Nomen est omen. Auch und gerade bei literarischen Werken. Gut möglich, dass die Stimmen der von den „pfundigen Charakteren“ ohnehin schon begeisterten Fans noch euphorischer ausgefallen wären, hätte Rolf Mai seinen zweiten Wamprechtshammer-Krimi „Dem Depp sei Hacklstecka“ genannt, wie ursprünglich geplant. Statt dieser Bezeichnung für einen, „Deppen-Depp“, wählten Autor und Verlag den Titel „Beidlschneider“.
Dieser allerdings fasst durchaus treffend den Inhalt des ebenso originellen wie stellenweise deftigen, fast derben Krimis zusammen, in dem sich Upperclass-Immobilienspekulanten, High-Tech-Fahrzeuge und eine mörderische Rentnergang, eingebettet in viel Action und noch mehr Dialekt, ein turbulentes Stelldichein geben. Auch einen weiteren Grund gibt es für die Titel-Entscheidung ...
Doch von vorn: Schauplatz der Ereignisse rund um Herbert „Berti“ Wamprechtshammer und sein Team ist einerseits München, andererseits das östliche Umland. Weit gefehlt allerdings, wollte man im Landkreis Ebersberg jene Scheune suchen, in der das Verhängnis seinen Anfang nimmt, das erst einen Motorradfahrer das Leben und dann einen Bürgermeister einen Teil seiner Männlichkeit kostet.
Und das, obwohl Autor Mai, hauptberuflich im Bereich Werbung und Marketing tätig, seit einigen Jahren in einem 250 Jahre alten Haus in Steinhöring lebt und die Gegend außerordentlich mag. „Bei mir hat Authentizität eine gewisse Dehnbarkeit“, erklärt er mit einem Augenzwinkern. Darum habe er zwar den Großraum festgelegt – was für alle Eingeweihten durch die Erwähnung der „Weißen Frau“ deutlich wird – nicht aber den genauen Ort. So könne er seine Freiheit ausleben, Dinge zu schildern, die „sich anfühlen, als könnten sie Realität sein“, es aber (teilweise noch) nicht sind. Das gilt längst nicht nur für die geografische Verortung.
Kurioser Polizeieinsatz:"Weiße Frau" geistert durch den Ebersberger Forst
Eine 17-Jährige spielt im Nachthemd an der Hubertuskapelle die bekannte Sage nach - zur Beunruhigung einiger Verkehrsteilnehmer.
Es trifft auch auf technische Details zu, wie die Selbstfahrqualitäten einer Harley-Davidson und eines Tesla, der eine ganz entscheidende Rolle spielt. Und schließlich dehnt der selbstironische Mai seine Kreativität aber auch auf bestimmte Eigenarten der Protagonisten aus. Wie etwa die körperlichen Fähigkeiten von Gerdl, geschätzter Freundin des Kommissars und außerdem zukünftiger Ehefrau seiner Ex, die an einer Stelle des Buches ohne erkennbare Anstrengung ein Fünfzigliterfass Bier unter dem Arm trägt.
Der Autor ist ein großer Fan der Marvel-Comics – das merkt man dem Roman an
Diese Begebenheit macht gleich in mehrerlei Hinsicht den Grundton des Romans deutlich: Schillernde, diverse Charaktere – der Autor nennt es „Die Welt ist bunt“ – sowie eine (erkennbare) Überhöhung der Realität; mal augenzwinkernd ironisch, mal als skurrile Brechung einer blutigen Szene, von denen es einige gibt. „Man muss überspitzen, sonst wäre es viel zu ernst.“ Nicht von ungefähr outet sich Mai als großer Marvel-Fan mit „bildhafter Denke“. Das Ergebnis ist ein durchaus spannender Krimispaß mit Figuren, die beim Lesen schnell ans Herz wachsen.
Zunächst ist da der Hauptcast, neben dem Helden bestehend aus Theresa „Reserl“ Gruber, seiner schlagkräftigen Kollegin aus der Nähe von Rosenheim sowie Kommissar Siegfried „Sigi“ Leininger, einem fränkischen Jan-Ullrich-Fan. Doch auch die Truppe rüstiger Rentner auf Gerechtigkeits- und Rachefeldzug kommt gut an.
Möglich, dass es am Schauplatz ihrer Aktivitäten liegt: München, „eine Stadt, die immer teurer wird und elitärer“ und in der „kein Platz mehr ist für normale Leute und die ganz Alten“, wie Mai es formuliert. Vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass die schieß- und stichstarken Senioren nicht zimperlich sind in den Methoden, mit denen sie den „Beidlschneidern“ Einhalt bieten.
Zu diesen gehört neben einem korrupten Politiker auch ein skrupelloser Finanzhai, Ehemann einer „drittklassigen Schauspielerin“, der mit dubiosen Anlagegeschäften Menschen um ihre Ersparnisse gebracht hatte, bevor er sich jetzt in einer TV-Show als Investor geriert. Hat der Autor keine Sorge, dass sich in dieser Beschreibung ein Prominentenpaar erkennen könnte? Die Frage quittiert der 57-Jährige mit einem Lachen: „Sie sind es ja nicht, könnten es nur sein! Außerdem: Es wäre super, wenn mich jemand verklagen würde. Dann käme das Buch wahrscheinlich sofort auf Platz eins der Bestsellerliste!“
Der Verlag ist zwar klein, aber durchaus etabliert in der Branche
Idyllisches Gegenstück zum beschriebenen Bestechungs- und Immobiliensumpf ist die beschauliche Schrebergartensiedlung, in der Onkel und Tante des Protagonisten diesen nur allzu gern willkommen heißen. Während die Beschreibung der allermeisten Figuren, wie Mai immer wieder betont, auf einer „Mischung aus verschiedenen Personen, die ich im Laufe meines Lebens getroffen habe“ basiert, dominiert bei diesen beiden tatsächlich die liebevolle Erinnerung an seine eigenen Großeltern, mit denen er in der Kindheit viel Zeit verbrachte.
Auch das Schreiben hat dem Kommunikationsberater immer Spaß gemacht – genau deswegen schenkte ihm seine Frau einen Kurs. Zu den sechs bis acht Abenden nahm Mai seine bereits existierende Rohversion des ersten Krimis mit. „Durch das Vorlesen und den Austausch mit den anderen habe ich letztendlich meinen Stil gefunden.“ Inspiration geliefert hätten auch der SZ-Fluch- und Schimpfkalender sowie Gerhard Polts hemmungsloser Zeteranfall in „Longline“. Dass er für das fertige Werk gleich einen Verlag fand, zwar klein, aber durchaus etabliert, hat mit Glück zu tun. „Ich kenne den Verlagschef und er hat es tatsächlich gelesen.“
Ungewöhnlich ist Mais Arbeitsweise: „Wenn ich ein Buch schreibe, schaue ich mir nebenbei einen Film an.“ Damit jene Hirnhälfte, „die mir dauernd reinredet und mich überlegen lässt, ob auch wirklich gut ist, was da steht“, abgelenkt ist.
Im kommenden Jahr soll der dritte Band „Bockfotzn“ erscheinen
Seine Leserinnen und Leser finden das auf jeden Fall – von Band eins sind schon vier Auflagen verkauft und auch der zweite Band kommt gut an. Einer der Gründe könnte sein, dass der gemütliche, aber alles andere als tumbe Kommissar heraussticht aus dem düsteren Meer von depressiven, beschädigten Krimihelden. „Mein Berti mag sein Leben. Er hat einen positiven Blick auf die Dinge, ihm geht es finanziell gut und er kommt mit jeder Art von Schicksal zurecht.“
Deswegen hat Mai die Absicht, seinen Protagonisten noch zahlreiche weitere Abenteuer erleben zu lassen. Möglicherweise wird die Schlagzahl bei den mundartlichen Ausdrücken abnehmen, ganz verschwinden werden die jedoch nie, „schließlich ist die Sprache ja wichtiger Teil von meinem Wamprechtshammer“. Darum sieht der langfristige Plan vor, buchstabentechnisch beim Titel immer einen „Dreier“ zu fahren. So soll auf „Brunzkachl“ und „Beidlschneider“ im kommenden Jahr „Bockfotzn“ folgen. Was nichts anderes als ein Synonym ist von der auch außerhalb Bayerns bekannten „Watschn“, wie der Autor betont.