Weit und breit kein Zug in Sicht – und trotzdem ist am Bahnsteig in Steinhöring am vergangenen Donnerstag einiges los. Rund 35 Menschen haben sich getroffen, um über ein Dauerthema in der Gemeinde zu diskutieren: Wann wird das Bahnfahren hier endlich barrierefrei möglich sein? Einige der Anwesenden kommen nämlich nicht weiter als bis vor die Zugtür, weil sie etwa auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Denn obwohl der Bahnhof barrierefrei ausgebaut ist, fahren auf der Strecke zwischen Wasserburg und Ebersberg keine barrierefreien Züge. Der Grund: Der Streckenabschnitt ist bisher nicht elektrifiziert, weshalb dort nur Dieseltriebwagen eingesetzt werden können, bei deren Bauweise der Einstieg ausschließlich über eine hohe Stufe möglich ist.

Gerade in Steinhöring betrifft diese Barriere viele Anwohnerinnen und Anwohner, denn im Einrichtungsverbund in der Gemeinde leben einige Menschen, die bei ihrer Mobilität auf einen Rollstuhl angewiesen sind. „Das sind bestimmt 200 Menschen, die das hier betrifft. Aber das ist nicht nur unser Einrichtungsverbund, auch etliche Senioren haben da ein Problem“, sagt Werner Retzlaff, der die Außenwohngruppe des Steinhöringer Einrichtungsverbundes (EVS) leitet. Auch der SPD-Landtagsabgeordneten Doris Rauscher, die zum jüngsten Ortstermin am Bahnhof eingeladen hat, ist die Barrierefreiheit ein Anliegen: „Das schränkt die Eigenständigkeit der Bewohner hier massiv ein. Und es ist schwer auszuhalten, dass man seit so vielen Jahren vertröstet wird.“
Seit Jahren gibt es Verzögerungen bei der Elektrifizierung der Bahnstrecke
Das Problem ist nämlich kein Neues: Seit zehn Jahren engagieren sich David Kruzolka und Werner Retzlaff vom EVS für eine Barrierefreiheit am Bahnhof. Auch Steinhörings Bürgermeisterin Martina Lietsch (Freie Liste Steinhöring) ist damit unzufrieden: „Seit Jahren wird die Elektrifizierung der Bahnstrecke immer weiter verzögert.“ Vor Kurzem habe sie gehört, dass erst 2035 mit einer elektrifizierten Strecke zu rechnen sei „das wäre ein Desaster“, so Lietsch.

Zum Ortstermin am Bahnsteig ist auch Heiko Büttner, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn, gekommen. Er nehme das Problem ernst: „Jede Barriere ist eine zu viel, da sind wir uns total einig.“ Besonders mit Blick auf die Einrichtung in Steinhöring sei dies ein echtes Dilemma, das sieht auch Büttner so.

Bei der aktuellen Situation soll es nicht bleiben. Ein genaues Datum könne Büttner noch nicht nennen – aber 2030 sei grundsätzlich ein realistisches Ziel für die Umsetzung der Elektrifizierung. Das Landratsamt Ebersberg hatte noch im Frühjahr 2024 angekündigt, der Bau der Oberleitung könne voraussichtlich bis 2028 realisiert werden. Zumindest gebe es laut Büttner nun endlich keine großen Hürden mehr für den Ausbau, nachdem die Bahn lange Zeit mit dem Naturschutz zu kämpfen gehabt habe. Weil einige streng geschützte Kiebitze entlang der Bahnstrecke nisteten, konnte der seit Jahren geplante Bau einer Oberleitung bislang nicht begonnen werden. Mittlerweile seien die Vögel weitergeflogen.

Bis 2030 wären es noch fünf Jahre, weshalb es in der Zwischenzeit dringend eine gute Übergangslösung geben müsse, fordert David Kruzolka, Sprecher der Bewohner des Einrichtungverbundes. Er musste wegen der Barriere am Zug sogar schon ein Jobangebot in Edling absagen, denn auf den Mobilitätsservice der Bahn, der einen Lift zum Zug bediene, könne man sich nicht verlassen, klagt er: Sofern man dort überhaupt jemanden erreiche, seien spontane Fahrten sowieso nicht möglich. Werner Retzlaff vom Einrichtungsverbund macht deutlich: „Die Leute bei uns haben von klein auf gelernt, was alles nicht geht. Aber was geht denn?“
Ein Bus als Alternative wäre denkbar – oder Dieselzüge mit passender Einstiegshöhe, die bis zur lang ersehnten Elektrifizierung eingesetzt werden könnten, schlagen die Diskutanten vor. Ein passender Dieselzug wäre aus David Kruzolkas Sicht mit Abstand die beste Übergangsoption.
Selbst das Schaffen einer Übergangslösung könnte Jahre dauern
Diese Diesel-Modelle gebe es grundsätzlich auch, sagt Matthias Krause von der Südostbayernbahn. Er werde sich bemühen, sich in der Fahrzeugbörse nach passenden Dieselzügen umzusehen. „Aber selbst, wenn ich die benötigten zwölf Züge bekomme, bräuchte es etwa drei Jahre, bis sie tatsächlich einsatzfähig sind.“
Mit Blick auf solche Übergangslösungen müsste aufs Geld geschaut werden, ergänzt Büttner. „Wir geben Steuergelder aus, das muss sich auch nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit lohnen.“ Trotz dieses Einwands ruft Heiko Büttner, bevor er in den Regionalzug einsteigt, die Anwesenden noch einmal dazu auf: „Ich verstehe, dass Sie hier die Schnauze voll haben. Nerven Sie bitte weiter! Ich bin froh um jeden, der sich um das System Bahn kümmert.“ David Kruzolka ist fest entschlossen: „Ich werde nicht aufgeben, meine und unsere Selbstständigkeit ist mir sehr wichtig“.