Süddeutsche Zeitung

Stadtführung:Ein Ackergaul für Goethe

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Die B304 in Eglharting ist berühmt-berüchtigt für ihr Stauaufkommen, tatsächlich hat die Straße jedoch eine lange Geschichte. Historiker Thomas Warg erzählt von den Besonderheiten der Gemeinde

Von Annalena Ehrlicher, Eglharting

26 Grad im Schatten, rechts der Aldi, links ein McDonald's: Es gibt durchaus poetischere Startplätze für Führungen im Landkreis als die Gemeinde Eglharting. "Wir reisen jetzt mal 1000 Jahre zurück in die Vergangenheit", setzt Stadtführer Thomas Warg an, während sich sein jüngerer Kollege Florian Fuhrmann ernst neben ihm aufrichtet. "Vor 1000 Jahren gab's den Aldi aber noch nicht", witzelt ein Teilnehmer, der dem Gedankenspiel noch nicht so recht folgen will. Warg bleibt gelassen: Man kennt sich, man schätzt sich. Die Gruppenführungen der Offenen Behindertenarbeit des Roten Kreuzes sind längst ein Erfolgsgarant: Warg, der lässige Cowboy, der raunend und mit Dreitagebart die Schwedentruppen aus dem Dreißigjährigen Krieg in Eglhartings Hauptstraße projiziert, neben ihm Fuhrmann, der Jahreszahlen und skurrile Fakten aus dem Effeff beherrscht und in der Gewissheit, dass Warg ihm notfalls schon das richtige Stichwort serviert, völlig souverän vor der Gruppe steht.

Trotz aller Vorschusslorbeeren bleibt eine gewisse Skepsis unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern spürbar - alle kennen Eglharting, einige wohnen sogar in der Gemeinde: Was gibt es hier zu sehen außer Einkaufsmöglichkeiten und, nun ja, "Stau, Stau, Stau", wie es einer fröhlich zusammenfasst. Nun: erst einmal tatsächlich gar nicht so schrecklich viel. Dennoch lohnt sich das mutige Unterfangen, eine Führung in der Gemeinde mitzumachen. Der Dreh- und Angelpunkt bleibt jedoch der Verkehr: "Salz, das sogenannte Weiße Gold, bestimmte hier zeitweise die ganze Gegend", berichtet Warg und Fuhrmann erklärt mit einem lässigen Fingerzeig auf die B 304: "Das ist die Salzstraße, die von Bad Reichenhall über Salzburg, Wasserburg und München nach Augsburg lief."

Da nicht allen die Geschichte des Weißen Goldes so nahe geht, dass darüber das hohe Verkehrsaufkommen und die sengende Sonne vergessen wird, legen die beiden Führer noch eins drauf: den Prominenzfaktor. "Wisst ihr, wer alles durch diesen Ort auf dieser Straße gereist ist?", trumpft Fuhrmann auf. "Goethe, Mozart, Casanova - alle, die die untere Wiener Postkutschenroute genutzt haben."

Tatsächlich wurden seinerzeit in Wasserburg, Steinhöring und Zorneding üblicherweise die Kutschpferde gewechselt. Da jedoch der Kirchseeoner Spannleitenberg aufgrund schwieriger Straßenverhältnisse für Durchreisende selbst mit halbwegs frischen Pferden immer noch ein Hindernis darstellte, konnten die ansässigen Bauern ein Geschäft damit machen, ihre Ackerpferde als zusätzliche Zugtiere anzubieten. Die Erfahrungen Goethes mit dem Ort scheinen, Warg zufolge, dennoch wenig angenehm gewesen zu sein: "Was er schildert ist, dass die Straßen sehr schlecht waren und man sich die Hände unter den Hintern klemmen musste, weil man sonst danach nicht mehr sitzen konnte!" Die Gruppe kichert.

Straßen spielen auch beim Blick auf den Forst eine Rolle: Warg zeigt Fotografien aus der Vogelperspektive, auf denen sichtbar ist, wie sich Eglharting und Kirchseeon an das dicht bewachsende Waldgebiet schmiegen: "Dass der Forst sich gerade in seiner heutigen Form erhalten hat, hängt unter anderem mit den Römerstraßen zusammen", berichtet er. Zwei der antiken Straßen verliefen sozusagen als Nord- und Westtangenten des heutigen Forsts. "Den Römern war es hier wohl aber immer ein wenig zu duster", erzählt Warg mit schiefem Grinsen. "Deshalb benutzten sie ihre Straßen dann auch, um wieder in den Süden zu ziehen und überließen das Feld den Stämmen, die sich hier im Zuge der Völkerwanderungen ansiedelten." Namentlich den Stämmen, die im Lauf der Geschichte zu den Bajuwaren zusammenwachsen sollten.

Kaum von der Hauptstraße abgebogen, fällt es deutlich leichter, sich einige Jahrhunderte in die Vergangenheit zu versetzen: ruhige Wege, idyllische Obstgärten, modernisierte Höfe und Richtung Waldrand die pittoreske Neukirche der Gemeinde. Wie verzaubert liegt sie in der Nachmittagssonne, umgeben von Maisfeldern und Obstbäumen. "Die Kirche im Dorf lassen - kennt ihr den Satz?", fragt Warg die Gruppe. "Ist doch komisch, dass in Eglharting die Kirche außerhalb liegt, oder?"

Schuld sind in diesem Fall nicht die Römer, sondern die Frauen: namentlich Gräfin Richardis, die - so die Stadtführer mit leichter Erheiterung - wohl einen legendär schlechten Orientierungssinn hatte. Einmal muss sich die "Stammmutter Eglhartings" so schlimm verlaufen haben, dass man sie erst Tage später völlig entkräftet und mit nur einem Schuh an den Füßen wieder auffand. Voller Dankbarkeit ließ ihr Mann an der Stelle, wo der andere Schuh der Gräfin zurückgeblieben war, eine Kirche errichten: die Neukirche.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2018
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