Süddeutsche Zeitung

Spektakulärer Auftakt:Flieger und Fahnen

Ebersberg ist nun arkadisches Hoheitsgebiet: Das Festival des Kunstvereins bespielt die ganze Stadt.

Von Anja Blum

Überraschung am Himmel, am Boden legen die Menschen den Kopf in den Nacken: Unübersehbar zieht am Samstagnachmittag ein kleiner Flieger über Ebersberg seine Kreise, stumm seine Botschaft verkündend. "Et in arcadia ego" ("ich bin/war auch in Arkadien"). In der Kunstgeschichte ist es der Tod, der da die Vergänglichkeit anmahnt, selbst im Paradies - das bei schönstem Wetter und einem wundervollen Bergpanorama ja gar nicht so weit entfernt zu sein scheint. Doch auch die Aktion der Berliner Künstlerin Katrin Schmidbauer soll "für einen Augenblick des Staunens an die Unerfüllbarkeit der arkadischen Sehnsucht im Diesseits erinnern". Ob das auch jeder Beobachter so versteht, darf bezweifelt werden - und dass dafür extra ein kleines Flugzeug in den Himmel steigen muss, darüber mag so manch nachhaltig denkender Ebersberger den Kopf schütteln. Den Initator Peter Kees indes ficht das nicht an: "Die Kunst muss frei sein", sagt er. Außerdem: Viel Aufmerksamkeit hat der Flieger allemal erzeugt. Und das war das oberste Ziel.

Es ist nass und windig, als am Freitag in Ebersberg das arkadische Zeitalter eingeläutet wird. Der Fahne aber, die zu diesem Zweck am Rathaus gehisst wird, schadet das gar nicht, ganz im Gegenteil: Die Böen, die an diesem Vormittag über den Marktplatz der Kreisstadt fegen, lassen das Stück Stoff lustig wehen, fast als würde es freundlich winken. Und auch das kleine Häuflein Menschen, das dem feierlichen Akt beiwohnt, scheint bester Dinge zu sein. Man scherzt und lacht, teilt Erinnerungen und vor allem Vorfreude.

Ja, an diesem Wochenende hat sich Ebersberg endgültig in arkadisches Hoheitsgebiet verwandelt, zumindest bis 18. Juli, denn bis dann ist die Kreisstadt Heimstätte eines kreativen Festivals unter dem Motto "Wo bitte geht's nach Arkadien?" Der Kunstverein hatte damit bereits 2019 großen Erfolg, nun steht die zweite Ausgabe an, diesmal - wegen Corona - als höchst abwechslungsreicher Reigen von Eingriffen in den öffentlichen Raum. Das heißt: Die ganze Stadt wird bespielt, vom ehrwürdigen Klosterbauhof über Schloss- und Marktplatz bis hin zum Klostersee und der Wiese unter dem Aussichtsturm.

Der Topos Arkadien, der sich als Traum von einer besseren Welt durch die ganze europäische Kulturgeschichte zieht, soll dabei als Plattform für aktuelle Fragen dienen. Wie wollen wir künftig leben? Was muss getan werden, um dem Paradies im Hier und Jetzt ein Stückchen näher zu kommen? Gerade in Zeiten des Wandels hätten die Künste einen bedeutenden gesellschaftlichen Auftrag, schreibt Peter Kees in seinem kurzen Vorwort zum Programm. "Sie stellen Fragen, setzen Ausrufezeichen, geben Denkanstöße oder lösen Irritationen aus". Die derzeitigen politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Umbrüche müssten gespiegelt und verhandelt werden.

Corona hat nun zwar eine Eröffnung vor großem Publikum verhindert - doch die Festival-Macher sind alles andere als enttäuscht. "Es ist doch Wahnsinn, dass das jetzt und hier überhaupt möglich ist", sagt Peter Kees im Regen vor dem Ebersberger Rathaus und schiebt gleich ein größes Dankeschön an den Hausherrn Uli Proske hinterher. "Mit diesem Bürgermeister ist alles total unkompliziert - er steht einfach zu uns." Ein äußeres Zeichen dieser Verbundenheit ist die Fahne, die nun am Ebersberger Rathaus im Wind weht.

Das Kunstwerk mit dem Titel "World Flag" ist ein beinahe poetisch anmutendes Konglomerat aus Farben und Formen, zart im Ton, die Fantasie anregend. Gestaltet wurde sie von Monika Goetz aus Berlin: Sie hat die Flaggen aller 196 offiziell anerkannten Staaten weltweit übereinander kopiert, wodurch sich sämtliche klaren Konturen und Farbzuteilungen aufgelöst haben. So stellt die Künstlerin mit ihrer "World Flag" die Idee von Nationalflaggen samt damit verbundener territorialer Ansprüche in Frage. Diese Fahne wird nun während des gesamten Arkadien-Festivals am Ebersberger Rathaus hängen - sehr zur Freude des Hausherrn. "Ich finde das alles eine tolle Aktion", sagt Bürgermeister Proske, er freue sich sehr auf all die witzigen und zum Nachdenken anregenden Programmpunkte des Festivals. "Kunst ist ja auch immer Träumerei, ein In-die-Zukunft-spinnen, was alles so möglich wäre."

In einem Punkt liegt es nun tatsächlich auch in den Händen des Ebersberger Rathauschefs, ob ein Wunsch in Erfüllung geht: Der Verein zur Verzögerung der Zeit hat einen Antrag eingereicht, man möge eine Straße in "Müßiggang" umbenennen. Denn im ganzen deutschsprachigen Raum - "und, weil es eben ein deutsches Wort ist, damit auf der gesamten Welt" - existiere noch keine Straße mit diesem Namen. "Die Muße - laut Sokrates die Schwester der Freiheit, schon immer Quelle der Inspiration und Kreativität und für viele Menschen eine Voraussetzung für Glück - scheint nirgends einen eigenen Ort zu haben", heißt es in dem Antrag. Viele Jahre habe man nach einer geeigneten Stadt gesucht, die dem ersten offiziellen "Müßiggang" würdig sei. "Mit der Stadt Ebersberg, der Heimat von Arkadien, haben wir sie gefunden. Bei Ihnen wird die Muße nicht ausgeblendet oder gar diskreditiert. Sie wird mit Blick auf die Lebensqualität der in der Stadt lebenden Menschen offiziell gefördert." Zeige sich die Stadt nun bei der Umbenennung beherzt, werde sie womöglich zum Vorbild für andere Kommunen.

Das klingt freilich verlockend - doch Proske muss nicht überredet werden. Gerne hätte er in Ebersberg einen "Müßiggang" - allein, es müsse noch der richtige Ort zum Namen gefunden werden. "Wenn wir einfach eine bestehende Straße umbenennen, in der Menschen wohnen, machen wir uns damit sicher keine Freunde", sagt der Bürgermeister und lacht. Insofern bittet er um etwas Geduld, bis sich eine passende Gelegenheit biete.

Fest steht: Auch ohne offiziellen "Müßiggang" wird Ebersberg in den kommenden Wochen arkadisch sein. Und die Menschen dürfen sich auf viele weitere Überraschungen freuen.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2021
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