Süddeutsche Zeitung

Stadtführungen in Ebersberg:Gruseln zum Hochzeitstag

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Die Corona-Pause nutzen die Ebersberger und Grafinger Stadtführer zum Schreiben von neuen Skripten - und zur Umsetzung der Idee, Stadtführungen nach der Pandemie auch digital anzubieten

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

Erst gestern habe wieder das Telefon geklingelt mit jemandem am anderen Ende, der sich gerne für eine der Grafinger Stadtführungen anmelden wollte, erzählt Thomas Warg. "Nur für mich und meinen Mann", habe die Frau gesagt. "Dann hat sich eine Lehrerin gemeldet. Sie wollte eine Führung für den Schulunterricht." Warg, der Ebersberger sowie Grafinger Stadtführungs-Chef, kann nicht anders. Ganz abgesehen davon, dass die Führungen zurzeit nicht erlaubt seien. "Was wäre das denn für ein Zeichen an alle, die uns sehen?"

Seit fünf Jahren organisiert der Kreisheimatpfleger in der Kreisstadt lokalhistorische Führungen. Kurz darauf kam Grafing hinzu. In jeder Stadt hat sich mittlerweile ein Pool aus 15 bis 20 Stadtführern gebildet. Vom Studierenden bis zum rüstigen Senior seien Leute dabei, darunter auch Lokalprominenz wie der frühere Ebersberger Bürgermeister Walter Brilmayer. Auch unter den neuen Bürgermeistern Uli Proske und Christian Bauer geht die Sache weiter.

Aber aktuell halt nicht mehr in der Gruppe vorneweg, sondern zuhause am Schreibtisch. "Es stauen sich ja über die Monate immer eine ganze Menge Ideen für neue Führungen oder Aspekte an", erzählt Warg. "Jetzt nutzen wir die Zeit, das alles zu recherchieren, in Skripte zu gießen und die Touren abzustecken."

Derer wie viele das Repertoire mittlerweile zähle? "Es geht nicht darum, ein bestimmtes Programm abzuspielen", sagt Warg. Eine Art Rahmenprogramm gibt es natürlich schon: Die Zeitreisen, wie man ums Jahr 1655 rund um den Ebersberger Marktplatz lebte zum Beispiel. Die Ebersberg-Grafinger Kombinationsführung "Eber trifft Bär", die "Burgen, Schlossbergen und Keltenschanzen" im Grafinger Umland, die "Katastrophentour" oder Zauberführungen für den Kindergeburtstag.

Warg traut sich zu sagen: "Geben Sie uns ein beliebiges lokalhistorisches Thema und wir sind in der Lage, eine durchaus tiefgründige Führung drumherum zu bauen." So wie diese Frau, die vor einiger Zeit anrief. Ob er nicht eine Gruselführung im Angebot hätte? Damit wolle sie ihren Mann gerne zum Hochzeitstag überraschen. Das Thema solle er aber bitte nicht auf die Ehe beziehen. "Die beiden sind einfach Gruselgeschichten-Fans. Dann haben wir das natürlich so gelegt, dass wir zum romantischen Sonnenuntergang wieder aus dem Wald draußen waren."

Aber es geht eben nicht nur um neue Führungen, um neue Recherchen. Vielleicht birgt die Pandemie, wenn sich das überhaupt so sagen lässt, auch eine Chance. Im Falle der Stadtführungen: eine Digitalisierungs-Chance. "Was, wenn einfach jemand in der Gruppe eine Videokamera mitnimmt?" Live gestreamt oder später grob geschnitten könnten auch Leute vom Krankenbett teilnehmen. Oder jemand, dem es einfach gerade zu regnerisch und windig ist. "Das müssen wir jetzt einfach noch ein paarmal ausprobieren, wenn es wieder losgeht."

Denn was die Führungen angeht, gilt: "Sobald wir dürfen, machen wir weiter." Warg schließt gleich ein typisches Historiker-Bildnis an. "Wir werden tanzen wie die Schäffler." Der Legende nach hatten sich die Münchner nach einer Pest im Jahr 1517 nicht mehr auf die Straßen getraut - weswegen ein paar Schäfflergesellen auf dem Marktplatz mit Musik und Tanz die Münchner aus ihren Häusern lockten. Zumindest sagt es so die Legende. Ein Stück Wahrheit dürfte dran sein - den Rest erledigte die oft mündlich überlieferte Geschichtsschreibung. Irgendwelche Auffälligkeiten zeigt das Münchner Sterberegister für die Zeit jedenfalls nicht.

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SZ vom 16.01.2021
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