Ebersberg:Eine Frau - viele Rollen

Sonja Pikart Altes Kino

Sonja Pikart am Freitagabend im Alten Kino in Ebersberg. Der Auftritt der studierten Humanbiologin wurde zudem im Internet übertragen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Kabarettistin Sonja Pikart überzeugt im Alten Kino Ebersberg bei ihrer Identitätssuche als Meisterin der Verwandlung. Die Finalistin beim Prix Pantheon hat verschiedene Gesichter und zeigt sie auch

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Erwähnt man den bevorstehenden Gang zum Auftritt einer "Kabarettistin aus Österreich", heißt es gleich: Ach, die! Ähhh ... nein. Falsch. Auch wenn weltweit in der Szene ein deutlicher Männerüberschuss herrscht, gibt es doch auch jenseits der Alpen mehr als eine weibliche Person, die wortgewaltig auf fein ziselierte, schwarzhumorige oder gar morbide Weise ihren Finger in die Wunde des alltäglichen Wahnsinns legt.

Deshalb ist diesmal Sonja Pikart und nicht ihre viel diskutierte Kollegin Lisa Eckhart zu Gast in Ebersberg. Und weil die Protagonistin dieses Freitagabends zwar seit 2009 in Wien lebt, aber eigentlich aus dem Münsterland stammt, ist sie eine "Deutsche aus Österreich". Nicht der einzige Aspekt im Leben der Kabarettistin, Moderatorin und Schauspielerin, in dem die Frau mit den blonden Haaren die Erwartungen konterkariert. Denn statt - wie jetzt unter anderem auch als Finalistin des Prix Pantheon - künstlerisch im Rampenlicht zu stehen, hätte Pikart die Öffentlichkeit auch ganz anders auf sich aufmerksam machen können. Ist die Mittdreißigerin, die locker als Bachelorstudentin durchgehen könnte, doch eigentlich studierte Humanbiologin. Und die sind gerade heute, wie man weiß, besonders gefragt.

Ihren Wechsel ins Schauspielfach erklärt sie beim anschließenden Pressegespräch mit der Einsamkeit jener 14-Stunden-Tage im Labor. Sie habe den Kontakt zu Menschen vermisst und sich daher für das krasse Gegenteil entschieden. Zum Glück für die Zuschauer im Alten Kino in Ebersberg und die Empfänger des Livestreams. Diesen präsentiert sie nun ihr zweites Programm, "Metamorphosen", in dem es um Feminismus, Subkulturen und die eigene Identität geht. Die "postmoderne, keltisch-mitteleuropäische, atheistische, progressiv-liberale, Punk Rock, CIS-Frau" fühlt sich dabei wie "Kafkas Küchenschabe, gefangen in der Zauberkugel der Miniplaybackshow". Genauso wandlungsfähig - und überdies lustig - ist sie dabei auch.

Mit Energie und Enthusiasmus bringt sie den Vorteil von Zen-Gärten für die Traumabewältigung oder die Cosmopolitan als Weiterbildungsbibel in Sachen bodypositivistisch konnotierter Körperbehaarung auch jenen im Saal nahe, zu deren unmittelbarer Lebenswelt weder diese Themen noch Widrigkeiten bei Flixbus-Reisen zählen.

Wiederfinden können sich alle bei den lebhaften Schilderungen von Dialogen des Grauens - etwa beim Kontakt mit einer Wasserkocher- Servicehotline. Dank ihres schauspielerischen Könnens erweckt Sonja Pikart mit ausladenden Gesten und vollem Körpereinsatz dabei in raschem Wechsel zahlreiche Figuren zum Leben: Die erst nachsichtig-geduldige, dann überhebliche Telefonberaterin, die ob der Zweifel an ihrer Grundintelligenz genervte Kundin oder die hyperaktive Verkaufskanal-Präsentatorin.

Und dennoch schwingt in all diesen, mal komischen, mal aberwitzig-absurden Szenen immer noch ein zuweilen bitterer Unterton mit. Ganz egal, ob es um die "Bruderschaft der Generation Y Hipster, die sich selbst gern reden hört" geht, die ohne Faktenwissen zu allem eine Meinung hat und zur Unterstützung der Kleinbauern in Südamerika statt Avocados lieber Kokain konsumiert. Oder um die detaillierte Beschreibung des Verlaufs beim Entzug von Antidepressiva - Verzweiflung an Tag 14 über sich zerfledderndes Klopapier und Schwierigkeiten bei der Planung eines Suizids ("klassisch, aber mit einem Hauch von Extravaganz") an Tag 21 inklusive.

"Manche Zuschauer denken am Ende, ich hätte keine Depressionen, käme aber aus Paderborn," verrät sie nach der Show. (Kein Wunder, findet doch die 150 000-Einwohner-Stadt recht häufig Erwähnung, meist als Synonym für Trostlosigkeit). Wahr ist aber das Gegenteil. "Es ist mir wichtig, dass auch über dieses Thema gesprochen wird, denn ich will nicht immer so tun, als wäre alles perfekt."

Selbst wenn das für das Leben der Kabarettistin zutreffen sollte - in Sachen Bühnenprogramm kommt sie der Perfektion mit ihren facettenreichen Miniaturen rund um "Metamorphosen" ziemlich nahe.

Denkt man genauer darüber nach, ist dieses Thema derzeit aktuell wie nie - überall muss mit Transformation auf die veränderten Bedingungen reagiert werden. Auch im Alten Kino. Das fängt bei der Verringerung von Plätzen an und hört beim Maskengebot für das Team nicht auf. Die wahre Kunst ist, daraus das Beste zu machen: Dem Publikum mit strahlenden Augen, Begeisterung und trotz Mund-Nasen-Schutz erkennbarer Herzlichkeit zu signalisieren, wie willkommen es ist. Oder per Livestream nicht nur den Menschen im Landkreis, sondern überall auf der Welt die Chance zu geben, an diesem Abend dabei zu sein. Und den Internetnutzern sogar noch diverse Extras zu bieten: Ein Vorprogramm mit launigen Plaudereien von Gastgeber Markus Bachmeier und seinem Kollegen Simon Viktor. Wunderbares "Altes Zeugs" von Valtorta in Filmform. Und Einspieler - am selben Tag direkt nach ihrer Ankunft in Ebersberg spontan mit der Protagonistin des Abends produziert.

Diesmal konnte Sonja Pikart dabei noch unerkannt durch die Altstadtpassage gehen. Bei ihrem nächsten Auftritt mag das vielleicht anders sein - da wird man dann wissen: "Schau an, das ist doch die! Die Kabarettistin aus Österreich!" Ganz genau.

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