Schwabener Sonntagsbegegnungen:"Rückzug ist die schlechteste Alternative"

Schwabener Sonntagsbegegnungen: Ein Thema, das seit Jahrzehnten aktuell ist: Ulrike Scharf (links), bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, spricht bei der 112. Markt Schwabener Sonntagsbegegnung im Unterbräu mit ihrer Vorgängerin Christa Stewens über "Frauen. Männer. Gleichberechtigung".

Ein Thema, das seit Jahrzehnten aktuell ist: Ulrike Scharf (links), bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, spricht bei der 112. Markt Schwabener Sonntagsbegegnung im Unterbräu mit ihrer Vorgängerin Christa Stewens über "Frauen. Männer. Gleichberechtigung".

(Foto: Christian Endt)

Ein Gespräch zwischen der bayerischen Sozialministerin Ulrike Scharf und Amtsvorgängerin Christa Stewens über Gleichberechtigung führt in die Untiefen der Gesellschaft.

Von Franziska Langhammer, Markt Schwaben

Über Stuhllehnen hinweg werden Hände geschüttelt, verbunden mit dem Wunsch: "A guads Neis!", ein Dackel wackelt durch die Reihen. Die Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen, initiiert von Bernhard Winter, starten in ein neues Jahr mit einer Fragestellung, die vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt das aktuelle Weltgeschehen im Visier hat - den Klimawandel etwa, den Krieg in der Ukraine oder auch die Energiekrise.

"Frauen. Männer, Gleichberechtigung - ist das jetzt das richtige Thema?", fragt Christa Stewens, ehemalige bayerische Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, in Richtung Gastgeber. Gemeinsam mit ihrer Amtsnachfolgerin Ulrike Scharf soll sie darüber bei der 112. Ausgabe der Veranstaltungsreihe diskutieren. Doch Stewens beantwortet die Frage gleich selbst: "Gleichberechtigung ist ein aktuelles Thema, seit ich in der Politik bin."

Teilzeit und Selbstzweifel als Hemmschuh für die Karriere

Während ihrer Amtszeit, so erzählt sie, habe etwa das Programm "Girls' Day" nicht den erhofften Erfolg gebracht: Immer noch würden Mädchen bei einer Auswahl von rund 300 Ausbildungsberufen meistens zu denselben zehn greifen, nämlich zu solchen, die in Richtung Soziales, Pflegerisches, Kaufmännisches gehen. Auch Ulrike Scharf betont: "Wir sind noch lange nicht am Ziel angelangt, weder in der Wirtschaft, der Gesellschaft, noch in der Politik." Sie appelliert an die Frauen, sich generell mehr zuzutrauen. Würde eine Frau gefragt, ob sie sich vorstellen könne, Bürgermeisterin oder Gemeinderätin zu werden, würden oft die Selbstzweifel überwiegen. Männer hingegen würden viel schneller sagen: "Klar kann ich das."

"Das ist auch ein Spiegelbild für Führungspositionen", so Scharf. Die Anzahl von Frauen in Chefetagen in der Wirtschaft steige zwar; trotzdem seien es noch viel zu wenige. Ein Schwerpunkt des Gesprächs liegt auf Erwerbsarbeit, die in Teilzeit ausgeführt wird. "Die Frauenerwerbsquote in Bayern liegt bei über 80 Prozent", sagt Ulrike Scharf. Wenn man genauer hinschaue, werde jedoch klar, dass 60 Prozent der Frauen in Minijobs und Teilzeit arbeiten - ein Hemmschuh für die Rente, wie Scharf es formuliert.

Immer mehr Menschen mit Behinderung schaffen den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt

Das Thema Teilzeit hat Christa Stewens als Ministerin intensiv beschäftigt. "Teilzeit ist auch ein hohes Hindernis für die Karriere", sagt sie und erzählt von ihren eigenen Nachforschungen. So habe sich gezeigt, dass Frauen, die in Teilzeit arbeiten, von ihrem Vorgesetzten schlechter beurteilt würden als ihre männlichen Kollegen, die in Vollzeit beschäftigt seien. "Wir sind dem nachgegangen, und es hat sich gezeigt, dass Arbeitgeber sich sagen: Wer in Teilzeit arbeitet, ist nicht immer verfügbar für mich", so Stewens. "Daher bekommen Frauen in der Regel eine schlechtere Beurteilung." So drängend erschien Stewens das Thema damals, dass sie eine Ministerratsvorlage verfasste und auch mit dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber darüber diskutierte.

Auch Frauen mit Behinderung, die eine besondere Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt erfahren, werden von den CSU-Politikerinnen in den Fokus genommen. Scharf betont, das Bundesteilhabegesetz sei längst überfällig gewesen - doch seine Umsetzung eine große Herausforderung. "Ich sehe so viel Potenzial", sagt sie. "So viele Erfolgsgeschichten von Menschen, die den Übergang von Behindertenwerkstätten in den regulären Arbeitsmarkt schaffen."

Hate-Speech trifft vor allem Mädchen und Frauen

Ein weiteres wichtiges Stichwort ist digitale Gewalt: Hate-Speech, so Christa Stewens, treffe Frauen und junge Mädchen in besonderem Maße - ein Problem, das uns als Gesellschaft stärker beschäftigen müsse. Oft gebe es im Internet keine Hemmschwelle mehr, über Menschen zu urteilen. "Rückzug als Reaktion ist hier die schlechteste Alternative", warnt Scharf. Unglaublich viele Fälle von Hate-Speech gegen Frauen würden gezählt, Tendenz steigend; "eine dramatische Entwicklung". Viele Kommentare würden scharf an der Grenze zur Straftat stehen. "Bitte alles melden", appelliert Ulrike Scharf eindrücklich - auch wenn man selbst nicht betroffen sei von Hasskommentaren im Netz.

Das Gespräch ist im Großen und Ganzen kein Austausch im eigentlichen Sinne, sondern setzt sich eher aus Erfahrungsberichten aus erster und zweiter Hand zusammen. Nebenbei legen die beiden Politikerinnen die Finger auf Problematiken, die noch längst nicht ausreichend abgearbeitet sind, und sprechen dabei auch immer wieder anwesende Politiker an - oft geht etwa ein "Lieber Tom" in Richtung CSU-Landtagsabgeordneten Thomas Huber.

Die Offenbarung des Vormittags ist übrigens ein Trend, der die bayerischen Papas betrifft: Im Vergleich zu anderen Bundesländern nehmen sie am öftesten Elternzeit. "Wir sind an der absoluten Spitze, was die Vätermonate betrifft", sagt Ulrike Scharf. Warum das so ist, darüber könne nur spekuliert werden. Mit einem Lächeln vermutet sie: "Wahrscheinlich sind wir Bayern viel moderner, als wir von außen wahrgenommen werden."

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