Streifzug durch die Finanzwelt:"Eine gute Wahl!"

Streifzug durch die Finanzwelt: Spitzzüngig, doch nie schulmeisterlich erteilt Claus von Wagner einen Crashkurs in Finanzwissen.

Spitzzüngig, doch nie schulmeisterlich erteilt Claus von Wagner einen Crashkurs in Finanzwissen.

(Foto: Christian Endt)

Kabarettist Claus von Wagner brilliert im Alten Speicher

Von Michaela Pelz, Ebersberg

"Satire arbeitet mit Übertreibung, doch was genau soll ich noch dazuerfinden?", fragt Kabarettist Claus von Wagner im Hinblick auf die aktuellen politischen Verhältnisse, während er sich mitten im Saal des seit Wochen ausverkauften Alten Speichers in Ebersberg aufbaut, um das Publikum einmal tatsächlich zu sehen, bevor er beim Ein-Mann-Stück "Theorie der feinen Menschen" vom Bühnenlicht geblendet wird. Als er dann kurz darauf erläutert, wie sich Bestätigung und Demütigung die Waage halten, wenn der Künstler auf der Straße von Passanten erkannt wird, ohne dass diese sich freilich an den zum TV-Gesicht gehörigen Namen erinnern, hat der 41-Jährige mit dem jungenhaften Lächeln die Zuschauerinnen und Zuschauer bereits im Sturm erobert.

Doch das altersmäßig gemischte Publikum ist nicht gekommen, um sich mit launigen Szenen aus dem Alltag unterhalten zu lassen, wiewohl Claus von Wagner auch diese Disziplin souverän beherrscht. Nein, die Fans erwarten eine bissige Abrechnung mit den Big Playern der Finanzkrise - und genau diese bekommen sie auch: Köstlich und kundig aufbereitet von Wagners Alter Ego "Claus Neumann".

Der wiederum ist bis zum Folgetag im Tresorraum einer Bank eingeschlossen, wo er eigentlich nur das Schließfach seines jüngst verstorbenen Vaters ausräumen wollte. Den Zwangsaufenthalt nutzt der Mann nun zum Schreiben einer Laudatio auf den Toten. Problem dabei: Das zu Lebzeiten eher angespannte Verhältnis der beiden, sowie sein Desinteresse sowohl an der genauen Tätigkeit des Ex-Wirtschaftsprüfers als auch der Finanzwirtschaft überhaupt.

Das allerdings ändert sich in den darauffolgenden mehr als zwei Stunden gewaltig und die Bühnenfigur taucht durch das Studium von im Schließfach enthaltenen Unterlagen immer tiefer ein in die Materie von Bank- und Börsengeschäften, wobei auch der eigene Vater in ganz neuem Licht erscheint. Zeitgleich erhält das Publikum anhand von echten Zitaten, Studien, Anekdoten und anschaulichen Beispielen einen auf den ersten Blick schwarzhumorigen, in Wahrheit jedoch absolut validen Crashkurs in Finanzwissen.

Es geht los mit Typen wie "Dr. Gump", Prototyp des Kapitalismus in Reinkultur (nebst Gutmenschen hassender Tochter), jene "feinen Menschen", die beim Charity-Event mit Häppchen darüber entscheiden, wer das gesammelte Geld bekommen soll. Wie der Saal das sieht, beweist der tosende Zwischenapplaus.

Bei der klugen Erklärung hingegen, wie sich findige Bankberater - ebenso wie raffinierte Kellner - beim Verkauf dubioser Produkte den Wunsch der Kunden nach Lob und Bestätigung zunutze machen ("eine gute Wahl!"), fühlt sich wohl so mancher ertappt und beschließt, beim nächsten Mal die 200 Seiten dicke Hochglanzbroschüre vielleicht doch genauer zu studieren, statt sich vom Segelboot-Titelbild blenden zu lassen.

Während der Chefsessel auf der Bühne mal zum Auto-, dann zum Flugzeugsitz mutiert, auf dem der Protagonist mit vollem Körpereinsatz seine Beispiele demonstriert, rast Wagner/Neumann, teilweise im Schnellsprechmodus und immer derangierter, spitzzüngig, doch nie schulmeisterlich durch weitere Themen: Von missglückten IWF-Prognosen und den Lehren des Adam Smith über Finanzhaie, Politiker, die nicht lügen ("vorausgesetzt, die Bürger verhalten sich richtig"), bis hin zur Verzahnung von Wirtschaftsprüfung und -Beratung.

Nach einem Exkurs in die Welt der Rating-Agenturen und dem Vergleich von Derivaten mit Pferdewetten ohne Kenntnis von Parametern wie Strecke, Teilnehmer oder Richtung, äußert sich ein Landkreisbewohner, der lieber anonym bleiben möchte: "Man kann das alles nur bestätigen - ich kenne mich aus, ich arbeite in einer Bank!" Spätestens nach dieser Aussage ist klar, dass das Thema seit der Premiere des Programms im Jahr 2012 nicht an Relevanz verloren hat. Am Ende des Abends hat der vielfach preisgekrönte Künstler dem begeisterten Publikum eindrucksvoll bewiesen, dass man auch anspruchsvolle Themen durchaus unterhaltsam präsentieren kann. Und er hat deutlich gemacht, dass ein Kabarettist wie er, mit dem richtigen Ton für jedes Alter, garantiert nie Angst um seinen Arbeitsplatz wird haben müssen. Sonst bliebe ja immer noch der Weg in die Politik ...

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: