„Nix Orff – wir wollen Rock!“ So fasst Franz Wallner die Entstehung seiner Band zusammen. Damals, vor 36 Jahren, gab es offenbar eine kleine Revolte in der Musiktherapie des Betreuungszentrums Steinhöring (BZ). Doch die traf auf offene Ohren, weil viele der „alten Haudegen“, also Musiker hiesiger Bands wie den Panzerknackern, dem Einrichtungsverbund auf vielfältige Weise verbunden waren. „Stichwort: Zivildienst“, sagt Sozialpädagoge Wallner und lacht. Also wurden die Klangstäbe eilig weggeräumt, dafür die Gitarren gestimmt.
Seitdem ist die inklusive Band aus dem Einrichtungsverbund weit über den Landkreis Ebersberg hinaus als musikalischer Botschafter unterwegs. Das Rote Motorrad steht „für Party, Toleranz, Mut, Völkerverständigung und die Begeisterung über die eigenen Fähigkeiten“. Gespielt werden Pop- und Rocksongs, mal auf Bairisch, mal auf Hochdeutsch oder Englisch. Freilich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Besetzung immer mal wieder verändert, doch der langjährige Betreuer Wallner ist noch heute dabei. Er sei der „Depp vom Dienst“, sagt er, doch seine Bandkollegen widersprechen ihm gleich vehement. Graue Eminenz würde wohl viel besser passen.
Es ist früher Montagabend, die Bandmitglieder haben sich in ihrem Proberaum in Steinhöring versammelt, denn am Wochenende steht ein großer Auftritt an: Am Samstag, 12. Oktober, veranstaltet der Bezirk Oberbayern gemeinsam mit dem Einrichtungsverbund Steinhöring das erste „Inklusive Bandtreffen“ im Alten Speicher in Ebersberg. Ab 15 Uhr machen hier – bei freiem Eintritt – Musikerinnen und Musiker mit und ohne Beeinträchtigungen aus ganz Deutschland zusammen Musik.
Bezirkstagspräsident Thomas Schwarzenberger wird als Schirmherr die Veranstaltung eröffnen, außerdem hat sich der bayerische Liedermacher Roland Hefter mit einer Performance angekündigt. Mit dabei sind, neben dem Roten Motorrad, Angela Ordu & Free Spiritz, Rempac, PowerPack, das ABM-Orchester und die RolliGang. Sie alle wollen mit ihrem unvergleichlichen Sound begeistern. Das Motto? „Let’s Fetz!“
Ein Probenbesuch zeigt: von Selbstzweifeln oder Lampenfieber keine Spur
Was das bedeutet, lässt sich schon bei der Probe im Keller des BZ erahnen. Obwohl drei Bandmitglieder mit Grippe im Bett liegen – Drummer Heinzi Bonath sowie die beiden Gitarristen Robin Kießling und Schorsch Pichmoser – wird hier gleich ordentlich gerockt. Von Selbstzweifeln oder Lampenfieber keine Spur. Die beiden Sänger Tobi Kudler und Julian Gießlmann, Bassist Alfred Mertins, Perkussionist Reinhard Barta und Caro Dichtl an der Conga geben alles. Unterstützt werden sie dabei von Franz Wallner und Reinhard Bauer, ehrenamtlicher BZ-Mitarbeiter, an den Gitarren.
Gleich mit dem ersten Song, dem Gospel „Hey Man“, beweist die Band, dass sogar ein wilder Ritt quer durch die Tonarten sie nicht aus dem Tritt bringt. „Wir können das alles spielen!“, freut sich Wallner mit stolz geschwellter Brust. Und weil viele dieser Musiker nicht nur Instrumente beherrschen, sondern auch gerne singen, ist die Mehrstimmigkeit ein absolutes Markenzeichen des Roten Motorrads.
Klar, vieles passiert hier aus dem Bauch heraus, „ohne Rezept“, wie Wallner das nennt. Notenständer sind deshalb in diesem Proberaum Mangelware. Doch wirklich jedes Talent wird hier rausgekitzelt. Bei „Sierra Madre“ zum Beispiel greift Tobi zur Panflöte und Alfred zur Posaune, bei „Hey hey Wickie“ legt Caro ein Trommelsolo hin, das die anderen staunend grinsen lässt. Ja, das ist wahrscheinlich das Geheimnis dieser Truppe: Sollte doch mal ein Ton etwas schief geraten, so rückt die Freude sofort alles wieder gerade.
Sogar eine eigene Hymne hat die Band inzwischen: Zur berühmten Melodie von „Hot Love“ (T. Rex) hat Reinhard Bauer einen wunderbar energischen bairischen Text geschrieben: „S’rote Motorrad hoast de Band, damit ihr uns jeatza kennt’s, aha-ha, zu de stoaneringer Werkstätten do ghörn mia dazua, aha-ha, san a bunt gmischter Haufa, kunterbunt wuid und frei! Ja des san mia!“
Diese Begeisterung wisse auch das Publikum sehr zu schätzen, erzählt Wallner. Gerade in den eigenen Reihen gebe es sehr viele Fans, was die Basis für die langjährige Kontinuität der Band sei. Aber auch bei externen Auftritten ernte das Rote Motorrad großen Zuspruch. In der Boandlkramerei auf der Oidn Wiesn zum Beispiel habe sich die bis dahin leere Tanzfläche schnell mit einer Polonaise gefüllt, vor allem ein paar norwegische Altrocker hätten die Musik aus Steinhöring ordentlich gefeiert.
Und nun wird der Alter Speicher in Ebersberg geentert. Die Idee zu dem inklusiven Festival sei aus der Band heraus entstanden, erzählt Wallner. „Der Wunsch war, sich einfach mal mit Gleichgesinnten zum Musikmachen zu treffen, ganz ohne Konkurrenz.“ Vielmehr gehe es darum, die Freude am Auftreten miteinander zu teilen und das Netzwerk auszubauen. Und weil Wallner in Bruckmühl wohnt und per Zufall ins Gespräch kam mit jemandem vom dortigen Zentrum für Volksmusik, Literatur und Popularmusik, ist nun dessen Träger, der Bezirk Oberbayern, als Veranstalter mit an Bord.
Generell nehme das Interesse an Inklusion im kulturellen Bereich spürbar zu, sagt Wallner, momentan jedenfalls gebe es viele Buchungsanfragen. Allerdings, wirft Gitarrist Bauer ein, sei die Band leider nicht immer und überall willkommen. Ein trauriger Blick, ein Schulterzucken. Doch dann geht es schon gleich wieder weiter mit dem nächsten Song. „Leben so wie ich es mag“, das scheint Volker Lechtenbrink dem Roten Motorrad auf den Leib geschrieben zu haben. „Leben so wie ich es mag, Leben spüren Tag für Tag, das heißt immer wieder fragen, das heißt wagen, nicht nur klagen, Leben so wie ich es mag, und ich hass’ die Selbstgerechten, diese echten Schlechten, die ihre Kinder heut noch hau’n, dafür liebe ich die Raren, die sich ihren Stolz bewahren, denen kann man noch vertrau’n“. So singen sie, diese echten Raren, und man sollte ihnen unbedingt mal dabei zuhören.
„Let’s Fetz!“: Inklusives Bandfestival im Alten Speicher Ebersberg am Samstag, 12. Oktober, von 15 bis 22 Uhr. Der Eintritt ist frei. Im Programm wäre sogar noch Platz für ein bis zwei weitere Bands – bei Interesse gerne melden bei Franz Wallner per Mail an f.wallner@kjf-muenchen.de oder telefonisch unter (08094) 18 21 23.