Start am Sonntag:Doppelt schwierig

Die evangelische Kirchengemeinde Grafing organisiert eine Veranstaltungsreihe zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht

Von Thorsten Rienth, Grafing

Zwei Mauern zieren den Flyer. Im Hintergrund die Klagemauer, eine der heiligsten Stätten des Judentums. In den Vordergrund ist ein Bildausschnitt der 759 Kilometer langen Sperranlage montiert, die Israel vom Westjordanland trennt. "1938 bis 2018. Reichspogromnacht. Antisemitismus. Israel - Palästina", steht darüber. "Das ist provokant, aber das soll es auch sein", sagt Grafings evangelischer Pfarrer Axel Kajnath.

Zusammen mit der Grafinger Schauspielerin und Sängerin Nirit Sommerfeld und dem Aßlinger Politologen Götz Schindler hat er eine mit eben diesen Worten betitelte Veranstaltungsreihe in der evangelischen Kirchengemeinde Grafing organisiert. Ihr historischer Aufhänger ist die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, die sich in einigen Tagen zum 80. Mal jährt. Die damalige Zerstörung von Synagogen sowie Geschäften und Wohnhäusern von Juden in ganz Deutschland hatte den Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Verfolgung - und wenig später auch Vernichtung - der europäischen Juden markiert. Einem doppelten Bogen gleich, ergeben sich für die Organisatoren daraus zwei große Themenbereiche.

Einmal ist da der Fokus auf Deutschland: Angesichts antisemitischer Aktionen in der Gegenwart müsse sich Deutschland fragen, inwieweit sich das Land nach dem Jahr 1945 mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt habe. Und ob es der Antisemitismusbekämpfung tatsächlich genügend Aufmerksamkeit geschenkt habe, so das Organisatorenteam. Die Erinnerung an die Ereignisse im Herbst vor 80 Jahren will im nächsten Schritt sensibilisieren für das, was zumindest geografisch gesehen im gleichen Umfeld auch heute noch sichtbar ist: ein mehr oder minder versteckter Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Alltagsrassismus, aus denen sich Ausgrenzung, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit speisen.

Start am Sonntag: Nirit Sommerfeld, Götz Schindler und Axel Kajnath (von links) haben die Veranstaltungsreihe federführend konzipiert.

Nirit Sommerfeld, Götz Schindler und Axel Kajnath (von links) haben die Veranstaltungsreihe federführend konzipiert.

(Foto: Christian Endt)

Den zweiten Fokus legt die Veranstaltungsreihe auf die aktuelle Situation zwischen Mittelmeer und Jordan. Mindestens mit dem Jahr 1933 war dieser Landstrich der wohl sicherste Zufluchtsort für deutsche Juden geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wählten ihn all jene zum Ziel, die in ihre zerstörte Heimat nicht mehr zurück konnten - oder wollten. "Aber die Gegend war ja nicht unbewohnt, wie es manche immer wieder glauben machen wollen - mit allen Folgen, die wir tagtäglich beobachten können", sagt die Musikerin Nirit Sommerfeld.

Sie selbst wird gleich zum Auftakt der Veranstaltungsreihe am Sonntag, 4. November, zur Protagonistin: Die in Israel geborene Grafingerin trifft sich mit dem in Palästina geborenen Münchner Fuad Hamdan zum Gespräch "Israel/Palästina - Unser Heimatland". Moderiert wird der Abend von Götz Schindler. Ein Streitgespräch aber dürfte das kaum werden. Beide Redner gelten als Kritiker der israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland. "Beide empfinden ihren Geburtsort als ihre Heimat, beide leben seit Jahrzehnten in Deutschland - und haben eine gemeinsame Vision, wie ihre Ansprüche auf Heimat friedlich gelöst werden können", kündigt der Flyer an.

Das Programm

Auftakt der Veranstaltungsreihe "1938 bis 2018. Reichspogromnacht. Antisemitismus. Israel - Palästina" ist am Sonntag, 4. November, um 18 Uhr das Gespräch "Israel/Palästina - Unser Heimatland" mit Nirit Sommerfeld und Fuad Hamdan in der Grafinger Auferstehungskirche. Am Freitag, 9. November, findet dort um 19.30 Uhr das Konzert "Unter Deinen Weißen Sternen" mit Nirit Sommerfeld und dem Orchester Shlomo Geistreich statt. Die Lesung von Professor Rolf Verleger ("Hundert Jahre Heimatland?") mit anschließender Diskussion startet am Samstag, 10. November, um 19.30 Uhr. Der Themengottesdienst "Vergangenheit erinnern - Zukunft gestalten" beginnt am Sonntag, 11. November, um 10.15 Uhr.

Zwei Programmpunkte finden außerhalb der Kirche statt: zum einen die Themen-Stadtführung "80 Jahre Reichspogromnacht" am Sonntag, 11. November, 14 Uhr, von der Mariensäule am Münchner Marienplatz aus. Zum anderen die Themenführung durch die Dauerausstellung "München und der Nationalsozialismus" mit dem Schwerpunkt "Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nach 1945" am Samstag, 17. November, 14 Uhr, am Dokumentationszentrum München, Max-Mannheimer-Platz 1 (früher Brienner Straße 34). Während der Öffnungszeiten der Grafinger Stadtbücherei gibt es dort bis einschließlich 15. November einen Büchertisch zum Themenkomplex der Veranstaltungsreihe. thri

Mit Rolf Verleger kommt eine knappe Woche später ein prominenter Diskussionspartner nach Grafing. Zwischen 2006 und 2009 war er Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland und bis vor kurzem Professor für Neuropsychologie an der Universität Lübeck. Heute wirkt er unter anderem als Vorsitzender des Bündnisses zur Beendigung der israelischen Besatzung (BIB). Er liest aus seinem Buch "Hundert Jahre Heimatland?"

Eine Ausstellung in der Auferstehungskirche (29. Oktober bis 13. November, täglich von 8 bis 18 Uhr) flankiert die einzelnen Programmpunkte mit dem Hintergrund des Nahostkonflikts. Ihr optimistischer Titel: "Frieden ist möglich - auch in Palästina".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: