Dirt Park Kirchseeon:Wie Spinräder fliegen lernen

Lesezeit: 3 min

Ein Stunt im Kirchseeoner Dirt-Park. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Im Kirchseeoner Dirt Park locken Steilkurven und Schanzen waghalsige Radlfahrer. Unsere Autorin Viktoria Spinrad macht den Selbstversuch.

Von Viktoria Spinrad, Kirchseeon

Jetzt tief durchatmen. "Einfach Kopf ausschalten und laufen lassen", ruft einer. Gar nicht so einfach, wenn man mit einem Miniaturfahrrad ohne Gänge auf einem Erdhügel steht - und sich vor einem eine Schlucht samt Sprungschanze auftut, die einem bei dem Blick in die Tiefe so steil wie eine Skisprungschanze vorkommt. Und Bremsen für den Selbstversuch tabu ist. Hilfe! Doch wer fliegen will, muss laufen lassen. Also: Arme anwinkeln, Hände weg von der Bremse, ein leichter Tritt auf den Pedalen - und schon wirbelt das Fahrrad der Sprungrampe entgegen.

"Dirt Parks" sind nichts für schwache Nerven. Das zeigt ein nicht nur sonnen-, sondern auch adrenalingefluteter Nachmittag auf einer Anlage in Kirchseeon. Gleich östlich des Waldfriedhofs erstreckt sich eine Mondlandschaft aus hohen Erd- und Lehmhügeln, abgeflachten Tafelbergen, Bretterbrücken und kleinen Erdvulkanen. Aus einem Radio läuft Rockmusik. Fünf junge Hobbysportler, die ihren ersten Selbstversuch schon lange hinter sich haben, katapultieren sich auf ihren Rädern lässig in die Lüfte - nicht, ohne ihr Rad dabei wahlweise in Schief- oder Steillage zu bringen oder sich gleich um 360 Grad zu drehen.

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(Foto: Christian Endt)

Noch sieht es hier ruhig aus, doch die Flugshow beginnt bald.

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(Foto: Christian Endt)

Über die Rampe geht es gen Himmel. Und wenn ein Sprung mal nicht klappt, fangen den Fahrer die Reifenstapel etwas sanfter auf.

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(Foto: Christian Endt)

Die spektakulären Stunts...

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(Foto: Christian Endt)

...sind das Ergebnis jahrelangen Trainings.

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(Foto: Christian Endt)

Als Anfängerin schlug sich SZ-Reporterin Viktoria Spinrad aber recht gut.

"Dirten" nennen sie es, wenn sie auf ihren Rädern durch Steilkurven fegen und über Brücken springen. Das Ziel ist, dabei möglichst spektakuläre Stunts hinzulegen. Ein Rumrasen auf Erd-, Lehm- und Rindenmulch-Strecken, das eine von unzähligen Variationen eines immer vielfältigeren Radsports ist. So auch der BMX-Bereich, zu dem das "Dirten" zählt. Früher flitzten die Biker zunächst über bucklige Erdhügel um die Wette - nicht, ohne vor dem Publikum mit diversen Tricks ein bisschen anzugeben.

Solche Freestyle-Momente entwickelten sich schließlich zu einer ganz eigenen Sparte: dem Dirt-Biken eben. Mittlerweile hat die Akrobatik auf dem Fahrrad längst den Mainstream erreicht: Wo wilde Jungs früher heimlich Rampen in verlassene Kiesgruben bauten, stehen heute vom TÜV abgesegnete Hügel, Bretter und Kurven; 2020 wird BMX-Freestyle in Tokio erstmals olympische Disziplin sein.

Ein Dreijähriger und Leute mit Laufrädern

Wer von olympischen Sphären weit entfernt ist und beobachtet, wie sich die Biker über die Hindernisse wuchten, mag sich fragen: Wie soll der gediegene Radler, der zwar souverän durch den Münchner Feierabendverkehr schwebt, in einem solchen Parcours bestehen? Julian Bublak fährt hier regelmäßig. Der 22-Jährige deutet auf eine der drei Strecken: die Anfängerpiste, der sogenannte "Pump Track". Ein paar flache Hügel führen in eine Steilkurve, die an einen Bob-Parcours erinnert. "Hier haben wir bis zum Dreijährigen auf dem Laufrad schon alles gesehen", sagt er, nur ein Klapprad sei ihm noch nicht untergekommen.

Als Aufforderung dafür, die Grenzen des eigenen Uralt-Radls auszutesten, sollte man das indes nicht verstehen. Auch mit den Dirtbikes, die extra leicht sind und besonders gut federn, ist der Sport alles andere als harmlos. "Verletzungen gehören schon dazu", sagt einer, der hier ebenfalls regelmäßig fährt. Michael Krüger berichtet von Prellungen bis hin zu Nasenbeinbrüchen im Freundeskreis. Hinter dem 36-Jährigen steht ein Schild der Gemeinde mit einer langen Liste an Regeln, die zumeist in warnende Ausrufezeichen münden: Schutzkleidung und Helmpflicht! Wettbewerbe untersagt! Nur in eine Richtung fahren!

Dennoch ist Angst der schlechteste Ratgeber. Dann kann es schon einmal passieren, dass man sich so am Lenkrad festkrallt, dass man stocksteif durch die Kurve rumpelt, anstatt sich geschmeidig in diese reinzulegen. Oder dass man vor einer Rampe zu sehr abbremst und rückwärts wieder hinunter kugelt und die Pedale das Knie blutig schrammen.

Der Moment der Schwerelosigkeit

So voller Tücken der Sport sein mag, er hat auch etwas bestechend Egalitäres: Der Eintritt ist frei, ein Rad haben die meisten sowieso, und weil hinter den wenigsten Parks ein Verein steht, lernt man eben voneinander. Das geht mittlerweile in vielen Anlagen in der Region: Alleine im Münchner Stadtgebiet gibt es fünf Dirt Parks, dazu kommen Anlagen in Putzbrunn, Landshut, Unterhaching und Starnberg.

SZ-Autorin Viktoria Spinrad auf Testfahrt im Kirchseeoner Dirt Park. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Wer es drauf hat, kann dort Figuren mit Namen wie "Suicide", "Tailwhip" oder "Crankflip" ausprobieren. Oder, wie der Initiator des Kirchseeoner Projekts, den "Three-Sixty". Adrian Binder tritt nach einem Steilhügel noch einmal fest in die Pedale. Die Holzrampe katapultiert den 25-Jährigen meterhoch in die Luft, wo er sich um die eigene Achse dreht und mit einem Ächzen der Radfedern und einem Grinsen im Gesicht wieder auf dem Rindmulch landet.

Das Geheimnis beim eigenen ersten Sprung? Das Rad nicht nur mit den Armen hochziehen, sondern tief in die Pedale stemmen und die Federkraft nutzen - soweit die Trockenübung auf dem Asphalt. Auf der Piste sieht das dann so aus: Das Rad schießt die Rampe hinab, wackelt irgendwie über den Absprung - und hebt tatsächlich ab, wenn auch nur ein paar Zentimeter. Ein winzig kleiner Moment der Schwerelosigkeit, der genügt: Die Angst ist fast weg. Kopf aus, Mut an. Bevor man sich versieht, steht man schon wieder oben am Startpunkt, bereit für den nächsten Sprung in die Abendsonne.

© SZ vom 28.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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