Süddeutsche Zeitung

Grafing:Stall-Wettbewerb: Pferdehof aus Straußdorf holt dritten Platz

Evelyn und Martin Lechner überzeugen bei "Unser Stall soll besser werden". Punkte sammeln sie vor allem mit ihrer Offenstallhaltung - und ihren Pferden.

Von Nathalie Stenger, Grafing

Wie gemalt erstreckt sich das Alpenpanorama am Horizont, stehen die kahlen Bäume neben den blassen Feldern. Und wie im Film galoppieren die Pferde mit wehender Mähne von der Weide auf die Koppel, eins nach dem anderen, als hätte man sie gerufen. Dabei ist hier, am Pferdehof Anger in Straußdorf, genau das Gegenteil der Fall. "Wir sind von der offenen Stallhaltung überzeugt", sagt Martin Lechner, "unsere Tiere können sich rund um die Uhr frei bewegen." Und nicht zuletzt die Pferde sind der Grund, warum Familie Lechner dieses Jahr im Wettbewerb "Unser Stall soll besser werden" von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und dem Fachmagazin Reiter Revue International mit dem dritten Platz ausgezeichnet worden ist.

Es ist einer dieser selten schönen Herbsttage, wenn es in der Sonne noch angenehm warm ist und im Schatten doch recht frisch, als Evelyn und Martin Lechner über ihren Pferdehof Anger in Straußdorf führen. Wie ein kleines Paradies liegt das mehr als zehn Hektar große Gelände am Rand des kleines Ortsteils von Grafing. Haus und Hof - satte Gelbtöne zieren die Fassaden - habe sein Vater gebaut, erzählt Martin Lechner, im Jahr 1954, früher habe man hier Rinder und Kälber gehalten. Jetzt sind es zwei Dutzend Pferde, Hengste, Wallache und Stuten, ein paar wenige eigene und solche, die von Einstellern gebracht werden. Zwei Hengste im Alter von eineinhalb Jahren stehen neugierig am Gatter, Martin Lechner stellt sie als Toni und Uli vor und streichelt sie. Was gleich auffällt: Es gibt keine typischen Boxen auf dem Pferdehof, dafür jeweils einen großzügigen Schlaf- und Fressplatz für die Gruppen. "Unsere Tiere können frei entscheiden, was sie machen wollen", sagt Evelyn Lechner, die gerade in Stiefeln und Weste von der Koppel kommt. "Sie sind nicht von einem Menschen abhängig, der einmal am Tag kurz in den Stall kommt."

Die Agraringenieurin ist sich sicher: "Eigentlich sind es die Pferde selbst, die uns zum Sieg verholfen haben. Die sind so cool und entspannt, und das ist auch der Jury aufgefallen." Letztere sei im Sommer da gewesen, eine Gruppe aus Tierärzten, Verantwortlichen des Magazins Pferde Revue und auch Agraringenieure, so die 47-Jährige. "Sie haben sich den Hof angeschaut und uns Tipps und Anleitungen gegeben, wie wir den Stall verbessern können." Aus mehreren Weidetoren wurde so ein modernes Metallgatter mit geringerer Verletzungsgefahr für die Tiere, und auch das Impfprogramm haben die Lechners optimiert.

"Eigentlich habe ich gar nicht gewusst, dass es ein Wettbewerb ist", erzählt Martin Lechner später und lacht, "das habe ich erst im Nachhinein herausgefunden." Er habe sich einfach für ein Programm zur Stallverbesserung bewerben wollen, er und seine Frau seien, so der gelernte Landwirtschaftsmeister, "sehr überrascht, dass wir in die engere Wahl gekommen sind".

Gefüttert und ausgemistet wird auf dem Pferdehof Anger von Hand. "Das braucht man, um zu wissen wie's den Tieren geht", sagt der 65-Jährige. Es scheint, als habe dieses Haltungskonzept Martin und Evelyn Lechner aufs Siegertreppchen verholfen. Im Juryurteil, das dieses Jahr schon zum 27. Mal von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und dem Fachmagazin Reiter Revue International gefällt wurde, werden konkret drei Punkte beim Pferdehof Anger gelobt: "das schöne Miteinander der Pferde und deren Verhalten in der Gruppe", "die zeit- und arbeitsintensive Fütterung von Kraftfutter aus Eimern". Diese sehe die Jury im Sinne der Pferde durch den täglichen, intensiven Kontakt zwischen Familie Lechner und den Tieren, heißt es in der Bewertung. Außerdem seien die Betriebsleiter sehr engagiert und wissbegierig und jederzeit bereit, dazuzulernen und sich zu verbessern. "Es war schön, dass man uns gesagt hat, dass wir das gut machen", freut sich Evelyn Lechner. "Wir haben zwar immer schon Pferde gehabt, den Stall führen wir aber noch gar nicht so lange selbst." Bis 2017 sei er immer verpachtet gewesen.

Neu auf dem Hof - auch ein Vorschlag der Jury - ist die Separationsbox. "Wenn es einem Tier mal nicht so gut geht", sagt Evelyn Lechner und deutet auf den abgetrennten Unterstand. An ihm läuft man vorbei, wenn man zu den Stuten will, die auf einer Koppel neben den Wallachen stehen. Eine Stute knabbert gerade an dem Zweig eines Nadelbaums, Evelyn Lechner hat ihn auf die Koppel gelegt, "Tanne und Fichte sind gut für die Bronchien", sagt sie. Diese Pferde sind alle älter als die Hengste, eine "Rentnerin mit 24 Jahren" trabt gerade auf ihre Artgenossen zu.

Tatsächlich konzentriert man sich am Pferdehof Anger besonders auf Junghengste. Zwölf sind es, "die hier ihre Kinderstube verbringen", sagt Evelyn Lechner. Die Tiere kommen mit sechs Monaten und verlassen den Hof mit etwa drei Jahren. In dieser Zeit machen die Hengste Erfahrungen mit Rangkämpfen und Fellpflege. "Das ist der Vorteil einer offenen Stallhaltung", sagt Martin Lechner, "viel Bewegung und ein gesundes Herdenverhalten." Der Nachteil: "Die Eingewöhnungsphase bedeutet Aufwand. Wir stellen das neue Pferd extra, es hat aber Kontakt zu den anderen und sie können sich beschnuppern. Das kann teils bis zu zwei Wochen dauern", erläutert der Landwirtschaftsmeister. Es sei eine Kunst, zu erkennen, welches Pferd zur Herde passe und welches nicht. Und wenn dies nicht der Fall sei, dann könne es nicht bleiben.

"Unsere Pferde sind außerdem ein bisschen schmutziger", sagt Evelyn Lechner. "Aber nur ein schmutziges Pferd ist ein glückliches Pferd", wirft ihr Mann ein. Für Sportreiter sei diese Art der Haltung nicht so beliebt, sagt der 65-Jährige dann, weil sie ihr Pferd für einen Ausritt erst von der Weide holen und putzen müssen. Das ist kein Problem beim Pferdehof Anger: "Wir sind kein Reiterbetrieb", so Evelyn Lechner, es gebe zwar ein Ausreitgelände, aber weder Reithalle noch Reitplatz. Deshalb bereiten ihnen auch die aktuellen Kontaktbeschränkungen im Stall keine Probleme.

Der Wettbewerb allerdings war durchaus eingeschränkt: Aufgrund der Pandemie konnte die Preisverleihung von "Unser Stall soll besser werden" nicht wie gewohnt auf den Bundeschampionaten in Warendorf, dafür virtuell stattfinden. Neben Familie Lechner erhielt ein weiterer Hof den dritten Platz: das Pferdesport- und Reittherapiezentrum der Gold-Kraemer-Stiftung in der Nähe von Köln. Platz zwei machte der Aktivstall Allendörfer aus Hessen, und den ersten Platz erreichte die Pferdepension Dinghorst bei Kiel.

Von hinter Augsburg kommen die Einsteller, um ihre Hengste bei Lechners aufziehen zu lassen. Das sei eine Marktlücke, so die 47-Jährige, aber mehr können sie nicht aufnehmen. "Wir haben keine Mitarbeiter, und ich kann mir nur maximal 25 Namen merken", sagt sie und lacht. So kenne sie die Pferde persönlich, und es sei auch das Arbeitsmaximum für die Familie. Ohne die Unterstützung ihrer vier Kinder sei es schwierig. "Aber die Arbeit mit den Tieren gibt uns was", sagt Evelyn Lechner.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2020/koei
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