Sicherheitswacht Vaterstetten:Auf Streife zwischen Hühnergehege und Skatepark

Lesezeit: 4 Min.

Randalierende Jugendliche, Verfolgungsjagden mit Fahrraddieben, Drogendeals am S-Bahnhof? Wie sieht der Alltag der Einsatzteams in der Realität aus? Unterwegs durch Vaterstetten und Baldham

Von Jonas Braun, Vaterstetten

18.02 Uhr. Besprechungsraum der Sicherheitswacht Vaterstetten. Simone Wieland packt ihre Ausrüstung zusammen: Pfefferspray, Erste-Hilfe-Set, Taschenlampe und - am wichtigsten - ein Funkgerät mit Panikknopf. Der kleine rote Knopf stellt eine Direktverbindung zur Zentrale her, wenn man ihn drückt, erzählt die Wirtschaftsfachwirtin. "Dann hat man die Hände frei, um sich zu verteidigen."

Randalierende Jugendliche, Verfolgungsjagden mit Fahrraddieben, Drogendeals am S-Bahnhof? Wie sieht der Alltag der Sicherheitswacht in der Realität aus?

Simone Wieland ist Teil eines sechsköpfigen Teams, das seit Januar in Vaterstetten und Baldham seine Runden dreht. Normalerweise sind sie zu zweit unterwegs, heute macht sie eine Ausnahme, da ihr Partner beruflich verhindert ist. Jeder Rundgang wird zwischen Dienstelle und Streife vorab abgesprochen. "Heute wird eine alte Dame vermisst, nach der muss ich die Augen offenhalten." Eine Personenfahndung.

18.09 Uhr. Draußen scheint noch immer die Sonne. Die erste Station ist das Hühnergehege gegenüber dem Rathaus. Hier habe es bereits Eierdiebstähle gegeben, berichtet Wieland. Der Eierautomat wurde mehrmals eingetreten. Als eine Streife mit Blaulicht vorbei fährt, hebt sie grüßend die Hand. Die Polizisten grüßen im Vorbeirasen zurück. "Die Zusammenarbeit mit der Polizei klappt gut", sagt die 42-Jährige.

Wichtige Bedingung: Keine Vorstrafen

Die Kommunikation ist wichtig, da sich die Sicherheitswacht immer mit der Dienststelle oder der Streife absprechen muss, bevor irgendetwas unternommen wird. Simone Wieland war vorher bereits einige Jahre in Haar im Einsatz, angefangen hat ihr ehrenamtliches Engagement beim Frauennotruf in Dachau. Mit ihrem Umzug nach München ging das nicht mehr, also meldete sie sich bei der Sicherheitswacht. "Es gefiel mir so gut, dass ich direkt nach der Probe-Streife den Vertrag unterzeichnet habe", erzählt sie. Ausgebildet wurde sie damals von ihrem Dienststellenleiter.

Die neuen Sicherheitswachtler in Vaterstetten mussten eine andere Ausbildung durchlaufen. "Die Bewerber werden in 40 Lerneinheiten unterrichtet", erklärt Helmut Hintereder, Polizeichef der Polizeiinspektion Poing. Dazu gehören unter anderem Erste Hilfe, Eigensicherungsgrundrechte, Eingriffsrechte und interkulturelle Kompetenz. Mit jährlich zwei Fortbildungen sollen die Kenntnisse weiter geschult werden. Bei der Sicherheitswacht kann sich bewerben, wer sich ehrenamtlich engagieren möchte. Voraussetzungen: keine Vorstrafen, Alter zwischen 18 und 62.

18.29 Uhr. Verkehrsübungsplatz Vaterstetten. Verwinkelte Straßen und hohe Hecken könnten Schutz für kriminelle Sprayer und Dealer bieten. Als die Sicherheitswacht eintrifft, befindet sich aber keine Menschenseele auf dem Platz. Hier achte sie vor allem auf Graffitis, erzählt sie. Auf den Asphalt hat unlängst jemand ein Hakenkreuz gesprüht. "Das muss natürlich weg", sagt sie. Es ist bereits im Streifenbericht notiert.

Um 18.42 Uhr geht es zum Sportzentrum, wo es während der Lockdown-Phase viel zu tun gab. "Hier haben wir zwei Drittel unserer Arbeitszeit verbracht", erzählt Wieland. Menschen waren über die Zäune geklettert und versammelten sich auf dem Rasen, was zu der Zeit verboten war. Hier sei es auch teilweise zu hitzigen Diskussionen gekommen: "Die Hemmschwelle war während Corona deutlich kleiner, es kam oft zu verbalem Kräftemessen", sagt Wieland. Sie erzählt, dass einmal jemand kurz davorstand, handgreiflich zu werden. "Hätte ihn sein Kumpel nicht aufgehalten, hätte er wahrscheinlich angefangen zu prügeln."

Die oberste Regel für die Sicherheitswacht: Sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Für Wieland und ihre Kollegen gelten die gleichen Gesetze wie für alle Bürger. Darüber hinaus haben sie zusätzliche "Befugnisse zur Gefahrenabwehr": Sie dürfen Befragungen durchführen, Personen-Daten an die Polizei übermitteln und Platzverweise erteilen.

"Die Leute schauen einen schon oft komisch an"

18.54 Uhr, Skatepark Vaterstetten. Die Polizei Poing hat diesen Platz zum Hotspot erklärt. Das liege allerdings nicht daran, dass sich dort häufig Jugendliche aufhalten. "Es handelt sich eher um Treffpunkte von Personengruppen, wo gehäuft Straftaten auftreten", erklärt Hintereder. An diesem Frühabend fahren aber nur ein paar Kinder auf Scootern durch den Park. Misstrauisch betrachten sie die Frau in der dunkelblauen Uniform. Wieland grüßt die Kinder. "Die Leute schauen einen schon oft komisch an - wenn man sich aber mit ihnen unterhält, legt sich das meistens", erzählt sie. Während der Tour bleibt sie oft stehen, grüßt und unterhält sich mit Menschen. "Wir leben vom Austausch mit den Bürgern und Bürgerinnen."

Der Erfolg von Prävention sei schwer messbar, sagt der Polizeichef

2020 ereigneten sich in Vaterstetten etwa 40 Straftaten pro 1000 Einwohner, ein Großteil davon waren Vermögens- und Fälschungsdelikte im Zusammenhang mit der Tank- und Rastanlage an der A 99. Ob bei einer so niedrigen Kriminalitätsrate eine Sicherheitswacht nötig ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Laut Hintereder geht es vor allem darum, Verbrechen vorzubeugen und Präsenz zu zeigen: "Prävention ist schwer messbar", erklärt er, "Eine Präsenzsteigerung ist gleichzeitig eine Steigerung des Sicherheitsgefühls." Vor allem, da es seit 2013 keine eigene Polizeistation mehr in Vaterstetten gibt, habe er schon immer die Idee befürwortet, eine Sicherheitswacht einzuführen. Es werde interessant sein, die Entwicklung über die nächsten Jahre zu beobachten.

19.39 Uhr. Parkhaus beim S-Bahnhof. Die Sicherheitswacht hat hier bereits Versammlungen aufgelöst. Heute allerdings hört man nur Motorengeräusch und Autotüren. Die Graffiti an den Wänden wurden erst kürzlich überstrichen. Keine herumliegenden Bierflaschen, die auf Parkdeck-Partys schließen ließen. "Normalerweise sind wir um die drei Stunden unterwegs", erzählt Wieland, sie kann die Tour aber anpassen und verkürzen, wenn wie heute kaum etwas geschieht.

20.04 Uhr. Zurück im Besprechungsraum. Die Suche nach der alten Frau läuft weiter, Wielands Schicht endet nun. Warum macht sie diese nicht gerade filmreife Arbeit? Warum fährt sie jede Woche von ihrem Zuhause in Trudering nach Vaterstetten? "Es reicht, einfach da zu sein, falls mal jemand in Not ist", sagt sie. Man kann auch zufrieden sein, wenn man an der frischen Luft spazieren geht und Menschen trifft, die einen kennen und schätzen. Den Panikknopf am Funkgerät, sagt sie, "den habe ich zum Glück noch nie gebraucht".

© SZ vom 06.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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