Süddeutsche Zeitung

Steinhöring:Beherzter Sprung ins tiefe Loch

Valentin Urban hat seine kleine Schwester aus einem alten Brunnen gerettet - jetzt wird der 13-Jährige dafür vom Ministerpräsidenten ausgezeichnet.

Barbara Mooser

Auf einmal war die kleine Schwester weg. Noch vor wenigen Sekunden war sie hinter dem elfjährigen Valentin hergelaufen, hatte versucht, ihm beim Heumachen zu helfen. Als er sich wieder umschaute, war die zweijährige Amelie wie vom Erdboden verschluckt. Der junge Steinhöringer begann nach der Kleinen zu rufen, nach ihr zu suchen, da entdeckte er ein tiefes Loch im Boden - und in ihm die panische Schwester. Valentin zögerte keine Sekunde, sprang Amelie hinterher und schaffte es, das Mädchen aus dem Loch zu stemmen, in dem ihm, dem Großen, schon das Wasser bis zur Brust stand. Hätte er gezögert, hätte er erst versucht, die Eltern zu benachrichtigen - "wer weiß, vielleicht wäre es dann zu spät gewesen", sagt Mutter Daniela Urban heute. Für seine mutige und selbstlose Tat wird Valentin am kommenden Dienstag mit der Rettungsmedaille des Ministerpräsidenten ausgezeichnet.

Der junge Retter selbst erzählt von jenem Nachmittag im November 2010 mit großer Gelassenheit. Ob er denn Angst gehabt habe? "Ein bisserl", sagt der heute 13-Jährige nach kurzem Nachdenken, "aber nicht besonders." Für ihn war es einfach selbstverständlich, dass er so und nicht anders gehandelt hat. Kein Grund also, damit anzugeben oder es in der Schule herumzuerzählen. Nur ein paar guten Freunden hat er anvertraut, was er mit seiner kleinen Schwester an jenem Herbsttag erlebt hat. Auf den Ausflug nach München, wo er dann im Antiquarium der Münchner Residenz den Ministerpräsidenten treffen wird - übrigens als jüngster der Lebensretter, die dort ausgezeichnet werden - freut sich Valentin aber durchaus, wie er erzählt.

Wesentlich aufgewühlter als der Held selbst, der inzwischen die Mittelschule in Ebersberg besucht, sind die Eltern, wenn sie an den Tag denken, der für die kleine Amelie auch ganz anders hätte enden können. Selbst die heute Vierjährige erinnert sich noch gut an das Erlebnis. "Sie fängt immer wieder davon an", sagt ihre Mutter. Dann erzählt Amelie, dass sie nicht mehr auf das Nachbargrundstück gehen wolle, weil da dieses schlimme Loch sei - obwohl es natürlich längst zugeschüttet ist. Auf ihre Weise hat übrigens auch Amelie dazu beigetragen, dass der Schreck an jenem Herbsttag für beide Kinder relativ schnell vorbei war. Denn sich selbst konnte Valentin aus jenem alten Brunnenschacht, von dem niemand etwas gewusst hatte und der wohl bei Feldarbeiten versehentlich offen gelegt worden war, nicht befreien. Er habe noch versucht, sich an herausstehenden Metallteilen hochzuziehen, aber vergebens, erinnert sich der junge Steinhöringer. Die Nachbarin wurde aber auf die kleine Schwester aufmerksam, die patschnass, dreckig und voller Angst neben dem Loch stand und weinte - und organisierte sofort Hilfe.

Eine Viertelstunde, vielleicht 20 Minuten, habe er in dem Loch ausgeharrt, schätzt Valentin heute. Weil es für einen Novembertag nicht allzu kalt war, erholten sich die Geschwister von ihrem Erlebnis wieder sehr schnell - nur ein paar Kratzer hat Valentin davongetragen. Daniela Urban war hingegen von dem, was ihren Kindern da passiert war, so erschreckt, dass sie sich erst einmal weigerte, einen Blick auf das Loch zu werfen. "Ich habe es mir erst ein paar Tage später angeschaut", erinnert sie sich. Doch auch bei ihr ist der Schock längst überwunden - jetzt ist sie nur noch stolz auf ihren mutigen Buben.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2012
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