Bodybuilding in Ebersberg:"Dem kann man eine Mandel hinlegen und er isst sie nicht"

Bodybuilder Schilcher und Etesaam.

Klimmzüge sind eine von Lena Etessams leichteren Übungen. 90 Kilogramm aus dem Stand zu heben - dort liegt die Grenze zum "guten Schmerz".

(Foto: Peter Hinz-Rosin)
  • Lena E. und Alexander S. betreiben Bodybuilding auf Leistungssportniveau.
  • Nicht nur Training, sondern Lebenseinstellung ist das.
  • Was sie antreibt und was es den Schmerz wert macht.

Von Theresa Parstorfer, Ebersberg

Es gibt guten und es gibt schlechten Schmerz für Lena Etessam. Der gute, das ist der, wenn sie an die Belastungsgrenze ihre Muskeln und sogar noch ein wenig darüber hinaus geht. Denn dann merkt sie, "dass es was bringt".

Bei Etessam "bringt" es etwas, wenn sie 90 Kilogramm aus dem Stand oder sich selbst in einem Klimmzug durch die Luft hebt. Mit Make-Up, langen Wimpern und manikürten Nägeln. Als wäre jedes Training schon eine Generalprobe für die große Show. Genau darum geht es, denn Lena Etessam betreibt Bodybuilding. Genauso wie Alexander S. 26 Jahre ist er alt und bildet seinen Körper schon zwei "Seasons" länger als die drei Jahre jüngere Etessam, durch ihn kam sie erst zu dem Sport.

Ein beliebiger Morgen könnte es sein im Fitnessstudio in Langwied. So gut wie jeden Tag ist Etessam hier, und Alexander S. sowieso, denn er leitet das Studio. Die beiden sitzen auf den Kunstledercouchen im Eingangsbereich, und dort erzählt Etessam auch vom "schlechten Schmerz". Davon wie sie im vergangenen Jahr an der Schulter operiert werden musste, weil der Knorpel sich abgenutzt hatte, vom zu intensiven Training.

"Weil ich da aber mitten in der Wettkampfphase war, musste ich mir vor der OP regelmäßig Kortison spritzen lassen und durfte trotzdem nicht weniger Gewicht heben", sagt sie. Eine harte Zeit sei das gewesen. Doch für die fünf Minuten im Bikini und auf Stöckelschuhen vor den Kampfrichtern sei es das wert gewesen. Zweite ist Etessam bei der Niederbayerischen, dritte bei der Bayerischen Meisterschaft geworden, trotz der Schulter.

2016 trat Alexander S. das erste Mal bei der Bayerischen Meisterschaft im Bodybuilding an. Wurde ebenfalls Zweiter und qualifizierte sich damit für die Deutsche Meisterschaft. "Dabeisein war dort noch alles - eine Platzierung habe ich nicht gemacht", sagt er. Aber in diesem Jahr soll es weitergehen. Am Wochenende fährt er erneut zur Bayerischen Meisterschaft, der erste Platz wäre schön und dann im besten Fall auch eine gute Bewertung auf der Deutschen Meisterschaft.

In Badehose, mit Farbe besprüht und mit Öl eingerieben wird er dort seine Muskeln präsentieren. Deswegen sind die 13 bis 15 antretenden Athleten auf der Bühne kaum wiederzuerkennen. In Sporthosen und Pullover sieht Alexander S. zwar aus wie ein sportlicher junger Mann, aber nicht unbedingt wie ein Koloss. Damit seine Muskeln die Richter am Sonntag mit ihrer "Symmetrie" und "Definition" überzeugen, hat Alexander S. streng genommen seit zehn Wochen Hunger.

Lediglich drei bis vier Prozent Körperfett soll ein Athlet bei einem Wettkampf in seiner Klasse haben - ungefähr 20 Prozent gelten als gesunder Durchschnitt. "In der Diät vor einem Wettkampf ist es echt hart, da denkst du eigentlich den ganzen Tag nur noch an Essen", sagt Alexander S. Trotzdem dürfe man nicht weniger Gewicht heben, stemmen, ziehen, drücken. 440 Kilogramm sind das bei ihm beispielsweise an der Beinpresse. Auch wenn die Kraft zu versagen scheint, die Muskeln vor Schmerz schreien und der Kreislauf schon fast nicht mehr mitspielt.

"Die Ernährung ist beim Bodybuilding mindestens so wichtig wie das Training", sagt Alexander S.. Viel Eiweiß, viel Gemüse, kaum Kohlehydrate. In den Wochen vor einem Wettbewerb von all dem kaum noch halb so viel wie in einer "Aufbauphase". Jeder Tag ist durchgerechnet von ihrem Coach Thomas Holzer, der selbst 25 Jahre lang Bodybuilder und zwei Mal Deutscher Meister war. Jede Kalorie, jede Wiederholung bei den Übungen muss passen, damit das "Ergebnis dann auch passt", sagt Alexander S.. Alle zwei Wochen schicken sie dem Coach Bilder zum "Bodycheck". Noch vor drei Jahren hätte Holzer nicht gedacht, dass Alexander S. eines Tages "bühnenreif" sein würde. Mittlerweile hat er keine Zweifel, dass sein Athlet mindestens den bayerischen Meistertitel holen kann.

An merkwürdige Blicke hat sie sich gewöhnen müssen

Dass das doch nicht normal, dass das irgendwie "krank" sei, das hören die beiden regelmäßig. "Mir wird schon gesagt, dass ich nicht mehr gut aussehe, dass ich zu viele Muskeln oder zu wenig Fett habe", sagt Etessam, und auch an merkwürdige Blicke habe sie sich gewöhnen müssen. Mittlerweile bestärkt sie das beinahe in der Entscheidung für diesen "Lifestyle".

So nennt Alexander S. das. Nicht nur Sport, sondern Lebenseinstellung sei Bodybuilding. Die ständige Beschäftigung mit Ernährung und die Disziplin im Training beansprucht einiges an Zeit. Mahlzeiten müssen geplant und vorbereitet werden. Jede Familienfeier, jeder Urlaub kann zum Problem werden - zumindest für die Umwelt. "Mich stört es nicht, wenn ich beim Mittagessen mit meiner Familie meine Tupperdosen dabei habe, oder nur einen Kaffee trinke, während andere ein Stück Kuchen essen", sagt Alexander S., aber viele würden das nicht akzeptieren, sich Sorgen oder darüber lustig machen.

Auch für ihn ändert das nichts daran, das "zu 100 Prozent durchzuziehen." Vielleicht nicht für immer, aber solange es in seinen Lebensentwurf passt. Für ihn hat das Bodybuilding eine Lücke geschlossen. Früher hat er Fußball gespielt. Doch die Knie haben da irgendwann nicht mehr mitgemacht. "Ich bin vielleicht nicht direkt in ein Loch gefallen, aber es hat auf jeden Fall was gefehlt", sagt er.

Erst einmal hat der Sport gefehlt. Deshalb begann er im Fitnessstudio zu trainieren und auch zu arbeiten. "Aber ich habe immer noch die Herausforderung vermisst", sagt Alexander S.. Den Wettkampf und das sich Messen. Genau das hat er im Bodybuilding gefunden. Seinen Körper auf "den Tag x" hin zu stählen, gibt ihm ein Ziel und spornt ihn an.

Für Etessam hat Bodybuilding noch eine andere Funktion. Für sie bedeutet der Sport und die kontrollierte Ernährung Sicherheit. Schon lange bevor sie mit dem Bodybuilding angefangen hat, hatte sie eine atypische Essstörung. Seit neun Jahren geht sie ins Fitnessstudio. "Früher habe ich teilweise vier Stunden am Tag trainiert", sagt sie. Hat sich die Bandscheiben verletzt und konnte trotz dieses "schlechten Schmerzes" nicht aufhören, war nie zufrieden.

So betrachtet sind 1,5 Stunden Training an sechs Tagen in der Woche, beinahe wenig, und so viel gegessen wie in einer Off-Saison hat sie früher selten. "Es hilft mir total, mich auf einen Plan verlassen zu können, den jemand für mich erstellt, und gleichzeitig solche Erfolge zu erzielen", sagt Etessam.

Essstörungen sind im Bodybuilding verbreitet

Mit Erfolgen meint sie, mittlerweile 90 Kilo heben zu können und sich nicht mehr unsicher zu fühlen, wenn sie fast nackt vor den Kampfrichtern posiert. "Damit will ich nicht sagen, dass man mit Bodybuilding eine Essstörung loswird", sagt sie und auch keine Empfehlung soll das sein, aber ihr persönlich habe es geholfen. Noch nie habe sie sich so wohl gefühlt in ihrem Körper, auch wenn das vielleicht aus psychologischer Sicht kein "gesundes" Verhalten ist.

Essstörungen bei Frauen, aber auch bei Männern, sind im Bodybuilding verbreitet. "Muskel-" oder "Sportsucht", wird das genannt, oder etwas professioneller "Anorexia athletica". Offiziell ist diese Störung zwar nicht in den Registern psychosomatischer Krankheiten, ICD-10 und DSM-IV, aufgelistet, aber es gilt als erwiesen, dass sie in Leistungssportarten auftritt, in denen Gewicht eine wichtige Rolle spielt.

Das bestätigt auch Jens Kleinert, Professor an der Sporthochschule in Köln. Er ist spezialisiert auf Gesundheit und Sozialpsychologie - und das Thema "Sportsucht". Problematisch wird kontrolliertes Essverhalten in Verbindung mit Sport vor allem, wenn es mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergeht. Wenn beispielsweise Verletzungen in Kauf genommen werden, oder bei Frauen Störungen in der Menstruation auftreten, so Kleinert. Wenn Beruf und Freunde vernachlässigt werden, es ohne den Sport nicht mehr geht.

Darüber ist sich auch Etessam im Klaren. Weil sie nur Halbzeit arbeitet, hat sie derzeit noch genügend Zeit, jeden Tag ins Training zu gehen, vorzukochen und sich nach dem Training schlapp zu fühlen. Bald wird sie jedoch eine Ausbildung anfangen, und ob der Sport dann noch mit dem Alltag zu vereinbaren ist, weiß sie nicht. "Da muss der Beruf schon Vorrang haben", sagt sie. Schwer fallen wird ihr das bestimmt. "Mir macht das Training unglaublich viel Spaß", sagt sie. Und da ist er wieder, dieser Satz, den man nicht verstehen muss: "Irgendwann liebst du den Schmerz."

Für Alexander S. sind die härtesten Tage, die kurz vor dem Wettkampf, nicht wegen der Aufregung, sondern wegen des Hungers. Doch ein Ende ist in Sicht. Und nach einer konsequent durchgehaltenen Diät freut er sich umso mehr auf ein "Cheatmeal", endlich mal wieder Nudeln oder sogar eine Pizza. Die wird er dann so richtig genießen. Etessam lacht. "Alex ist da echt extrem", sagt sie, "dem kann man eine Mandel hinlegen und er isst sie nicht, wenn sie nicht auf dem Plan steht - ich hab's versucht." Da lächelt er und guckt auf seine sehnigen Hände, die auf den muskulösen Oberschenkeln liegen. Sich selbst nicht so ernst zu nehmen, sei manchmal gut bei all der Konsequenz und all dem Schmerz.

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