Hubertuskapelle:Wer hat an der Uhr gemalt?

Fehlende 8 - Sonnenuhr Hubertuskapelle

Wo ist die VIII geblieben? Womöglich war der Schöpfer der Sonnenuhr beim Aufmalen des Ziffernblatts etwas achtlos.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit Jahrzehnten ziert eine Sonnenuhr die sagenumwobene Hubertuskapelle im Ebersberger Forst. Das Besondere daran: Auf dem Ziffernblatt fehlt die Acht. Über einen rätselhaften Ort, an dem immer wieder Dinge abhanden kommen.

Von Korbinian Eisenberger

Die Sonnenuhr ähnelt einem Halbmond. So wie die meisten ihrer Art. Überhaupt wirkt sie auf den ersten Blick recht klassisch, fast unscheinbar, gewöhnlich. Verdächtig gewöhnlich. Manchmal lohnt genau dann ein präziserer Blick. Und ja, tatsächlich. Irgendwas stimmt nicht mit diesem Zeitmesser, der so unscheinbar besonnen seinen Schatten wirft. Es ist das Zifferblatt: Dort sind römische Zeichen abgebildet, von VI, sechs, aufsteigend bis XII, zwölf, und dann von I., eins, aufsteigend bis V, fünf. Dem Gesetz der Zeitmessung nach müssten demnach zwölf römische Zeichen abgebildet sein. Doch es sind nur elf. Die "VIII" fehlt.

Der Hubertuskapelle im Ebersberger Forst fehlt die Acht. Beachtenswert ist dieser Umstand, weil es sich um die prominenteste Kapelle der Region handelt. Der Legende nach spukt hier der Geist einer Frau in Weiß. Der nachweislich historische Wert des Bauwerks ist beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege als Baudenkmal vermerkt. Täglich fahren Tausende Autos an der Kapelle vorbei. Erst vor einem Monat machten nicht wenige dort Halt und wurden Zeuge des Schauspiels einer Ebersberger Historikerin, die in weißer Kutte die Geisterlegende zum Erlebnis machte und schließlich zwei Polizisten aus Erding entgeisterte. Eines fiel weder den Beamten noch sonst wem auf: Die Zahlen-Lücke auf dem Ziffernblatt.

Aber handelt es sich überhaupt um eine Lücke? Die Komposition des Ziffernblattes lässt eher darauf schließen, dass hier noch nie eine römische Acht stand. Der Abstand zwischen der VII und der IX ist unauffällig und wirkt gewollt. "Eine Geheimverschwörung der Illuminaten ist wohl eher nicht der Fall", sagt der Ebersberger Kreisheimatforscher Thomas Warg, dem der Fehler bisher ebenfalls entgangen war. Seine Theorie: "Es schaut eher so aus, als hätte der Maler die Nummer acht schlichtweg vergessen."

Laut Forstbetrieb wurde die Uhr im Zuge größerer Sanierungsarbeiten in den 60er-Jahren aufgemalt

Die U(h)rsachenforschung führt zum Forstbetrieb Wasserburg, dem Eigentümer der Kapelle, die einst dem Schutzheiligen der Jäger und Schützen geweiht wurde. Wer hat die Uhr gemalt? Wie kam es zu dem Fehler? Und welche Rolle spielt die Legende der Weißen Frau, die unweit der Kapelle samt ihrer Kinder von einem Auto tödlich überfahren worden sein soll?

Hubertuskapelle: Historiker Thomas Warg steht vor einem Rätsel.

Historiker Thomas Warg steht vor einem Rätsel.

(Foto: Christian Endt)

Das Drama um die Weiße Frau soll sich dem Ebersberger Stadtarchiv zufolge in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zugetragen haben. Die Kapelle stand schon vorher. Auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme, datiert 1900, ist die Hubertuskapelle gut zu erkennen. Die heutige Staatsstraße 2080 war damals noch ein Kiesweg, die weiß glänzende Fassade der Kapelle frei von Bemalung. In der Aufnahme aus "Der Landkreis Ebersberg in Geschichte und Gegenwart", Band sieben, von Markus Krammer ist von einer Sonnenuhr keine Spur. Die kam erst später. Laut Forstbetrieb wurde die Uhr mit ihren elf römischen Zahlen wahrscheinlich im Zuge größerer Sanierungsarbeiten in den 60er-Jahren aufgemalt. Aber von wem und warum so?

Die Suche nach Antworten führt zu einer Frau, die sich selbst als die Mesnerin der Kapelle bezeichnet. Seit fünf Jahren kommt Rosemarie Widmann jede Woche zur Kapelle geradelt und macht drinnen und draußen sauber. In den vergangenen zwei Wochen aber, sagt sie, da habe sie auf die Tour von Markt Schwaben durch den Forst verzichtet. "Ich bin sauer", sagt die 78-Jährige. Nicht wegen der fehlenden Zahl, die ist auch ihr bisher nicht aufgefallen. Mit dieser Zeitumstellung, sagt sie, da komme sie gut klar. Zeitverlust ist nicht ihr Problem. Ihr macht zu schaffen, dass in der Kapelle immer häufiger Dinge abhanden kommen.

Hubertuskapelle: Geisterstunde an der Kapelle: Als "Weiße Frau" verhüllt war kürzlich die langjährige Ebersberger Stadtarchivarin Antje Berberich zu bestaunen.

Geisterstunde an der Kapelle: Als "Weiße Frau" verhüllt war kürzlich die langjährige Ebersberger Stadtarchivarin Antje Berberich zu bestaunen.

(Foto: Christian Endt)

Wittmann berichtet, dass in den vergangenen Monaten auffällig viele Gegenstände aus der Hubertuskapelle verschwunden seien. Es habe damit begonnen, dass die beiden Holzkreuze zu Boden gerissen wurden. Fortan fehlten immer häufiger die Laternen, die Widmann regelmäßig aufstellt und entzündet. Schließlich, so die Markt Schwabenerin, sei die Madonnen-Figur aus der Kapelle gestohlen worden. Auch sämtliche Kreuze fehlten nun. "Dabei sind die Sachen doch nicht von materiellem Wert", sagt sie. Dennoch, so Wittmann, müsse man von Diebstahl ausgehen. Und dabei blieb es nicht.

Offenbar treiben sich im Dunstkreis der sagenumwobenen Hubertuskapelle nicht nur Gauner herum, sondern auch Randalierer. Wittmann erzählt von einem Kapellenfenster, das offenbar mit einem Stein eingeworfen wurde. Und das Ersatzglas wurde zertrümmert, ehe die bestellte Restauratorin es einsetzen konnte. Mittlerweile hat der Forstbetrieb die Fenster mit Gitterstäben versehen. Zuletzt, so Widmann, klaubte sie Bierflaschen und Zigarettenstummel aus der Kapelle. "Die machen dort Partys, wie wenn sie die Weiße Frau feiern würden", sagt Widmann. Dagegen habe sie im Prinzip nichts. "Aber langsam stinkt es mir, wenn die Leute da jede Woche was kaputt machen und versauen."

So führt die fehlende Acht zum eigentlichen Knackpunkt: Fehlende Achtsamkeit an einem Ort, der im Jahr 1859 "durch fromme Beiträge und die Bemühungen des Forstwarts Kühner" errichtet wurde. Der Ebersberger Chronist und Pfarrer Martin Guggetzer soll in seinen Aufzeichnungen erklärt haben, dass an der Kapelle eine Platte angebracht war, die Kühner als Erbauer auswies. Die Platte existiert nicht mehr. Es kümmert sich nicht mehr der Forstwart um die Kapelle, sondern Rosemarie Widmann aus Markt Schwaben.

Zwei Wochen hat sie die Hubertuskapelle nun gemieden. Über Allerheiligen sei es aber an der Zeit für eine Rückkehr. "Solche Orte sind was Faszinierendes." Sie sei nicht bigott. "Aber irgendwas gibt es da draußen", davon sei sie überzeugt. Ob dazu auch der Geist einer Weißen Frau zählt? Widmann erzählt von einer Familie, die aus Starnberg zur Hubertuskapelle gereist war - um der Sage willen. Ob sie selbst womöglich die Weiße Frau sei?, fragten die Starnberger. Rosemarie Widmann wollte sie nicht enttäuschen und erklärte: Angesichts ihrer dunklen Kleidung sei sie eher die schwarze Frau.

Zeitumstellung in der Nacht auf Sonntag. Die Uhren wurden um eine Stunde zurückgestellt.

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