Streit um Operation in der Kreisklinik:Kunstfehler oder Königsweg

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Ein Patient fordert 100 000 Euro Schmerzensgeld, weil er unter den Folgen von zwei chirurgischen Eingriffen leidet. Ein Entschädigungsangebot der Gegenseite lehnt er ab

Von Clara Lipkowski, München/Ebersberg

Um kurz nach 15 Uhr am Dienstag herrscht in Saal 314 im Landgericht kurz Fassungslosigkeit. Der Anwalt auf der einen Seite macht der Anwältin und dem Kläger auf der anderen Seite einen Vorschlag: "Für die zwei Operationen, die man dem Patienten hätte ersparen können, schlagen wir insgesamt 4000 Euro vor." Es geht um Schmerzensgeld, das ein Wasserburger nach einer Behandlung in der Ebersberger Kreisklinik erstreiten will. "Für dieses Ergebnis?", fragt die Anwältin entsetzt und meint damit den Gesundheitszustand ihres Mandanten. "Das ist eine Stillhalteprämie", sagt dieser aufgebracht - und lehnt das Angebot ab. Auch die doppelte Summe, die der Vorsitzende Richter Thomas Stelzner ins Spiel bringt, kommt für ihn nicht infrage. Der Betrag, den sich der Kläger vorstellt, liegt weit darüber. Er fordert 100 000 Euro Schmerzensgeld.

Der Mann, Jahrgang 1941, war 2012 in der Ebersberger Klinik in Behandlung. Zuvor war bei ihm Blasenkrebs diagnostiziert worden, er war mehrmals operiert worden, hatte eine Bestrahlung hinter sich und es traten weitere Komplikationen auf. In Ebersberg suchte er das Gespräch mit einem Urologen. Der Arzt soll ihm zu einer "Neoblase", einer künstlichen Blase, geraten und verkündet haben: "In zwei bis drei Monaten gehen Sie wieder baden und sitzen auf Ihren Segelboot." So jedenfalls schildert es der Kläger im Gerichtssaal.

Sechs Jahre später ist der Mann gesundheitlich immer noch "stark eingeschränkt", wie er sagt. Den Gerichtssaal betritt er mit Gehstock. Die erhoffte Besserung nach der Behandlung war nicht eingetreten, es traten stattdessen Komplikationen auf. Deswegen verklagte der Wasserburger den Arzt und die Klinik. "Das, was ich jetzt habe, hat mit der versprochenen Lebensqualität nichts zu tun", klagt er.

Er wirft dem Urologen mehrere Vergehen vor: Er soll ihn nicht nur falsch beraten und zweimal unnötig operiert haben - die künstliche Blase wurde wieder entfernt. Der Arzt soll außerdem eine Verletzung am Darm, die während eines Eingriffs vor der Blasen-OP entstanden war, selbst vernäht haben, ohne einen Fachchirurgen dazu zu holen.

Zur Klärung der chirurgischen Fragen, wird eine Urologin im Gerichtssaal befragt. Die Chefärztin macht klar, dass es üblich sei, dass der Arzt ein derartiges Loch im Darm selbst schließt. Solche Verletzungen kämen vor und könnten schnell behandelt werden, auch ohne Fachchirurg. Dass die Heilung anschließend nicht gut verlaufen sei, liege nicht am Operateur, sondern am schlecht durchbluteten Gewebe des Patienten, das von der vorherigen Bestrahlung geschwächt gewesen sei.

Allerdings, gibt sie zu bedenken, hätte sie dem Patienten angesichts der langwierigen und komplizierten Krankheitsgeschichte von der künstlichen Blase, abgeraten. Eben das habe der Arzt aber nicht getan, sagt der Kläger mit Nachdruck, vielmehr habe er ihm den Eingriff als "Königsweg" verkauft und die zwei unnötigen Eingriffe veranlasst. "Die Neoblase ist ja auch der Königsweg", wirft die Expertin ein, nur eben nicht in seinem Fall.

Der Urologe selbst ist an diesem Tag nicht geladen. Sein Anwalt widerspricht dem Kläger von der anderen Seite des Raums aber deutlich: "Die Operation ist auf Ihren ausdrücklichen Wunsch gemacht worden", sagt er, so sei es auch schriftlich dokumentiert worden. Sollte die Dokumentation falsch sein, sei es Aufgabe des Klägers, das zu beweisen. Einen Schuldigen für den "katastrophalen Verlauf", wie Richter Stelzner die Behandlung bezeichnet, will die Expertin nicht benennen. Stattdessen sei der Verlauf angesichts der Krankheitsgeschichte des Patienten "schicksalhaft". Manchmal könne man einfach nichts machen.

In einem dritten Verhandlungstermin im Dezember soll nun, trotz des ersten Entschädigungsangebots, geklärt werden, ob der Arzt dem Kläger die unnötigen Operationen tatsächlich empfohlen hat. Dazu werden der Urologe und die Ehefrau des Patienten gehört. Seine Ehefrau könne dies bezeugen, sagt er, sie sei bei dem entscheidenden Beratungsgespräch dabei gewesen.

Der Wasserburger hatte sich eigentlich ein schnelles Verfahren gewünscht, sagt er zum Ende der Verhandlung. Denn ob er die Zeit bis zum nächsten Termin überstehe, wisse er nicht. An dieser Stelle unterbricht ihn der Richter: "Ich möchte Ihnen ersparen, jetzt weiter zu sprechen und sage Ihnen: Ich will Sie heuer noch einmal sehen."

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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