Süddeutsche Zeitung

Junger Dirigent aus Vaterstetten:Die Gedanken hinter der Musik

Maximilian Leinekugel und seine "Munich Classical Players" zeigen im Zornedinger Martinstadl, was Bernstein und Beethoven miteinander verbindet

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

Beethoven, Mahler und Bernstein standen am Freitagabend auf dem Programmzettel beim Sonderkonzert der Munich Classical Players im Martinstadl Zorneding. Eine ungewöhnliche, aber verstehbare Kombination, zumal Dirigent Maximilian Leinekugel sich vor jedem Stück ans Publikum wandte und eine ebenso kenntnisreiche wie kurzweilige Einführung zu jedem Stück gab. Ein Weg, die der Tassilo-Preisträger beim Klassikgipfel der SZ Ebersberg diesen Sommer schon als gut geeignet geschildert hatte, um beim Publikum ein breiteres Verständnis für klassische Musik zu schaffen. Den Reaktionen im gut gefüllten Saal war denn auch anzumerken, dass dieser Ansatz auf fruchtbaren Boden fiel - die Aufmerksamkeit im Publikum war groß, die Sekunden der Stille großartig, die zwischen der letzten Note und dem ersten Applaus den Gedanken und Gefühlen der Anwesenden Raum haben.

Das erhöhte zum Beispiel die Spannung beim anfänglichen Streichquartett No. 16 Ludwig van Beethovens beträchtlich. Nicht nur, weil es gleich zwei Bearbeitungen erfahren hatte; zuerst durch Leonard Bernstein die Transkription für Streichorchester, dann die Rekonstruktion derselben durch Leinekugel. Sondern auch, weil sich nunmehr die mitunter recht radikalen Stilmittel des Komponisten nicht mehr als "typisch Spätwerk" in eine Schublade verräumen ließen, sondern das Publikum offen war für die ganze Dramatik und Kraft des Werkes. Der großen Achtsamkeit der Zuhörer stand eine noch größere beim Orchester gegenüber, das die Satzbezeichnungen nicht nur technisch, sondern programmatisch empfand und spielte. Das "Vivace" strotzte nur so vor Lebenskraft und Energie, das "Lento assai, cantante e tranquillo" tanzte zwischen den weichen Kanten eines melancholischen Gesangs, bevor es im vierten Satz "Der schwer gefasste Entschluss: Grave ma non troppo tratto - Allegro" zurückging in eine sinfonische Dimension von solcher Dynamik, dass man meinte, das rohe, unbehauene Holz noch einmal aufstöhnen zu hören, aus dem später die Geigen, Violen, Celli und Bässe gefertigt wurden, die sich auf der Bühne befanden.

Mit dem Adagietto aus Gustav Mahlers Sinfonie No. 5 kredenzte das junge Ensemble einen ebenso sanften wie anregenden Zwischengang. Sie gaben dem achtminütigen "Lied ohne Worte", das nach Leinekugels Analyse der zahlreichen Werkdeutungen "sicher irgendeine Erklärung für irgendetwas" im Leben des Komponisten liefert, die Chance, aus sich selbst heraus zu wirken und die Zuhörer unmittelbar durch den Zauber einer Melodie zu gewinnen, die viele Anfänge hat, aber nie ein Ende nimmt. Hier mit wachen Sinnen bei der Sache zu bleiben und nicht in Spielereien "l'art pour l'art" zu verfallen, zeugt von der Reife des Orchesters.

Die drei Meditationen aus Leonard Bernsteins "Mass" bildeten den Abschluss. Man darf diese Stücke aus einer Komposition, die sich zwischen Messe und Musical bewegt, nicht als Anleitung zur inneren Einkehr verstehen, auch nicht als Begleitmusik dazu. Vielmehr geben sie das wider, was dem meditierenden Komponisten in den Sinn kam, als er über einen Appell zu Frieden und Brüderlichkeit sann. Eine Passage Bach floss ein, eine kleine Tonfolge aus Beethovens Neunter, einige widerborstige Fetzen Jazz, der schräge Gesang einer verirrten Amsel, vielleicht sogar das chaotische Klangbild aus den Radios in den Appartements nebenan lieferten Bernstein die Webfäden, aus denen er ein musikalisches Abbild seiner Gedanken flocht. Wie er diese Momentaufnahmen zusammenfügt zu spiritueller Melodie, das ist an sich schon ein Erlebnis. Wenn daraus noch die Erkenntnis erwächst, dass es letztlich nur die Musik vermag, dafür einen Ausdruck zu finden, wo Sprache scheitert - das ist groß.

Wie die jungen Musikerinnen und Musiker dieses Angebot aufgreifen, ihm mit ihren Instrumenten Stimme geben, das wiederum ist bewegend und zeugt von weit entwickelter Musikalität. Denn es reicht hier eben nicht aus, Noten zu lesen und den Anweisungen des Dirigenten zu folgen. Man muss schon einige biografische Details und Zusammenhänge kennen, verstehen, was einen Bernstein bewegt, und seine schöpferische Kraft annehmen, um diese Musik glaubwürdig darzubieten. Dafür gebührt dem Ensemble wie dem Leiter großer Respekt. Entsprechend zugeneigt fiel auch der Applaus aus, mit dem das kenntnisreiche Publikum den Auftritt bedachte.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2018
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