Süddeutsche Zeitung

Stadtmuseum Grafing:Von Buchten, Kühen und Dickmilch

Geschichte und Geschichten gibt es bei der Führung "Dahoam in Oberbayern" durch die Ausstellung "Von der Landschaft zum Porträt" zu den Malern Rudolf Hofmann und Friedrich Senser

Von Elisabeth Urban, Grafing

Sepp Huber "ist für die Kühe zuständig", Thomas Warg für "Geschichte, für Zorneding und alles andere". Die Dritte im Bunde, Natascha Niemeyer-Wasserer, wird sich immer wieder bemühen, die munter abschweifenden Plaudereien der Gruppe einzufangen, sie zurückzuführen zu den Gemälden. Die Atmosphäre ist familiär, rund 15 Menschen sind an diesem milden Sommerabend in das Grafinger Museum gekommen, um sich unter dem Titel "Dahoam in Oberbayern" die Geschichten zu den Werken der Maler Rudolf Hofmann und Friedrich Senser erzählen zu lassen. Auch Sensers Tochter Anja Volkmann und seine zweite Ehefrau, Margot Senser, sind Teil der Gruppe, die gerade groß genug ist, dass alle noch einen Blick auf die vorgestellten Bilder erhaschen können.

Immer wieder ergänzen die beiden Frauen im Lauf der etwas mehr als einstündigen Führung die Erzählungen der Heimatpfleger. Als Niemeyer-Wasserer zum Beispiel von Hofmanns Haus in Hochstätt am Chiemsee erzählt, das für den Maler und seine Frau Elsbeth 1937 zur Heimat wurde, stellt sich heraus, dass das Haus mittlerweile verkauft und abgerissen wurde. Das Thema Veränderung wird insgesamt ein großer Aspekt des Abends werden. Die Schafwaschener Bucht am Chiemsee, erklärt Niemeyer-Wasserer vor dem entsprechenden Gemälde, wird es laut Biologen wegen Verlandung in 200 Jahren nicht mehr geben. Und Warg betont, wie sehr sich die Welt auch zu Lebzeiten der beiden Künstler verändert hat, wie viele neue Aspekte aufkamen: Hofmann wurde 1891 geboren, erlebte Neuheiten wie elektrische Straßenbeleuchtung und Elektrizität für Haushalte. Und so entwickeln sich auch in der Gruppe rege Gespräche, Erinnerungen kommen auf, jeder darf seine Gedanken und Fragen einwerfen. Es geht um die Veränderung der Landwirtschaft, die zu Hofmanns Zeiten noch mehr auf die Selbstversorgung ausgerichtet war, um die Herstellung von "gsteckelter Muich", einer Art Dickmilch, die es so heute wohl nicht mehr gibt. "I woas nur, dass' ma ned gschmeckt hod", sagt eine Teilnehmerin und lacht.

So wird die Führung zur Reise in die Vergangenheit, die man unternehmen muss, um die Lebenswelt der beiden Künstler ein Stück weit zu verstehen. Dazu gehören auch die dunklen Kapitel der Vergangenheit, die zur Sprache kommen, als die Gruppe vor apokalyptisch anmutenden Postkarten von Hofmann Halt macht. Diese hatte der Maler in den Kriegsjahren, trotz expliziten Berufsverbots von 1937 bis 43, gefertigt und in Rimsting verteilt. Das Verbot hatte der Reichsstatthalter von Bayern ausgesprochen, da Hofmanns Frau Elsbeth Jüdin war. "Elsbeth hatte immer eine Zyankalikapsel dabei, für den Fall dass sie abgeholt würden", erzählt Sensers Tochter. Elsbeth sei für sie sehr prägend gewesen, vor Hofmann habe sie eher Respekt gehabt. Beide Maler haben Elsbeth porträtiert, und sie war es auch, die im regen Briefwechsel der beiden Künstler meist das letzte Wort hatte: Nach Diskussionen über Farbzusammenstellungen und Maltechniken folgte oft noch ein kurzer Absatz der Ehefrau Hofmanns, die dann zum Beispiel darum bat, ob Senser nicht eine Verwandte vom Bahnhof abholen könne - nachdem sie sich davor mehrfach für die Bitte entschuldigt hatte.

Zwischen den Anekdoten streut Niemeyer-Wasserer Informationen über die charakteristischen Zeichenstile der beiden Künstler ein, weist auf besonders realistisch gezeichnete Materialien oder Glanzlichter auf Gesichtern hin. Unterscheiden könne man die Landschaften der beiden Künstler fast immer an einem Merkmal: Finde man Kühe im Bild, sei es wahrscheinlich ein Werk Hofmanns, ohne Kühe dürfe man vorsichtig auf Senser schließen.

Ab und an teilt sich die Gruppe, einige bleiben etwas länger an einem Bild stehen. Im Hintergrund einer friedlichen Landschaft sind da Berggipfel zu sehen, ob das die Kampenwand ist? An anderer Stelle zeigt Huber die Verbindung zwischen zwei Landschaftsbildern auf, deren natürliche Vorbilder nur eine Kopfdrehung voneinander entfernt zu sein scheinen. "Do is er ned weit ganga", stimmt ein Teilnehmer zu. Als die Gruppe vor ein Kinderbild Sensers tritt, einen beeindruckend dargestellten toten Specht, weist Niemeyer-Wasserer noch auf einen Punkt hin, an dem die Blickwinkel der beiden Maler möglicherweise aufeinandertrafen: Während Hofmann eine Kindheit in schwierigen Verhältnissen erlebte, hatte Senser schon früh eine besondere Sensibilität für das Thema Tod. Viele Geschichten dazu habe er aber erst im hohen Alter erzählt, sagt seine Tochter.

"Die Kunst verbindet Menschen und Zeiten" sagt Niemeyer-Wasserer. Auch in diesem Moment, denn mit der Führung enden die Gespräche noch lange nicht.

Ausstellung "Von der Landschaft zum Porträt" im Museum Grafing, zu sehen noch bis Sonntag 8. November, donnerstags 18 bis 20 und sonntags 14 bis 16 Uhr

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Quelle:
SZ vom 12.08.2019
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