Solidaritätsaktion:"Eine für alle - alle für Gerti"

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Bei einer Veranstaltung im Einrichtungsverbund Steinhöring protestieren 150 Kinder, Betreute und Mitarbeiter gegen den Rauswurf ihrer Gesamteinrichtungsleiterin Gertrud Hanslmeier-Prockl

Von Viktoria Spinrad, Steinhöring

Als Mechthild Ferber-Holzbauer auf die etwa 150 Menschen im Raum deutet, juchzt einer der Menschen im Rollstuhl freudig auf. Vielleicht spürt er die Verbundenheit, die die Seelsorgerin inmitten des Schilderwalds aus Protesten heraufbeschwören möchte - eine Gratwanderung für die Gemeindereferentin, die ja von dem Ordinariat entsandt ist, gegen das sich nun die geballte Wut und Trauer der Mitarbeiter des Einrichtungsverbunds Steinhöring (EVS) richtet.

Die Tränen, Gesänge und Protestäußerungen am Dienstagnachmittag sind ein weiterer Akt in einem Konflikt, der sich so schnell wohl nicht legen wird, aber immer weitere Kreise zieht. Auf die Kündigung ihrer langjährigen Gesamteinrichtungsleiterin Gertrud Hanslmeier-Prockl durch den Träger, die Katholische Jugendfürsorge (KJF), hatte die Belegschaft zu Beginn vergangener Woche mit Trauer und Entsetzen reagiert. Es folgten Unterschriftenaktionen, eine Gerichtsverhandlung mit 70 Unterstützern, ein Appell der Polit-Prominenz des Landkreises Ebersberg an Kardinal Reinhard Marx - und nun das Zusammenkommen in der proppenvollen Mehrzweckhalle des Einrichtungsverbunds.

Ein Regenbogen soll Hoffnung spenden

Die Seelsorgerin hat Sticker verteilt: Regentropfen auf einer Scheibe, dahinter erstreckt sich ein hoffnungsvoller Regenbogen. Ferber-Holzbauer kann keine Partei ergreifen, aber sie kann Trost spenden und Hoffnung machen. Sie spricht über unruhige Zeiten, Gottvertrauen in Zeiten des Sturms, Ruhe und Kraft. Sie zitiert aus dem ersten Buch Mose: "Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes", viele haben Tränen in den Augen.

Dass sie mit der unfreiwilligen Trennung von ihrer "Gerti" ganz und gar nicht einverstanden sind, zeigen die Schilder, die Betreute und Mitarbeiter gemalt haben. Da ist der EVS-Bus mit Rollstühlen auf dem Dach, den nun Gewitterwolken heimsuchen. "Ohne die Gerti - EVS Totalschaden", so die Fortsetzung auf zwei weiteren Plakaten, die auf der Bühne stehen. Eindringliche Worte haben auch die Verfasser eines Plakats gewählt, das an der Holzwand hängt: "Habt ihr kein Gewissen?" Eine rhetorische Frage an den Träger, der Hanslmeier-Prockl im April gekündigt hat, nachdem sie Vorschläge zur Sanierung anderer Teilbereiche der KJF gemacht haben soll.

Eine Frau steht auf, wie es mit Singen wäre? "Wir singen jetzt nicht", sagt die Seelsorgerin. Und entscheidet sich fast im selben Atemzug doch anders: "Wir singen jetzt." Nacheinander stimmen sie alle ein, Menschen mit Behinderungen, Kinder, ihre Eltern, Mitarbeiter: "Du bist gesegnet, dein Segen bist du", nur unterbrochen von einzelnen Juchzern und Babygeschrei.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Aussagen auf den Plakaten...

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

...und Transparenten...

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

...lassen keine Fragen offen.

"Warum geht man mit Menschen so um - und das in der Kirche?"

Einem Schrei nach Hilfe gleichen auch die Aussagen der Betreuten. "So eine finden wir nicht mehr", sagt eine Frau, "es kann nicht sein, dass über unseren Kopf bestimmt wird." Eine junge Frau, die in der Ebersberger Werkstatt beschäftigt ist, moniert: "Warum geht man mit Menschen so um - und das in der Kirche?" Alle, die sich zu Wort melden, ernten tosenden Applaus. Man ist sich hier einig: "Wir geben Gerti nicht auf" - so steht es auf einer Leinwand, die der 50-jährige Martin Winzberger aus einem Steinhöringer Wohnheim stoisch hochhält.

Ob die KJF "Gerti" aufgeben oder sie zurück ins Boot holen will, ist offen. Mehr Klarheit dürfte die außerordentliche Mitgliederversammlung am Mittwoch in der Geschäftsstelle in München bringen. Dort dürfte es hitzig werden: Mitglieder des Trägervereins haben hier nicht nur beantragt, die Kündigung zurückzunehmen - sie haben auch eine detaillierte Frageliste an den Aufsichtsrat vorbereitet: zu weiteren geschassten Leitern, Organisationsstrukturen, der Notwendigkeit externer Berater - und möglicherweise unzulässigen Immobilienverkäufen durch den kirchlichen Träger. Zuvor wollen Mitarbeiter eine Unterschriftenliste übergeben. Auf der sollen sich mehr als 720 Mitarbeiter eingetragen haben - etwa vier Fünftel der EVS-Belegschaft.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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