmidbartl. Der Wille, zu helfen, sei da, jedoch mangele es ihnen an Möglichkeiten, Zeit oder schlichtweg Wissen. Aufgrund von Problemen in der Schule, ständigen Absagen an der Jobfront und der ewigen Sorge um das Geld leide oft das Familienleben. "Die Familienverhältnisse sind zerrüttet, die Menschen wollen etwas daran verändern, wissen aber nicht wie", erklärt der Leiter des Jobcenters. Die psychischen Konsequenzen, die aus solch einer Situation entstehen können, sind groß. "Arbeitslosigkeit macht auch krank." Vor allem Depressionen entstünden oft aus dieser Belastung. Wenn eine Krankheit oder Behinderung vorliegt, ist es nach Schmidbartls Erfahrung noch schwieriger, einen Arbeitsplatz zu finden. "Die Hemmschwelle der Arbeitgeber ist in solchen Fällen einfach sehr groß", sagt er.

Und dann gibt es da noch Familien mit ganz anderen Problemen: Die Eltern gehen zur Arbeit, bekommen aber weniger Lohn, als sie vom Staat bekommen würden, wenn sie arbeitslos wären. "Eigentlich müsste man den Menschen, die weniger verdienen als die soziale Grundsicherung, einen neuen Job suchen", erklärt Schmidbartl. Das aber sei ein großes Risiko: Wenn es nicht funktioniert, stürzen die Betroffenen ganz in die Hilfsbedürftigkeit. Seit der Einführung des Mindestlohnes gebe es weniger solcher Fälle, die Situation habe sich verbessert - allerdings nicht nennenswert, wie Schmidbartl einschränkt. Immer noch gebe es eine dreistellige Zahl van Menschen im Landkreis, die davon betroffen sind. In diesem Jahr beträgt die soziale Grundsicherung 408 Euro. Für jedes Kind gibt es zusätzlich zwischen 200 und 300 Euro, je nach Alter der Kinder. Darin ist alles enthalten - Geld für Essen, Kleidung, Freizeitaktivitäten und auch für langfristige Anschaffungen wie einen Kühlschrank oder eben eine Waschmaschine. "Man muss aber auch sagen: In vielen Ländern gibt es diesen doppelten sozialen Boden gar nicht", merkt Schmidbartl an. Die Absicherung von Menschen in Notlagen ist in Deutschland gegeben. Viel Geld bleibt am Ende jedoch nicht übrig. Das gibt auch der Chef des Jobcenters zu: "Man fliegt zwar bei uns nicht ins Bodenlose, aber weich landet man auch wieder nicht." Der größte Schritt, den Familien in Not machen müssen, ist zuzugeben, dass sie Hilfe brauchen. "Wenn weitere Beratung notwendig ist, können wir an die zuständigen Stellen verweisen", erklärt Tanja Bühler vom Landratsamt. Auch im Jobcenter leitet man die Hilfesuchenden etwa an Schuldnerberater oder Gesundheitscoaches weiter.

Das Geld vom Adventskalender werden beide Institutionen für Kinder aus notleidenden Familien verwenden. "Wir möchten Weihnachtsfreuden erfüllen", so Schmidbartl. Auf der Wunschliste stünden Dinge, die sich die Familien sonst nicht leisten können, wie Spielsachen oder Musikinstrumente. Auch im Landratsamt erfüllt man mit den Spendengeldern Kinderwünsche. "Es ist uns wichtig, dass die Kinder nicht die Leidtragenden sind", sagt Bühler. "Sie sollen keine gesellschaftlichen Nachteile haben."

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