Väterchen Frost:Russisches Brauchtum in Aßling

In Pfarrsaal feiern Familien mit Wurzeln in der Ukraine, Russland und Armenien, mit Väterchen Frost weihnachtliches Silvester. Während sich die Kinder um "Ded Moros" drängeln, können die Eltern in Erinnerungen schwelgen.

Von Clara Lipkowski, Aßling

Irgendwann traut sich das Mädchen im weißen Engelskleid und Plüschflügeln und streicht Väterchen Frost über den Samtmantel. Zuvor hatte es noch große Augen gemacht und war nervös hin- und hergetrippelt. Da war der große Mann mit weißem Bart, einem Sack Geschenke und tiefer Stimme hereingekommen. Und ob es sich ihm nähern sollte, wusste es nicht so recht, aber hingerissen war es sofort. Als er später die Hand des Mädchens hält und ihm auch noch ein Päckchen mit Süßigkeiten überreicht, glühen dessen Wangen.

In Aßling haben sie an diesem Sonntag den 31. Dezember vorgefeiert. Nach sowjetischem Brauch kommt Väterchen Frost - auf Russisch "Ded Moros" - in der letzten Dezembernacht unbemerkt zu den Familien und legt Geschenke unter den Tannenbaum. Am Morgen des 1. Januar dürfen die Kinder sie dann auspacken. In Kindergärten und Schulen in den Ex-Sowjetstaaten feiert man sein Erscheinen ab Mitte Dezember. Er bringt, so erzählt man es sich, außer Geschenken auch Winter und Schnee. Und passenderweise fallen am Sonntagvormittag auch in Aßling Flocken vom Himmel.

Im Pfarramt toben etwa 20 Kinder um den alten Mann in Rot, umkreisen eine geschmückte Tanne, auch das ist in Russland üblich, singen russische Lieder, stampfen, hüpfen zur Kindermusik und rufen "Novij God!", Neues Jahr. Die Eltern filmen und animieren ihre Kinder. 2017 gab es ein solches Fest schon einmal in Grafing, dieses Mal mussten sie auf den größeren Pfarrsaal in Aßling ausweichen, weil sich rund 70 Personen angemeldet hatten. Gekommen sind etwas weniger, rund 30 Eltern und 20 Kinder.

Russische Weihnacht - Väterchen Frost

Wer ein Gedicht aufsagt, bekommt auch ein Geschenk von Väterchen Frost, dem russischen Pendant des Weihnachtsmanns. Engagierte Mütter aus dem Landkreis Ebersberg lassen in Aßling die Tradition wieder aufleben, mit ihm die Weihnachtszeit zu begehen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Unter dem Mantel und weißem Rauschebart von Ded Moros versteckt sich ein 76-Jähriger Münchner, der vor siebzehn Jahren aus der Ukraine ausgewandert ist. Er hat sich in Deutschland wegen der Familie niedergelassen, sagt er später. Semen, wie ihn hier alle nennen, war in der Heimat Ingenieur und Künstler. Jetzt sei er eben nur noch Künstler und Animateur, sagt er, das Schöne seien die glücklichen Kinder, wenn er auftrete. "Manche umarmen mich und freuen sich einfach. Dann bin ich auch froh." Geld nimmt er nicht für seine etwa halbstündigen Auftritte, manchmal stecken ihm die Veranstalter Trinkgeld zu.

Mehrere russischsprachige Mütter aus Aßling, Grafing und Ebersberg haben das Fest organisiert. Sie stammen aus der Ukraine, Russland, Weißrussland, Kirgisien und Kasachstan und leben seit mehreren Jahren im Landkreis Ebersberg, allein in Glonn sollen um die 100 russischsprachige Familien leben. Lusine Bechtold ist mit ihrem Mann und ihrer Tochter aus Baldham gekommen. Sie ist mit der Tradition von Väterchen Frost in Armenien groß geworden. "Und das möchte ich auch meiner Tochter vermitteln", sagt sie.

Doch für viele der Frauen ist dieser Sonntag im Pfarrsaal auch persönlich ein wichtiger Termin, sie klatschen und singen und können ein bisschen an die Heimat denken und wie es dort früher war, als sie noch Kinder waren. Viele der Ehemänner sind amüsiert über das Treiben, ein paar sind in Deutschland aufgewachsen und sehen den russischsprechenden Väterchen Frost zum ersten Mal in Aktion. Ein Vater wundert sich über die Kostüme der Kinder wie beim Fasching. Ein Mädchen trägt ein gelbes Tüllkleid, ein anderes ein schimmerndes Arielle-Kostüm, ein Junge hat eine Wikingerkrone auf, ein anderer geht als Pandabär. Das sei eben so Tradition sagt eine Mutter schulterzuckend. Die poppig-plärrende Musik, wie sie in Russland an jeder Ecke zu hören ist, wirkt hier ein wenig fremd, die Kinder aber hüpfen und wackeln dazu durch den Saal.

Russische Weihnacht - Väterchen Frost

Lena Bogdanzew spielt in Aßling als Snjegurotschka - der Enkelin von Väterchen Frost - auf.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Lena Bogdanzew leitet eigentlich eine russischsprachige Kinderspielgruppe in Grafing, an diesem Tag aber spielt sie die Enkelin von Väterchen Frost, Snjegurotschka, das Schneemädchen. Gekleidet in einem silbernen Mantel mit passender Mütze, strahlt sie mit den Kindern, tanzt mit ihnen um die leuchtende Tanne oder stimmt am Keyboard russische Lieder an, ihr ist es ein ernsthaftes Bedürfnis, den Kindern etwas zu bieten. "Wir möchten unsere Kultur nicht vergessen", sagt sie, was nicht heiße, dass sie sich nicht integriere, schiebt sie nach. Natürlich rede sie mit Arbeitskollegen und Nachbarn Deutsch.

Das Programm ist trotzdem auf Russisch. "Das ist eine Möglichkeit für die Kinder, wieder Russisch zu sprechen", sagt eine Mutter aus Ebersberg. Viele Kinder würden Russisch verstehen, aber zu Hause immer seltener sprechen. Hier sei die Hemmschwelle niedriger. Mit Ded Moros, dem Väterchen Frost jedenfalls haben die Kinder keine Verständigungsschwierigkeiten. Sie scharen sich auch noch um ihn, als er seinen Sack nimmt und Richtung Tür marschiert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: