SZ-Adventskalender:Mit 72 Jahren auf einem Gästeklappbett schlafen

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Viele ältere Menschen sind von Einsamkeit und Depressionen betroffen - so auch Aleksandra G. (Foto: Catherina Hess)

Als alleinerziehende Mutter kam Aleksandra G. nach Deutschland, oft arbeitete sie in mehreren Jobs gleichzeitig - ihr Sohn sollte es einmal besser haben als sie. Doch als dieser sich zunehmend zurückzog, verfiel sie in eine schwere Depression. Mittlerweile lebt sie in einer betreuten Wohngemeinschaft, doch von dem wenigen Geld, das sie hat, kann sie sich keine Möbel leisten.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Als Aleksandra G. mit 43 Jahren zusammen mit ihrem damals 13-jährigen Sohn nach Deutschland kam, hatte sie schon einiges durchmachen müssen: Ihr erstes Kind hatte sie verloren, sie wurde wieder schwanger, dieses Mal verließ sie ihren Freund und dessen Mutter, bei dem er lebte - sie hatte Angst vor den beiden. Sie bekam ihren Sohn und wohnte fortan bei ihren eigenen Eltern, die selbst sehr arm auf dem Land lebten und einen Hof betrieben. Doch dort musste sie sich ständig Vorwürfe anhören, weil sie ein uneheliches Kind geboren hatte. Ablenkung gab es keine, der Hof hätte kaum abgelegener liegen können - mit dem Zug dauerte es drei Tage, bis Moskau als die nächstgelegene größere Stadt erreicht war. Noch früher, als Kind, erkrankte die heute 72-Jährige an einer Hirnhautentzündung. Vermutlich als Folge davon ist sie bis heute schwerhörig und tut sich schwer, Neues zu lernen.

Obwohl das alles schon so lange zurückliegt, weint Aleksandra G. viel, als sie von ihrer Kindheit und Familie in Russland erzählt. Sie hatte es nicht leicht. Ihr Sohn sollte es einmal besser haben, die Chance auf einen soliden Job, die ihm Spaß macht. Deshalb packte sie ein paar Sachen, als er 13 Jahre alt war, und zog mit ihm nach Deutschland. Dort lebte bereits ihre Schwester. Unterstützung vom Vater ihres Kindes erhielt sie nie.

Ihrem Sohn wollte Aleksandra G. eine gute Ausbildung ermöglichen

Viele Jahre arbeitete die 72-Jährige, oft in mehreren Jobs gleichzeitig, um ihr Kind und sich zu ernähren. Hauptsächlich war sie als Pflegehilfe in Pflegeeinrichtungen und als Reinigungskraft angestellt - ihr großes Ziel war, ihrem Sohn eine gute Ausbildung und Sicherheit zu ermöglichen. Sie lernte Deutsch und trägt mittlerweile aufgrund ihrer Schwerhörigkeit eine Mittelohrprothese.

Seit gut einem Jahr lebt Aleksandra G. in einer intensiv betreuten Wohngemeinschaft für ältere psychisch kranke Menschen. Denn im Laufe der Jahre entwickelte sie schwere Depressionen, litt unter Ängsten, Überforderung und fühlte sich zunehmend einsam - vermutlich auch, weil sich ihr Sohn als Erwachsener zunehmend von ihr distanzierte. Er habe sie um all ihre Ersparnisse gebracht, sagt sie. In all den Jahren, die die 72-Jährige nun schon von den Sozialpsychiatrischen Diensten Ebersberg betreut wird, habe sich der Sohn kein einziges Mal bei seiner kranken Mutter gemeldet, erzählt die Betreuerin von Aleksandra G.

An schlechten Tagen kommt die 72-Jährige nicht aus dem Bett

Mehrere Male musste Aleksandra G. wegen ihrer Depressionen klinisch behandelt werden. Zuletzt war das 2016 der Fall, danach konnte sie nicht mehr arbeiten und wurde bis zu ihrer Rente krankgeschrieben. Bis heute hat sie gute und schlechte Tage - an den schlechten kommt sie nicht aus dem Bett und weint viel. An den guten besucht sie die sozialpsychiatrische Tagesstätte und hilft gerne beim Kochen, am liebsten schneidet sie das Gemüse. "Bratkartoffeln kann ich am besten", sagt sie. Außerdem hilft sie beim Putzen der Schränke, Flächen und Böden. Und auch in der Wohngemeinschaft kocht sie gerne für die anderen und hält die Küche sauber. Aber in den vergangenen Monaten musste sie in allem kürzer treten. Denn neben ihrer psychischen Erkrankung verschafft ihr nun auch noch ihr Herz zunehmend Probleme.

Aleksandra G. ist eine bescheidene Frau. Eigentlich brauche sie nichts, sagt sie, obwohl ihr nach Abzug der Miete gerade einmal 500 Euro zum Leben bleiben. Weder Teppich noch Deckenlampe hat sie in ihrem 13 Quadratmeter großen Zimmer. Ihr Bett hat den Umzug in die betreute Wohngemeinschaft nicht gut verkraftet, vor kurzem ist es zusammengebrochen. Seitdem schläft die 72-Jährige auf einem Gästeklappbett, das den Sozialpsychiatrischen Diensten gehört. Fünf Umzugskartons mit Andenken und ihr wichtigen Dingen stehen immer noch unsortiert in ihrem kleinen Zimmer - wie viele Menschen mit Verlusterlebnissen tut sie sich schwer, sich davon zu trennen. Doch für eine Kommode, um die Sachen auszupacken, reicht das Geld nicht. Und wenn sie ein paar Bilderrahmen hätte, dann könnte sie sogar ihre selbst gemalten Bilder aufhängen und sich damit ihr Zimmer wohnlicher gestalten - Aleksandra G. besucht in der Tagesstätte die Malgruppe.

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