SZ-Adventskalender:Die Wohnung als letzter Halt

Eine Trennung, Depressionen und eine schwere Herzkrankheit prägen das Leben von Aishe P. und ihren beiden Kindern. Nun kommen auch noch Mietschulden hinzu

Von Alexandra Leuthner

Allein will sie nicht mit uns reden, nur wenn ihre Betreuerin dabei ist. Sie möchte auch nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht. Also nennen wir sie Aishe, Aishe P. "Aishe, das ist wie Hans in Deutschland", sagt sie mit einem ganz leisen Lachen. Doch es braucht ein langes Gespräch, bis sie zu diesem Lachen findet. Und es schmerzt sie sichtlich.

Aishe P. kommt nicht an die Wohnungstür. Eine Tante lässt die Besucher herein, sie kümmert sich um den Abwasch für ihre Nichte. Nicht mal mehr das kann die 42-jährige Mutter zweier Kinder selber tun, im Moment zumindest nicht. Vielleicht wird es ja in den nächsten Wochen wieder besser. Die junge Betreuerin, die sich im Auftrag der Sozialpsychiatrischen Dienste Ebersberg um Aishe P. kümmert, führt uns ins Wohnzimmer. Geräumig ist es, was aber vielleicht daran liegt, dass nicht viel im Raum steht außer einem niedrigen Tisch, einem Sofa, ein, zwei Stühlen. Es ist schwer zu sagen, ob Aishe P. eher liegt oder sitzt in den tiefen Polstern. Das mächtige Stützkorsett, das sie um den Oberkörper trägt, scheint sie zugleich aufrecht und zusammen zu halten. Ein mächtiger, dunkler Bluterguss zieht sich über den linken Oberarm. Gerade einen Tag ist es her, dass sie aus dem Krankenhaus gekommen ist. Nach der schweren Bypass-Operation, die sie hinter sich hat, geht ihr Atem flach, sie hat spürbar Mühe zu sprechen. In wenigen Tagen soll ihre Reha beginnen. Die Frage drängt sich auf, wie sie es überhaupt schaffen soll, in die Klinik zu kommen, jeden Werktag, drei Wochen lang. Drei Herzinfarkte hat sie hinter sich. Eine angeborene Herzinsuffizienz ist die Ursache, von der sie gar nichts wusste. Doch das allein und der Schmerz, die frische Naht über ihrem Brustbein, das Korsett, ist es nicht, was Aishe P. in ihr Sofa drückt, als läge ein schweres Gewicht auf ihren Schultern. Sie hat Angst. "Gestern war zweimal der Notarzt da, es hat so weh getan, hier", flüstert sie und deutet zaghaft auf ihren Hals. Sie habe sich so aufgeregt wegen der Kinder. Im Teenageralter sind die beiden, also nicht mehr so klein, dass sie Hilfe beim Anziehen der Schuhe bräuchten, aber auch noch nicht groß genug, dass Aishe P. sich keine Sorgen mehr um sie machen müsste. Die Tochter geht auf eine Schule in München, um den Mittelschulabschluss zu machen, ihr Sohn besucht das BFZ in Ebersberg. Er hat nach dem Quali keinen Ausbildungsplatz bekommen. Jetzt versucht er es über Praktika, Installateur wolle er werden, erzählt Aishe P.

Heizung

Aishe P. muss an allen Ecken und Enden sparen, um mit ihrer Familie halbwegs über die Runden zu kommen.

(Foto: Ole Spata/dpa)

Aishe P. hat ihre Kinder allein groß gezogen, der Vater, von dem sie 2010 geschieden wurde, zahle keinen Cent Unterhalt, erzählt sie. Dafür sitze sie aber auf den Schulden, die er verursacht habe, und die sie mit ihrem Einkommen als Pflegerin nicht tilgen konnte. Sie war 15, als sie von ihrer Mutter, die heute noch in der Türkei lebt, nach Kiel zog, auf Wunsch ihres Vaters. "Ich habe ihn viermal gesehen vorher, nur wenn er in der Türkei im Urlaub war." Die Mutter war mit Aishes Bruder schwanger gewesen, als der Vater seine Familie verließ. In Deutschland habe er später eine Jüngere geheiratet, kaum älter als seine Tochter. Als sie in Deutschland angekommen war, habe sie das Gefühl gehabt, bei einem Fremden zu leben, fünf Jahre lang, bis sie ihren Ehemann kennen lernte und mit ihm und den zwei inzwischen geborenen Kindern nach München zog. Erstmals zwangen sie Depressionen, sich einer Mutter-Kind-Kur zu unterziehen. Währenddessen habe ihr Mann die gemeinsame Krankenversicherung gekündigt, so dass Aishes Aufenthalt in der Klinik nicht abgedeckt war. Die Kosten sind bis heute nicht abbezahlt und blieben an Aishe P. hängen. "Circa 30 000 Euro sind das". Warum er das getan hat? "Ich weiß es nicht", sagt sie leise, "er war selbst in Depressionen."

Die Ehe ging in die Brüche, Aishe zog mit den Kindern in ein Frauenhaus. Dann fand sie eine Wohnung im Landkreis und kehrte in ihren Beruf als Pflegerin zurück, um sich und die beiden Kinder zu ernähren, sie zur Schule schicken zu können. Hilfe hatte Aishe P. kaum, die Mutter weit weg, der Vater, der ihre neue Beziehung zu einem nicht-türkischen Mann nicht billigte, meldete sich nicht mehr. Die Kinder mussten früh selbständig werden - von wegen Schuhe binden, "die anderen Kinder konnten das noch lange nicht, meine schon", erzählt Aishe P., und ein bisschen Stolz schwingt in ihrer Stimme mit.

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Dann begann 2018 ihr Herz zu streiken, einem ersten Herzinfarkt folgten ein zweiter und dritter. Aishe erholte sich nicht mehr soweit, dass sie wieder arbeiten konnte. Dazu kam die Angst: um die Kinder, die Wohnung, die Zukunft. Auch jetzt wieder leidet sie an Depressionen. Offiziell ist sie bis Ende Dezember angestellt, aber sie ist seit Monaten krank geschrieben. Krankengeld und Kindergeld reichen nicht für die Miete, inzwischen ist Aishe P. drei Monate im Rückstand. In ihren Beruf kann sie auch nicht zurück, "körperlich arbeiten kann ich nie mehr".

Seit einigen Monaten wird P. nun vom Betreuten Einzelwohnen der Spdi unterstützt, eine Schuldnerberatung hat sich des Falles angenommen, die Betreuerin ist mit der Arbeitsagentur und dem Sozialamt in Kontakt, um das künftige Wohnen zu sichern. Die Mietschulden aber kann kein Amt übernehmen, "dafür brauchen wir jetzt die Hilfe des SZ-Adventskalenders", sagt der Leiter der Spdi, Georg Knufmann, "wir tun alles, um die Miete zu sichern". "Wenn ich jetzt meine Wohnung verliere", sagt Aishe P., "das wäre der Supergau." Dass sie kein Geld für Weihnachtsgeschenke oder neue Kleidung für ihre beiden Kinder hat, ist noch ihr geringstes Problem.

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