Süddeutsche Zeitung

Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen:"Wir sind ausgebucht wie immer"

Nach acht Monaten Pause werden die Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen wieder aufgenommen - mit Verleger Jonathan Beck und Kultusminister Michael Piazolo und ihrem Hauptthema.

Von Franziska Langhammer, Markt Schwaben

Acht Monate sind seit der letzten Sonntagsbegegnung vergangen, acht seltsame, einschneidende Monate, doch trotz Maske und ausgedünntem Publikum lässt Organisator Bernhard Winter sich die gute Laune nicht nehmen. Auf Einzelsitzen oder in Zweier-Arrangements haben 60 Menschen an diesem herbstlichen Sonntag im Bürgersaal im Markt Schwabener Unterbräu Platz genommen - in einem Saal, in den zu normalen Zeiten bis zu 300 Zuhörer strömen. Aber Winter scherzt: "Wir sind ausgebucht wie immer."

Auch ein einschneidender Verlust fällt in die vergangenen Monate: Der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel, Schirmherr der Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen und selbst 15 Mal dort zu Gast, ist im Juli verstorben. Zu beiden Seiten des Podiums stehen große, eingerahmte Porträtfotos von Vogel, und Winter lässt es sich zu Beginn des Gesprächs nicht nehmen, ihn persönlich anzusprechen. "Wir vermissen dich", sagt er, emotional sichtlich bewegt, bevor er sich seinen heutigen Gästen zuwendet.

Diese könnten als Redner unterschiedlicher kaum sein: Auf der einen Seite der zurückhaltend agierende, nachdenkliche Jonathan Beck, Jahrgang 1977, der vor fünf Jahren den C.H. Beck Verlag in siebter Generation übernommen hat und seitdem leitet. Als Gesprächspartner ist ihm Michael Piazolo gegenüber gestellt, 60, seit zwei Jahren Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus und um keine ausschweifende Antwort verlegen. Während der eine gerne bedächtig und in knappen Sätzen spricht, streift der andere im Laufe des Antwortens auch gern schon mal mehrere Bereiche.

"Kinder, Schule, Bücher" ist das Thema, das heute diskutiert werden soll, und das schnell in eine andere Richtung abdriftet - in die der Digitalisierung nämlich. Zuerst erzählen die beiden jedoch von ihrer eigenen Schulzeit. Beck erinnert sich an seine Montessori-Grundschule und die Freiheiten, welche diese Lehrweise mit sich brachte. Piazolo gibt eine Anekdote zum Besten: Sein Vater arbeitete im Kultusministerium in Baden-Württemberg. Im Unterricht nun legte ein Lehrer die Taschengeld-Sätze offen, welche das Kultusministerium zu dieser Zeit empfahl. "Das lag deutlich über dem, was ich bekam", so Piazolo. Zuhause stellte er seinen Vater zur Rede: "Du hast das doch mitentschieden - wo bleibt das Geld denn nun?"

Und dann, tja, die Digitalisierung. Was das eigentlich sein soll, das wird auch im weiteren Verlauf der Diskussion nicht ganz klar. Geht es hier um digitale Wissensvermittlung? Oder um digitale Endgeräte, mit denen die Schüler dann arbeiten?

Es sei jedenfalls einiges verschlafen worden in dieser Sache, räumt Piazolo ein, gleichzeitig würde Vieles auch derzeit pauschalisiert. Nicht alles, was nicht digital stattfinde, sei gleich schlecht. Seiner Meinung nach solle immer noch der persönliche Kontakt zwischen Lehrern und Schülern im Vordergrund stehen. Aus der Praxis berichten kann hier Jonathan Beck, selbst Familienvater. Seine Tochter, vergangenes Jahr eingeschult, hatte zwar zu Beginn des coronabedingten Lockdowns auch digitalen Unterricht. "Ein großer Teil lag doch bei den Eltern", erzählt Beck, "und wir haben schnell gemerkt: Wir können das nicht so gut." Wie das denn dann bei Familien laufe, die eher bildungsfern sind? Piazolo schließt hier an: "Viele Eltern haben gemerkt, dass Unterrichten ein Beruf ist, und das ist auch gut so." Er glaube, dass viele Eltern nun Lehrer noch mehr schätzen als sonst. Als positiver Effekt sei auch zu verzeichnen, dass so mancher Schüler nun sage: "Ich will in die Schule."

Später wird aus dem Publikum hier nach gehakt, ob man unter Digitalisierung nicht auch ein Tool verstehen könne, eine Chance, die IT-Kompetenz der Schüler zu stärken. Verleger Beck empfindet dies in Bezug auf die Schnelllebigkeit der digitalen Welt fragwürdig: Soll man einer Zehnjährigen etwas beibringen, das vielleicht nicht mehr relevant ist, wenn sie 19 ist? An dieser Stelle stellt Piazolo eine Kernfrage: "Was wollen wir unseren jungen Leuten mitgeben?" Seiner Ansicht nach sei es wichtiger, Schülern Medienkompetenz beizubringen in dem Maße, Fakten zu hinterfragen, einzuordnen, und zu wissen, wo man sich faktenbasiert informieren kann.

Das Zwölf-Uhr-Läuten der Markt Schwabener Kirchturmuhr und mit ihm das Ende der Begegnung naht schon, da richtet Piazolo sich entschieden gegen die Behauptung, durch die coronabedingten Schulschließungen würde eine "verlorene Generation" herangezogen - auch wenn es auch aus Sicht eines Kultusministers natürlich bitter sei, wenn mehrere Wochen kein Unterricht stattfinden könne. Vorsichtig, aber doch deutlich widerspricht Beck: "Ich glaube nicht, dass das unbemerkt an den Kindern vorüberziehen wird." Er glaube an einen statistisch nachweisbaren Effekt, und sei es später einmal ein kleiner Einkommensknick in der Karriere der heutigen Kinder.

Zum Schluss darf vor allem der Staatsminister noch ein paar schulpolitische Fragen beantworten, etwa ob Bildung Ländersache bleiben müsse - aber ja. Und ob kleinere Klassen keine Lösung seien, auch im Hinblick auf Corona? Piazolo schafft es, diese Frage auch damit zu beantworten, dass Lehrermangel eine Sichtweise sei - ein Seitenhieb auf alle Lehrerverbände, die sich für mehr Personal an den Schulen einsetzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5046029
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.09.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.