Stummer Frühling:Das Artensterben schreitet auch im Landkreis Ebersberg voran

Naturschützer beklagen selbst bei Allerweltsarten einen unübersehbaren Rückgang und fordern eine Änderung in der Landwirtschaftspolitik, aber auch im privaten Verhalten

Von Alexandra Leuthner

Artensterben _ Landkreis Ebersberg,

Der Gesang der Feldlerche ist selten geworden.

(Foto: Frank Derer)

Wer einen Gartenrotschwanz zum Nachbarn hat, wird früh geweckt. Kaum geht die Sonne in den ersten Maitagen auf, fängt das Männchen in melancholischen Tönen an zu flöten - definitiv schöner als alles was der Wecker hervorbringt. Leider aber gehört der Ruf des Singvogels mit dem charakteristischen Zittern der Schwanzfedern zu den Klängen, die im Landkreis kaum mehr zu hören sind. Ebenso wie das Tschilpen des Haussperlings, das Klappern des Storchs oder das Singen der Feldlerche.

Das vom Biodiversitätsrat Anfang dieser Woche in einem dramatischen Appell aufgelistete Artensterben "hat den Landkreis Ebersberg erreicht, so wie den Rest des Landes auch", sagt Josef Rüegg. Der Landschaftspflegeverband Ebersberg, dessen Geschäftsführer er ist, kümmert sich vor allem um die Renaturierung aufgegebener Flächen, hält sie etwa - wie die Gutterstätter Streuwiesen - von Bewaldung frei. Und gibt so heimischen Pflanzen und Insekten den Lebensraum zurück, der ihnen in der Kulturlandschaft verloren gegangen ist.

Artensterben _ Landkreis Ebersberg

Die Trollblume ist kaum mehr zu finden.

(Foto: Rosemarie Will/oh)

Beispiel Feldränder: "Früher haben die Bauern den Feldrain frei gehalten, eine Pflugscharbreite", erklärt Agrarbiologe Rüegg, der auf einem Bauernhof im Süden des Landkreises aufgewachsen ist, "schon um die Grenze zum Nachbarn zu markieren. Aber die Landwirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte, die jeden Quadratmeter Fläche nur gefördert habe, wenn er bewirtschaftet war, habe die Feldraine vernichtet. Auch wurde immer mehr Grünland in Ackerfläche umgewandelt, wurden moorige Wiesen trocken gelegt.

Artensterben _ Landkreis Ebersberg

Der Abbiß-Scheckenfalter kommt im Landkreis nur noch auf ein paar wenigen offenen Niedermooren vor.

(Foto: Josef Rüegg/oh)

Rebhuhn, Kiebitz und Feldlerche sind verschwunden

"Mit der Flurbereinigung der 70er Jahre hat alles angefangen", klagt Franz Höcherl, Naturschutzwächter und Vorsitzender der Bund Naturschutzgruppe in Pliening. Damit wurden Felder immer größer, die Bodenqualität durch den Verzicht auf wechselnde Fruchtfolgen immer schlechter, Feldfrüchte mit Hilfe von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zum Wachsen gebracht - alles Killer für die wild wachsende Natur. Weil die blühenden Feldraine aber fehlten, fanden Insekten nichts mehr zu fressen. Wildkräuter und Gräser, die etwa das Rebhuhn als Unterschlupf und Nahrung braucht, sind verschwunden.

Die Biologin Ursl Kunz aus Hohenlinden hat im Auftrag des Bundes Naturschutz vor dem Bienenvolksbegehren eine Liste von 13 Tierarten zusammengestellt, die im Landkreis Ebersberg kaum mehr zu finden sind, zum Teil auf der Roten Liste gefährdeter oder stark gefährdeter Arten in Bayern stehen. Das Rebhuhn gehört ebenso dazu wie Kiebitz und Feldlerche, Schmetterlinge wie der Abbiss-Scheckenfalter oder der Wiesenknopf-Ameisenbläuling, Amphibien wie der Springfrosch und Pflanzen wie Trollblume oder Sumpfgladiole.

Jedes Jahr zum Muttertag habe seine Mutter ihrer Mutter einen Strauß aus Trollblumen gepflückt, "die Wiesen waren gelb davon", erzählt Josef Rüegg, "ich kann mich selbst noch an ganze Wiesen mit Margeriten erinnern. Aber wenn Sie heute Fotos aus der Zeit anschauen, dann können Sie es gar nicht glauben, dass es das überhaupt gab." Wer noch eine Trollblume sehen will, muss genau wissen wo - am Egglburger See oder im Brucker Moos, so Ursl Kunz.

Aber nicht nur die seltenen oder gar endemischen Arten wie das Bayerische Löffelkraut - das nur an ein paar Stellen im südlichen Landkreis überhaupt wächst - sind bedroht, auch so genannte Allerweltsarten muss man heute suchen. "Vor 20 Jahren den Kindern ein Tagpfauenauge oder einen Zitronenfalter zu zeigen, war gar kein Problem - anders als heute", sagt Rüegg. Kunz erzählt von einer Population Erdkröten in der Nähe von Hohenlinden, der sie jahrelang jedes Frühjahr über die Straße geholfen hatte. "Dann ist das Waldstück abgeholzt worden, in dem sie ihr Winterquartier hatten. Sie sind längst weg." Und Höcherl sagt: "Nehmen Sie die Feldlerche und das Rebhuhn: Was war das für ein Konzert über den Feldern, wenn man abends draußen war! Jetzt hört man manchmal noch eine einzige Lerche."

Die letzte Schleiereule wurde vor 15 Jahren gesehen

Die wenigen Kiebitze in der Region kann Höcherl fast mit Namen ansprechen, erzählt von einem einsamen Nest, das er bei Ottersberg entdeckt habe. Von den kaum bewachsenen Flächen, die Kiebitze zum Brüten brauchen, gebe es zu wenige, Fressfeinde - darunter auch Hunde - zu viele. Die Feldlerchen, die in Äckern und Wiesen nisten, bräuchten drei Bruten im Jahr, um ihre Population zu halten. Bei den schnellen Ernteschritten aber schafften sie, wenn überhaupt, nur noch eine Brut. Ein Drittel der Feldlerchen, so Kunz, sei in den vergangenen 25 Jahren verschwunden, so Kunz.

Aber es gibt in der Region ursprünglich heimische Arten, denen es sogar noch schlechter geht - vielmehr: Es gibt sie nicht mehr. Die letzte Mitteilung über eine Schleiereule - in der Nähe von Markt Schwaben - habe er vor 15 Jahren bekommen, erzählt Richard Straub vom Landesbund für Vogelschutz. Der Nachtjäger als klassischer Kulturfolger habe früher bei oder in Bauernhöfen gelebt und sich von den Mäusen ernährt, die ihr Auskommen in den Saatspeichern hatten. "Weil aber heute der Bauer sein Saatgut in Tüten verpackt von Bayer oder Monsanto kauft, gibt es keine Mäuse und keine Schleiereulen mehr", klagt Straub. Vom letzten lebenden Brachvogelpaar habe er 1990 erfahren, es war in einer Senke bei Langwied entdeckt worden. Die Umgehungsstraße gab es in jenen Tagen noch nicht, aber zum Nisten war es wohl damals schon zu unruhig.

Tatsächlich aber scheint noch nicht alles verloren: "Es tut sich etwas in der Wahrnehmung", sagt Rüegg, langsam ändere sich etwas an der Ausbildung der Bauern. In der EU-Politik seien immerhin inzwischen Blühstreifen an Feldrändern in die Flächenförderung aufgenommen worden. Doch sei jeder Einzelne aufgerufen, mehr zu tun. Etwa im eigenen Garten auf Chemie zu verzichten, ebenso auf pflegeleichte Kies- und blühfreie Rasenflächen. Gerade habe er auf einem Feld bei Rinding, um das sich der Landschaftspflegeverband kümmert, eine Orchideenart wiederentdeckt - "was mich hoffnungsvoll stimmt: Wenn die Rahmenbedingungen passen, dann kann es wieder funktionieren".

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