SZ-Adventskalender:Arm im Alter

Immer mehr Rentner im Landkreis können sich ihr Leben kaum mehr leisten

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

"Wenn der Wintermantel kaputt geht, dann wird es bei vielen schon knapp", sagt Marion Wolinski und blickt vom Tisch auf. Hier im Ebersberger Landratsamt wird die Leiterin der Sozialhilfeverwaltung tagein, tagaus Zeugin einer Entwicklung, die bundesweit zu beobachten ist: Dass die Rente nicht reicht, die Menschen mit der Grundsicherung aufstocken und am Existenzminimum leben. Fast verdoppelt hat sich in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Senioren im Landkreis, die Grundsicherung beziehen; 318 waren es heuer - und das sind nur die bekannten Fälle. "Die Dunkelziffer der Menschen in Altersarmut wird viel höher sein", mutmaßt Wolinski.

Sie berichtet von Rentnern, denen das Geld für einfache Dinge fehlt: Sobald ein Zahnersatz notwendig wird, die Brille zerbricht, ein Hörgerät erforderlich wird, die Waschmaschine streikt oder eben der Wintermantel kaputt geht, "dann wird es bei den Menschen schon sehr knapp", erzählt sie. Ähnliches beobachtet auch Sebastian Rokita, Leiter des Seniorenwohnpark Vaterstetten. "Manche können sich das Eindickungspulver gegen die Schluckbeschwerden nicht leisten und verschlucken sich dann beim Essen", sagt er. Auch wenn Zuzahlungen für einen Rollator oder gar ein Krankentransport fällig werden, reiche das Geld oft nicht. Rund ein Fünftel seiner Bewohner beziehe die Grundsicherung. "Oft sind das Frauen, die Kinder großgezogen oder minderbezahlte Jobs verrichtet haben", sagt er.

Dass kein Geld für Medikamente oder einen Frisörbesuch übrig ist - auch das gibt es in einem Landkreis, der als wohlhabend gilt, als boomender Standort. "Der Speckgürtel Münchens hat seinen Preis", sagt Wolinski nüchtern. Einen Preis, den viele Senioren mit erheblichen Einschränkungen bezahlen, weil die Grundsicherung nur das Nötigste abdeckt. Diese hatte der Staat 2003 eigentlich eingeführt, um versteckte Altersarmut zu verringern. Bis zu 409 Euro "Aufstockung" gibt es für Alleinstehende und - je nach Wohnort im Landkreis - eine Übernahme der Miete von bis zu 610 Euro.

Die genaue Höhe der Grundsicherung ergibt sich aus der Differenz der Rente und dem, was der jeweilige Rentner eigentlich zum Leben bräuchte. Wie viel das sein soll, zeigen die verschiedenen Kategorien des Regelbedarfs. Bis zu 34 Euro im Monat gibt es für Bekleidung, knapp 18 Euro für die Gesundheitspflege. Wenn unvorhergesehene Ausgaben wie für eine Brille notwendig werden, "dann wird es oft schwierig", sagt Wolinski. Wenn die Gesundheit bereits leidet, die Krankenkasse nicht zahlt und die Grundsicherung nicht reicht für einen Zahnersatz, für einen neuen Mantel, dann kann die bescheidene Lebensqualität noch auf einen weiteren Bereich übergreifen: die Teilhabe an der Gesellschaft.

"Die Menschen schämen sich, ziehen sich immer mehr zurück. Sie trauen sich einfach nicht mehr rauszugehen", schildert Wolinski. Das versteckte Schamgefühl der Senioren beobachtet auch Rokita im Seniorenheim. "Das Selbstwertgefühl der Betroffenen leidet ungemein. Man war stolz auf die eigene Lebensleistung - und plötzlich reicht die Rente nicht." Oft treffe es diejenigen, die lange krank und dadurch arbeitslos waren, "und die, die sich um ihre Eltern oder Kinder gekümmert haben", sagt Wolinski.

Der ständige Verzicht und der Rückzug werden bei manchen Senioren dann zur Gewohnheit: "Die Betroffenen werden sehr bescheiden." Dabei sind die Wünsche, die ihr entgegengetragen werden, oft banal: "Viele sehnen sich danach, einfach mal aus den eigenen vier Wänden rauszukommen, überhaupt an der Gesellschaft teilzuhaben", sagt Wolinski. Manche kämen zu ihr und sagen: "Ich möchte einfach mal mit meinem Enkel über den Christkindlmarkt bummeln." Oder: "Es tut mir so weh, dass ich meinen Enkel nicht in den Tierpark einladen kann."

Kein Geld für Medizin, neue Kleidung, einen kleinen Ausflug: Um die Not zumindest an manchen Stellen zu lindern, möchte der SZ-Adventskalender älteren Menschen, deren Alltag von Armut und Einsamkeit gezeichnet ist, mit Spenden helfen und sie gezielt unterstützen. Marion Wolinski kennt die Reaktionen der Menschen, die Hilfe erfahren: "Ich merke dann, wie in den Augen der Menschen etwas aufgeht."

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