Landkreis am Limit, Folge 5:Als wäre man von einer Betrügerin verführt worden

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Auf dem Weg zum südlichsten Punkt im Landkreis Ebersberg lockt traumhaftes Alpenpanorama. Im Ziel wartet dann ein Ort, der den Bergblick frecherweise versperrt.

Von Korbinian Eisenberger, Baiern

Hier geht's nicht weiter: Das haben alle Punkte gemeinsam, die die SZ Ebersberg in einer kleinen Serie vorstellt. Denn es handelt sich um geografische Extreme - im fünften Teil geht es in den Süden in der Gemeinde Baiern:

Durch die Windschutzscheibe macht sich ein bläulicher Schimmer breit, die Berge rücken näher, mit ihrem einzigartigen Licht. In der Kreisstadt gestartet ist die Suche nach dem südlichsten Punkt im Landkreis Ebersberg, eine Fahrt mit Ostalpen-Panorama. Das Ziel ist nahe, schon schält sich das Kaisergebirge zwischen dem Alpenvorland und den Bergketten im Süden hervor, wie Felsriegel mit einer Portion Sahne. Ende April glitzert der Schnee noch immer von den Gipfeln, weswegen die Tourenski im Auto bereit liegen. Jenes Auto, das jetzt am südlichsten Punkt angelangt ist: ein wild bewachsener Graben wie eine tiefe Delle im Gras. Und wahrscheinlich der einzige Ort im Grenzgebiet zum Landkreis Rosenheim, an dem der Blick auf die Alpen versperrt ist.

Es fühlt sich an, als wäre man von einer Betrügerin verführt worden. Der südlichste Punkt hat die Koordinaten 47 Grad, 55 Minuten und 51 Sekunden nördlicher Breite und 11 Grad, 55 Minuten und 39 Sekunden östlicher: Ein Tiefpunkt für jedes Hochgefühl. Es versinkt in einer Mulde mit stehendem Gewässer, schwarz wie ein verzauberter Unkenpfuhl, umringt von Brennnesseln und Büschen. Kein Felsen weit und breit, dafür wurde am Rand des Grabens Bauschutt abgeladen. Kein blasser Schimmer mehr von Bergen und Schnee, stattdessen krabbeln hier Spinnen zwischen Baumstumpen. Die Fällschnitte sind frisch, das Harz klebt. Dann endlich: Ein Lichtblick, das Herz bebt.

Kann man die Sichtgrenze vom Hochsitz aus überwinden?

Am Rand des Grabens steht tatsächlich ein Hochsitz. Ein Jägerstand aus Holz, standhaft im Kreis Rosenheim zehn Meter vor der Grenze zu Ebersberg. Wie es wohl in die Landkreis-Jagdstatistiken eingeht, wenn man vom Rosenheimer Jägerstand über die Grenze schießt und eine Ebersberger Wildsau erlegt? Die zweite und viel wichtigere Überlegung lautet: Kann man vom Hochsitz aus die Sichtgrenze des Grabens überwinden und die Berge sehen?

Das ist sie, die Frage aller Fragen, die sich stellt, wer sich auf Erkundungen wie diese begibt. Am äußersten Rand der südlichsten Gemeinde dieses Landkreises, die passenderweise Baiern heißt, ohne Ypsilon. Über den Ortsteil Antholing zwischen Kalbing, Engerling und Gailling führt ein Straßerl bis nach Schnaitt. Hier sieht man noch, wie viel es diesen Winter in den Bergen geschneit hat. Doch dann biegt die Straße nach links ab und führt einen steilen Abhang hinab. Und kurz davor tut sich auf der rechten Straßenseite diese Mulde auf. Ein Ort, an dem die Natur auf den ersten Blick nicht gerade eine Galavorstellung abliefert. Aber auch ein Ort, mit einem ungefähr sechs Meter hohen Jägerstand - dem Objekt der Hoffnung.

Zehn Sprossen führen über eine recht stabil wirkende Leiter hinauf zum Hochsitz. Ein Aufstieg aus dem Abgrund, vorbei an einem Tarnvorhang aus Plastik, der leicht im Wind raschelt. Hier oben knackt keine Buchecker mehr unterm Schuh. Von den Spinnen sind nur noch Weben zu sehen, eine Hummel surrt vorbei, der Airbus unter den schwarz-gelben Summern. Ansonsten hört man hier keinen Fluglärm, weit weg sind all die Chemtrails, die der Erdinger Flughafen der Region beschert hat.

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Nur noch der eigene Herzschlag pocht jetzt von innen ans Ohr. Es sitzt sich gut auf dem trockenen Holz, wo sonst der Jäger seinen Platz hat. Es muss der Jagd zuträglich sein, dass hier kaum ein Auto und nie ein Flugzeug vorbeikommt und Wild aufscheucht. Warum nur weit weg fliegen, wo doch die Schönheiten dieser Welt praktisch vor der Haustür stehen? Die Chiemgauer und Berchtesgadener Berge mit ihren Hütten und Gipfelkreuzen, zwischen denen sich über Wurzeln, Geröll und Fels unzählige Pfade schlängeln. All die Badeseen, die sich zwischen Salzburg und Coburg auf engem Raum gebildet haben, allein sechs davon im Kreis Ebersberg.

Ein Vogel fliegt vorbei, so schnell, dass die Augen kaum hinterherkommen. Mit ihm wandert der Blick nach Südosten, zwischen Buchenwipfeln hindurch - dorthin, wo die Berge stehen: Die Andeutung eines besonderen Lichts, klar, mild, fast arktisch. Es ist das Licht des Frühjahrs-Skifahrens, das Licht des Hochgefühls. Nun müssen sie doch zu sehen sein, der Wendelstein, der Elmauer Halt oder der Scheibenkogel.

Doch die Grube ist tief und der Hochsitz nicht hoch genug. Zu dicht sind die Baumwipfel für jeglichen Berggipfel. Was bleibt, ist ein bläulicher Schimmer - und ein Paar Ski, die im Kofferraum auf ihren Einsatz warten.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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