SZ-Adventskalender:Ein Zimmer für zwei

Herbstspaziergang

Maria N. zieht ihre Tochter Angelika alleine groß, weil sich der Vater nicht für seine sechsjährige Tochter interessiert und auch keinen Unterhalt bezahlt.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Maria N. lebt mit ihrer sechsjährigen Tochter auf 30 Quadratmetern - das Kinderbett steht direkt neben der Schlafcouch. Der größte Wunsch der Mutter: ein bisschen Raum für sich

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Bevor Maria N. in den Aufzug steigt, rennt sie noch mal schnell zurück in ihre Wohnung, steckt sicherheitshalber ein Handy in die Jackentasche. "Wir sind schon fünf Mal stecken geblieben. Die Kleine hatte furchtbare Panik." Der Aufzug ist nicht neu, ebenso wenig wie der Wohnblock, in dem Maria und ihre Tochter seit sechs Jahren zu Hause sind. Aber eigentlich würden sie sich wohlfühlen, hier, wo Angelika aufgewachsen ist, wo sie zur Schule geht und Freunde hat. Wenn sie nur ein bisschen mehr Platz hätten, Mutter und Tochter.

Die Wohnung besteht aus einem einzigen Zimmer. Die Kochzeile bildet die eine Längsfront, das Fenster zum Balkon im achten Stock die andere. Die Mitte des Raums nimmt ein mehrteiliges Sofa ein, auf dem Maria schläft, dahinter, zwischen Rückenlehne und Fensterbrett, ist Angelikas Bett gequetscht. "Wenn sie abends müde ist, muss ich mich meistens mit ihr hinlegen", sagt die 33-jährige Mutter. Sobald sie das Licht anlasse oder gar zu fernsehen versuche, wache das Mädchen wieder auf. "Manchmal schaffe ich es nicht mal mehr, das Geschirr vom Abendessen abzuspülen, das steht dann in der Früh noch da." Sie schüttelt sich angeekelt.

Bis vor ein paar Monaten hat die sechsjährige Tochter ihre Hausaufgaben am niedrigen Beistelltisch machen müssen, vor den sie sich hinknien musste, jetzt hat sie immerhin einen kleinen weißen Schreibtisch, den die Mutter inklusive Stuhl für 70 Euro der Nachbarin abgekauft hat. Sie hat ihn zwischen den Fernseher, das einzige Regal und den Wäscheständer an die Wand geschoben. Zwei Türen gibt es in der Wohnung, die eine führt ins kleine Bad, die andere nach draußen in den Hausgang.

Als Angelika drei Wochen alt war, ist Maria mit ihr hier eingezogen. Mit sieben Jahren war sie selbst mit ihren Eltern aus dem Kosovo nach Baden-Württemberg gekommen, später fand der Vater Arbeit in München. Weil der Vater der kleinen Angelika, der immer noch in Baden-Württemberg lebt, sich aber nicht für seine Tochter interessierte, folgte Maria ihren Eltern in den Landkreis Ebersberg. Um wenigstens ein bisschen Hilfe zu haben mit dem Kind. Als die Eltern nach Erding umzogen, blieb sie allein mit der Kleinen zurück, wenigstens am Wochenende aber kann sie das Kind hin und wieder zu den Großeltern bringen, die gemeinsam mit Marias älterem Bruder, dessen Frau und deren drei Mädchen zusammen wohnen. Das helfe ihr zwar nicht im täglichen Leben, "aber wenigstens gibt es mir manchmal ein bisschen Freiheit für den Kopf", sagt sie.

Mittlerweile hat Maria sich an das Alleinsein gewöhnt, "ich hab Angelikas Vater angerufen, auch mein Vater, mein Bruder haben es versucht, aber er will nichts von ihr wissen". Wenn Angelika kein Mädchen wäre, sagt die Mutter nachdenklich, "dann wäre das vielleicht anders". Inzwischen hat der Mann, mit dem sie nie verheiratet war und der auch keinen Unterhalt für seine Tochter zahlt, eine neue Frau und drei Kinder mit ihr.

Maria hat sich eingerichtet in ihrem Leben zwischen Schulanfang, Schulende und Schlafenszeit halb acht. "Arbeiten kann ich ja nicht." Zweimal in der Woche kommt das Mädchen um 11, dreimal um 12 Uhr nach Hause, da bleibt sehr wenig Zeit, zu einer Arbeitsstelle hin und wieder zurück zu kommen, der Verdienst läge wohl auch nicht über dem Arbeitslosengeld, das die Mutter bezieht. "Früher hab ich geputzt, aber was mache ich in den Ferien? Wo soll ich sie unterbringen?" Für den Hort oder eine Mittagsbetreuung reicht der Mindestsatz vom Jobcenter bei weitem nicht aus, von dem Tiefkühlschrank, den sie bräuchte, ganz zu schweigen. Schon wenn es um Kleidung geht oder Schulsachen, wird es eng. Den Schulranzen, den Angelika sich gewünscht hatte, konnte Marias Bruder als Sonderangebot in Erding finden, "zum Glück habe ich dann vom Landratsamt noch einen Zuschuss bekommen." Maria strahlt. "Und jetzt liebt sie es, in die Schule zu gehen."

So richtig große Wünsche kann sich Maria gar nicht leisten, nur neue Kleidung, vor allem Stiefel und Wintersachen für das Kind wären dringend nötig, sagt sie. "Ich muss immer darauf achten, dass es nicht zu voll wird hier." Seit mehreren Jahren sucht sie inzwischen nach einer etwas größeren Wohnung, stellt jedes Jahr wieder einen Antrag beim Landratsamt - selbst der kostet Geld: 12,20 Euro musste sie diesmal bezahlen. "Das wäre mein allergrößter Wunsch, ein bisschen mehr Platz. Wenn wenigstens die Küche hinter einer Tür wäre, dann könnte ich dort den Abend verbringen, das würde mir schon reichen." Und dann würde sie, wenn sie etwas Geld hätte, für Angelika auch endlich ein neues Bett kaufen; das Dach, das ihr Bett hinter dem grauen Sofa einmal hatte, ist längst herunter gefallen.

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