SZ-Adventskalender:Endlich Geld für neue Kleidung

Julia Kranz hat nach etlichen Schicksalsschlägen kaum genug, um zu überleben. Dennoch kümmert sich die 47-Jährige liebevoll um ihre Enkelin

Von Alexandra Leuthner, Poing

Julia Kranz sitzt im Schneidersitz auf ihrem Sofa, die Füße auf die Oberschenkel gelegt wie bei einer Meditation. "Das ist meine Haltung", erklärt sie, "die einzige, bei der mir der Rücken nicht wehtut." Die Ärzte haben ihr eine Operation angeraten, eine Bandscheibe müsste dringend repariert werden, doch daran verschwendet die 47-Jährige im Moment keinen Gedanken. "Jetzt muss erst mal die Sache mit der Kleinen geregelt sein. Damit ich ihr ein Leben bieten kann. Und ich will meine Schulden los werden."

5000 Euro haben sich angehäuft in den vergangenen Jahren; für den Hort, für Schulsachen, für die Miete. Der Hort habe 30 Euro im Monat mehr gekostet als sie mit ihrem Putzjob in der Messe München verdienen konnte, also hat sie den Platz gekündigt. "Ohne ihn aber kann ich nicht arbeiten. Die Kleine kommt um 11.15 Uhr aus der Schule." Die Miete für die Dachwohnung liegt etwas über den 404 Euro des Regelbedarfs-Satzes, der Kranz im Hartz IV-Bezug zusteht. Was aber die Sache erst richtig schlimm macht: Das Jobcenter muss davon ausgehen, dass das Kind selbst ein Drittel der Miete bezahlt, 270 Euro, wie Kranz erklärt - was es natürlich nicht kann. Ihr 21-jähriger Sohn, der als Auszubildender bereits verdient, 670 Euro im Monat, muss auch ein Drittel übernehmen, das dann ebenfalls vom Mietzuschuss abgezogen wird. "Er gibt aber alles zu Hause ab, ohne ihn könnte ich hier nicht überleben, er behält nichts für sich selbst."

Studie: Alleinerziehende häufiger krank

Julia Kranz zieht ihre Enkelin alleine groß. Staatliche Unterstützung bekäme sie nur, wenn sie ihrer Tochter das Sorgerecht streitig machen würde.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

Die Kleine, das ist Kranz' Enkelin Michelle (die Namen sind alle geändert, Anm. d. Red.). Und seit sie mit dem Mädchen und ihrem Sohn Raffael in Poing wohnt - die Mutter des Kindes lebt in einer WG mit ihrer Schwester in München und versucht dort eine Ausbildung zu machen -, ist aus Kranz' Leben eine Art Spießroutenlauf geworden: zwischen den Behörden in München - Sozialamt, Jugendamt, Jobcenter - und denen in Ebersberg. "Keiner fühlt sich für das Kind zuständig." Eigentlich müsste die Achtjährige Sozialgeld aus München erhalten, das wird aber nicht ausgezahlt, weil das Mädchen nicht bei der Mutter wohnt. Das Ebersberger Jobcenter zahlt nicht, weil Kranz nur die Großmutter ist und kein offizielles Sorgerecht für das Mädchen hat. Welches sie aber ihrer Tochter Carina, der Mutter des Kindes, nicht nehmen möchte, "irgendwann geht sie zu ihrer Mutter zurück, wenn die sich gefangen hat, das ist doch klar", sagt die Oma. Deshalb müsste eigentlich Carina den Mietanteil für Michelle bezahlen, sie ist aber inzwischen wieder arbeitslos; ihr Ausbildungsbetrieb hat ihr gekündigt, weil sie zu oft fehlte. "Wir hatten ja ständig Termine bei den Ämtern." Ein Dilemma, das Kranz um den Schlaf bringt, das aber aus Sicht der Behörden im Moment nicht zu lösen ist. "Sie sitzen zwischen allen Stühlen", erklärt Jutta Hommelsen vom Zentralen Sozialdienst in Ebersberg. Nun hofft Kranz darauf, dass ihr eine Pflegschaft für das Kind zugesprochen wird, dann stünde Michelle wenigstens der Mindestsatz an Sozialgeld zu- der allerdings bei Kindern 20 Prozent unter dem Regelsatz für Erwachsene liegt.

Dass die 47-Jährige die kleine Dreizimmerwohnung in einem Dachgeschoss gefunden hat, verdankt sie einer Bekannten. In einem Zimmer schläft Michelle, im zweiten der Sohn, im Wohnzimmer die junge Oma. "Das ist mein Reich hier", sagt sie und zeigt auf das übersichtliche aber gepflegte Rundum unter Dachschrägen. Für einen Teil der Möbel hat sie Geld bei einer Freundin geliehen, ein Teil stammt noch aus einer Zeit, in der es ihr besser ging, als sie noch alle Zähne hatte, als sie gesund war und nicht arbeitslos. Ein sorgsam gerahmtes Foto zeigt sie mit ihren Kindern, zwei Söhne, zwei Töchter, eine hübsche Mutter mit dichtem Haarschopf. Dann kam die Trennung von ihrem Mann, die frühe Schwangerschaft der Tochter Carina und schließlich, vor fünf Jahren, der Eierstock-Krebs, der der vierfachen Mutter für eine Weile allen Lebensmut raubte. Eine Kortisonbehandlung kostete sie ihre Zähne, die dünn gewordenen Haarsträhnen hat sie nach hinten in einen kleinen Zopf gebunden. Immer wieder sagt sie: "Wenn erst die Sache mit der Kleinen geklärt ist, dann gehe ich all das an, die Zähne, den Rücken, alles."

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Als Carina mit 17 schwanger geworden war, lebte die fünfköpfige Familie noch zusammen in einem Abbruchhaus. Ihre Odyssee hatte sie von West nach Ost durch ganz München geführt, nachdem Kranz' Beziehung zum Vater der vier Kinder auseinander gegangen war. "Er hatte schon ein Alkoholproblem, als wir uns kennen lernten, aber das habe ich nicht gewusst", erzählt sie. Im Restaurant des Schwiegervaters hatte das Paar mit gearbeitet, allerdings gerade einmal für ein Taschengeld. "Es gab nie wirklichen Lohn. Wenn ich gesagt habe, ich muss einkaufen gehen, hat er gefragt, wie viel brauchst du?" Also hatte Julia Kranz auch nichts auf der hohen Kante, als sie mit den Kindern auszog. Sie arbeitete fünf Jahre in einer Tankstelle, bis zur Räumungsklage; der Lohn reichte nicht für die Miete, weder Ehemann noch Schwiegervater unterstützten sie. "Bis dahin hat der Opa den Kindern alles gezahlt, und dann hat er den Hahn einfach zugedreht." Sie fand mit Mühe eine Wohnung in einem Vorort. Dann wurde sie krank, "ich dachte zuerst, es sei der Blinddarm". Der war es aber nicht. "Zu Hause bin ich dann erst mal in ein Loch gefallen."

Die Familie rutschte in die Sozialhilfe, wurde wieder gekündigt, zog in ein zugiges Haus im Münchner Osten. Doch drei der vier Kinder schafften es dennoch in eine Ausbildung, in einen Job, Raffael will unbedingt sein Abitur nachmachen, irgendwann studieren, auch sein Bruder hat einen Arbeitsplatz. Die jüngere Tochter arbeitet in einem Einkaufsmarkt. Sie sorgt dafür, dass ihre Mutter und ihre Nichte frisches Obst auf den Tisch bekommen, kauft der Kleinen Kleider und Schuhe. Ihre Schwester aber hat zu kämpfen, "die Schwangerschaft hat sie aus der Bahn geworfen", sagt die Oma, "wir haben es erst im vierten Monat bemerkt", für einen Abbruch zu spät. "Doch heute bin ich so froh, dass wir die Kleine haben", sagt sie, obwohl sie jeden Cent zehn Mal umdrehen muss. "Es ist schon hart, wenn ich dauernd nein sagen muss. Im Sommer hat Michelle vielleicht drei Mal ein Eis bekommen. Zum Glück kann sie gut einstecken."

Das kann offenbar die ganze Familie, die zusammenhält wie Pech und Schwefel. "Meine Kinder waren immer schon alles für mich." Julia Kranz wünscht sich nichts für sich selbst, sondern nur für ihren Sohn, damit Raffael sich endlich einmal neue Klamotten kaufen kann; und vielleicht ein Paar Schlittschuhe für die kleine Michelle.

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