Kabarett in Markt Schwaben:Vom Koma zum Amok

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Sigi Heil alias Sigi Zimmerschied verstört mit dem vollen Programm der gepflegten Menschenverachtung: Rassismus in Reinform, Gewaltverherrlichung ohne Ende, Frauenfeindlichkeit als Dreingabe und Fäkalsprache nicht zu knapp.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sigi Zimmerschied lädt zu einem unvergesslichen Geburtstag. Der von ihm skizzierte Schreckensmann hat nach Hanau und Halle an grauenhafter Aktualität gewonnen

Von Wolfgang Langsenlehner, Markt Schwaben

Gibt es etwas Traurigeres als einen Geburtstag ohne Gäste? Sigi Heil alias Sigi Zimmerschied, seines Zeichens Kammerjäger und patenter Ungeziefervernichter, kommt in diese Situation. Aber zum Glück gibt es Alkohol. Mit Schnaps lässt sich das eigene Schicksal auch schön saufen und die nicht vorhandenen Gäste gleich dazu.

Kenner von Zimmerschieds Kosmos und seiner Welt wissen, dass man bei einem Abend mit ihm auf allerhand gefasst sein muss, aber dieser Sigi Heil ist doch ein arg unsympathischer Widerborst, der es seinem Publikum nicht gerade leicht macht. Das volle Programm der gepflegten Menschenverachtung schlägt den Zuhörern ungeschminkt entgegen: Rassismus in Reinform, Gewaltverherrlichung ohne Ende, Frauenfeindlichkeit als Dreingabe und Fäkalsprache nicht zu knapp. Da wird die eigene Familie genüsslichst demontiert und vorgeführt oder an Jesus und den ideologisch begründeten Massenmorden in seiner Nachfolge kein gutes Haar gelassen. Die tiefsten menschlichen Abgründe tun sich auf, und Zimmerschied lässt uns durch seine Bühnenfigur und große physische Präsenz hinein blicken. Schonungslos, derb, aberwitzig und gruselig ist dieses Panoptikum des Negativen. Vielleicht ist das der Grund für nur verhaltenen Applaus zur Pause und einer eher ratlosen Stimmung. Von der ausverkauften Veranstaltung haben sich tatsächlich bereits Gäste entfernt, und es stellt sich die Frage: Was sollen die Zuhörer mit Sigi Heil anfangen, in dessen "Geburtstagsfeier" sie zahlend und freiwillig hineingeraten sind?

Doch der erste Eindruck täuscht. Die bayerische kabarettistische Urgewalt, der vielfach ausgezeichnete und umjubelte Künstler und Schauspieler zeigt erst im Hinblick auf das Gesamtkonzept seine Genialität und wahre Größe. Plötzlich erscheinen doch noch Gäste, Weggefährten des Sigi Heil, die doch gleichzeitig seine Opfer waren und ihm nun seine bodenlosen Schandtaten vorhalten. Allesamt sind von ihm Versehrte und loben ihn trotzdem über den Schellenkönig. Der mit dem Traktor überfahrene, bigotte Quirin, der "Ostern spielt, aufersteht und verzeiht", betont die Wichtigkeit Sigis für den Fortbestand der Kirche.

Er zeigt dieser Institution stets das Böse und gibt ihr eine existenzielle Daseinsberechtigung. Manfred - "aus Ignorant wird Kommandant" - betont, dass die Bundeswehrkollegen, bezeichnet als "Kanonenfutterinnen und Kanonenfutter", sich niemals von der Gefahr des Friedens einlullen ließen, denn wo Sigi war, da war Krieg. Manchmal fordert dieser auch Opfer, sowie Manfreds rechtes Auge, das Sigi auf dem nichtvorhandenen Gewissen hat. Aber es war ja nur das rechte Auge, und "auf dem rechten Auge blind zu sein ist ein Geschenk in der Bundeswehr". Das Gedicht eines weiteren in der Schulzeit misshandelten Mitschülers namens Ernstl und dessen virtuoser Vortrag geraten zu einer Hommage an Ernst Jandl, nicht ohne zu betonen, dass viele Hochkulturen aus Scheiße entstanden: Champignons und Dichter.

Irgendwann reicht es Sigi Heil, und er schreitet zur Tat. Ein Massaker muss her, aber sofort und nur mit Unterstützung des Publikums. Ein Opfer wird gesucht und verdingt. Doch darf etwas Wichtiges keinesfalls fehlen: die Unterstützung durch die moderne Technik. Sigi macht die Zuschauer zu Social-König Midas. Was sie berühren, respektive posten oder gewinnbringend verkaufen, wird zu Gold. Jemand für die Totale und für die Nahaufnahme wird gefunden, weil die Leute auf den "Kanapees daheim es so haben wollen". Spätestens bei der Aufforderung, sich zu erheben, sein Smartphone zur Hand zu nehmen und das zu tun, was man immer tut, also sich gegenseitig zu filmen oder zu fotografieren, fragt man sich, was nun noch folgt. Doch in der größten Spannung bricht er mit der Szenerie, liefert bei der Selbstdarstellung, die aufgezeichnet werden soll, nur grotesk Humoristisches. Es mündet in der Erkenntnis des Abends: Sigi Heil ist das größte Ungeziefer und es sei heldenhaft, sich selbst beiseite zu räumen. So kommt es dann doch noch zu einem makabren Happy End. Statt des Amoklaufs begeht er den Suizid als Konsequenz seines Seins.

Sigi Zimmerschied ist kein Kabarettist, dessen Pointen mit schallendem Gelächter und Schenkelklopfen belohnt werden. Er hält seinem Publikum den Spiegel vor und reflektiert mit seiner Bühnenfigur die Gesellschaft. Sensationslüsternheit, verstärkt durch die sozialen Netze und eine hohe Affinität zu verbaler Gewalt, die in Sigi Heils Brutalität ihre logische Fortsetzung findet, durchziehen die Gesellschaft. Was Zimmerschied auf die Bühne bringt, ist ein alternder "Schreckens Mann", wie ihn Hans Magnus Enzensberger schon 2006 beschrieb. Der auf Sigi Heil passende Untertitel "Versuch über den radikalen Verlierer" zeigt die inhaltliche Parallele. Er beschrieb darin den Typus des vereinsamten in seinem rassistischen und frauenfeindlichen Weltbild gefangenen und versunkenen Mannes. Nach Hanau und Halle hat dieser Schreckensmann an grauenhafter Aktualität gewonnen. Zimmerschied führt ihn uns vor in seinem ekelerregenden Gehabe, seiner nihilistischen Destruktivität und seinem zerstörerischen Hass. Seine Eindringlichkeit, mit der er die Zuhörer überwältigt, danken sie ihm mit lang anhaltendem Applaus. Die atemberaubende Spannung hat sich gelöst und so bleibt es jedem Einzelnen überlassen sich zu überlegen, was die Konfrontation mit dieser Gestalt für sein eigenes Leben bedeuten kann.

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