Süddeutsche Zeitung

Steinhöringer Werkstätten:"Für uns ist es ein ganz großer Schock"

Mitarbeiter des Einrichtungsverbund Steinhöring stellen sich gegen die Kündigung ihrer langjährigen Chefin Gertrud Hanslmeier-Prockl. Es kommt zum Gerichtsprozess.

Von Viktoria Spinrad, Steinhöring

"Ein großer Schock", "als wäre jemand gestorben", "niemand versteht das": Nach der Entlassung ihrer langjährigen und beliebten Chefin begehren Mitarbeiter des Einrichtungsverbunds Steinhöring nun gegen den Träger auf. Am Dienstag haben Mitarbeiter eine Unterschriftenaktion gestartet, um sich für den Verbleib ihrer geschassten Vorgesetzten Gertrud Hanslmeier-Prockl einzusetzen.

Wie viele von ihnen am Montag überrascht erfuhren, hat die Katholische Jugendfürsorge der Erzdiözese München und Freising (KJF) dieser "wegen unüberbrückbarer Differenzen" gekündigt. Erfahren haben die Mitarbeiter das in einer kurzen Mitteilung per E-Mail. Darin heißt es, dass die Differenzen "trotz intensiver Bemühungen der Vereinsführung in einer Vielzahl von Gesprächen nicht ausgeräumt werden konnten".

Es ist eine umstrittene Entscheidung, für die die etwa 900 Mitarbeiter des Einrichtungsverbunds offenbar wenig Verständnis haben. "Für uns ist es ein ganz großer Schock. Sie hat Tabuthemen wie Homosexualität aufgebrochen und war immer offen für einen Kompromiss", heißt es aus Mitarbeiterkreisen. Hanslmeier-Prockl habe die Mitarbeiter ernstgenommen, jeden ungeachtet von Hierarchien gleich behandelt und viele Projekte angestoßen: "Sie hat bei vielen Leuten ein Bewusstsein dafür geschaffen, warum wir tun, was wir tun."

Wie passt das mit der Kündigung zusammen? Mitarbeiter sprechen von "Majestätsbeleidigung". Hanslmeier-Prockl soll dem Aufsichtsrat gegenüber rote Zahlen im Kinder- und Jugendhilfeverbund (EVKJ) angesprochen und Vorschläge zur Neuausrichtung der EVKJ gemacht haben. Ein persönlicher Affront als Kündigungsgrund? Der Träger hält sich hier mit einem Verweis auf den Datenschutz bedeckt. Zu erfahren ist auch nicht, ob der Steinhöringer Einrichtungsverbund tatsächlich als einziger rentabel gearbeitet hat. "Was wir sagen können ist, dass die Katholische Jugendfürsorge in ihrer Gesamtheit wirtschaftlich stabil dasteht", so die Sprecherin. Zur Kündigung ist nur zu erfahren, dass diese Entscheidung in Aufsichtsrat und Vorstand einstimmig erfolgte und diesem auch nicht leicht gefallen sei. "Das Arbeitsverhältnis ist zerrüttet. Die Entscheidung musste getroffen werden", so die Sprecherin.

Kritik an der Kündigung kommt auch vom Förderverein des Steinhöringer Einrichtungsverbunds. Gertrud Hanslmeier-Prockl habe die Vorschläge einzig und allein gemacht, "um Schaden von der KJF abzuwenden", so die Vorsitzende Ursula Bittner. Unter ihrer Leitung sei der Steinhöringer Einrichtungsverbund "zu einem Erfolgsmodell" geworden. Bittner spricht von einer "hoch angesehenen Gesamtleiterin" bei Verbänden, Kostenträgern, Politik und Mitarbeitern sowie einer "Vordenkerin und Identifikationsfigur". Derzeit liefen wichtige Umstrukturierungen, Angebots-Erweiterungen und Vertragsverhandlungen mit den Kostenträgern, "die ihre Anwesenheit dringend erforderlich machen." Dass sich der Träger von einer "so kompetenten Kraft" trenne, sei "vollkommen unverständlich."

Während sich der Träger auf die vor dem Münchner Arbeitsgericht anstehende Güteverhandlung vorbereiten dürfte, kritisieren Mitarbeiter auch dessen Informationspolitik. Von mehreren Mitarbeitern ist zu hören, dass sie sich eine Betriebsversammlung gewünscht hätten, in der der Vorstand Rede und Antwort gestanden hätte. Eine solche Veranstaltung war laut Träger aber nicht möglich: "Die Entscheidung musste schnell an die Mitarbeiter gehen. Eine Betriebsversammlung hätte sehr viel länger gedauert." Zumal man dann in jeder Einrichtung eine Betriebsversammlung hätte veranstalten müssen: "Das wäre mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden gewesen", so die Sprecherin.

Derweil machen sich Mitarbeiter Sorgen, wie es nun weitergeht in den Wohngruppen und Werkstätten, Schulen und Kinderhäusern des Einrichtungsverbunds, deren Chefin Hanslmeier-Prockl neun Jahre lang war. "Es wird ein Einbruch werden", heißt es mit Blick auf angeschobene Projekte. Die KJF versichert, dass die Geschäfte "gut weitergeführt werden": Der Einrichtungsverbund verfüge über ein gutes Stellvertreterteam. Bis die Stelle besetzt ist, soll ein externer Interims-Manager vom 3. Juni an unterstützen. Dieser soll auch bereits bestimmt sein.

Der Einrichtungsverbund Steinhöring wurde 1971 als Betreuungszentrum Steinhöring gegründet. Er unterstützt Menschen mit Behinderung dabei, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Mittlerweile besteht er aus insgesamt 29 Einrichtungen in den Landkreisen Ebersberg und Erding, in denen Menschen mit Behinderung wohnen, lernen und arbeiten. Offenbar mit Erfolg: Als einer von 25 Arbeitgebern bundesweit ist der Verbund heuer als "Great Place to Work" ausgezeichnet worden. In der Befragung lobten die Mitarbeiter die Arbeitsplatzkultur vor Ort, insbesondere die Eigenverantwortlichkeit: "Eigene Ideen (...) werden wertgeschätzt und wenn möglich auch gefördert", so ein Mitarbeiter.

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SZ vom 22.05.2019/koei
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