Serie Sagen und Mythen:Ein schwäbisches Mädchen und ein Pferdekopf

Zerstörung, Raub, Plünderungen - und dann die Pest: Das Erdinger Land hat stark unter dem Dreißigjährigen Krieg gelitten. Einige Legenden aus dieser schrecklichen Zeit haben sich bis heute erhalten

Von Mathias Weber

Zwei verschiedene Jahrhunderte, zwei unterschiedliche Kriege - aber zweimal eine verwüstete Stadt. Die Parallelen zwischen den Folgen des Zweiten Weltkriegs, sagt Erdings Stadtarchivar Markus Hiermer, und denen des Dreißigjährigen Krieges 300 Jahre früher, seien erstaunlich. Nur, dass die Zerstörung am Ende des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1648 total war: Über mehr als 15 Jahre hinweg wurde die Stadt von den Schweden nicht nur einmal, sondern zweimal geplündert und zum Teil eingeäschert; am Ende des Krieges, als keine Rede mehr sein konnte von einem Krieg zwischen den Religionen, sondern als es nur noch um Macht ging, gerät Erding wieder in Brand - nur sieben Bürgerhäuser bleiben stehen. Wer nicht durch die Kampfhandlungen stirbt, sagt Stadtarchivar Hiermer, den raffen Hungersnöte dahin, oder die Pest, die man nur aus dem Mittelalter kannte. In manchen Regionen Mitteleuropas stirbt mehr als die Hälfte der Bevölkerung, auch im Erdinger Land: Allein in der Stadt Erding überleben 500 Einwohner den Krieg nicht, das Dorf Moosinning geht komplett zugrunde und wird erst später wieder besiedelt. Überliefert ist aus dieser schrecklichen Zeit das vielsagende Schwedenlied: "Der Schwed' is kumma/ Hot oiss mitgnumma/ Hot d' Fenster nei gschlagn/ Hot's Blei wegga trogn/ Hot Kugel draus gossn/ Hot de Bauern derschossn."

Es ist keine Überraschung, dass sich in dieser Zeit des großen, umfassenden Elends einige Legenden und Sagen gebildet haben, die die Grauen des Krieges aufnehmen - andererseits aber auch Hoffnung verströmen. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte des "Erbärmenden Christus, Heilands in der Verspottung", sozusagen eine Legende mit Happy End. Sie besagt, dass eine schwäbische Jungfrau während des Dreißigjährigen Krieges von den Schweden geraubt und in die Gegend um Dorfen verschleppt wurde. Dort aber konnte sie fliehen; sie versteckte sich in den Wäldern und betete in ihrer Verzweiflung zu Gott, der ihr helfen möge. Am nächsten Morgen, als sie erwachte, fand sie eine Heilandfigur in ihrem Schoß, eben diesen Heiland der Verspottung. Das Mädchen wurde aufgefunden und zur Gräfin Morawitzky gebracht, die damalige Besitzerin von Schloss Moosen südlich von Dorfen - so kam die Figur in die Schlosskapelle, die heute die Kirche des Ortes ist. Den Heiland kann man dort noch sehen, die 15 Zentimeter hohe Figur in einem tabernakelartigen Schrein aus Ebenholz mit frühbarocken Ornamenten gilt als eine der schönsten und wertvollsten Figuren der Kirche. Aber die vielleicht bekannteste Legende, die sich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Erdinger Land gebildet hat, ist die des Krahamer Schimmels. Man darf davon ausgehen, dass die Legende einen wahren Kern hat; an dem Weiler Kraham bei Dorfen, in dem früher und auch heute nur wenige Familien lebten und leben, ist der Dreißigjährige Krieg nicht spurlos vorbeigegangen. Schwedische Truppen überzogen auch die Gegend um Dorfen mit Morden und Plünderungen, später wütete auch die Pest. Allein in der kleinen Pfarrei Grüntegernbach starben an ihr 122 Opfer.

Die gruslige Legende vom Krahamer Schimmel wird Kindern noch heute erzählt - in mehreren verschiedenen Versionen. Die bekanntesten spielen im Dreißigjährigen Krieg oder danach. Wie es heißt, hatten die Schweden versucht, Kraham zu plündern. Die wackeren Krahamer aber verteidigten ihre Höfe und erschlugen den Hauptmann der Schweden, der auf einem Schimmel geritten kam. Den toten Reiter sollen die Krahamer mitsamt seinen Schimmel in den nahen Weiher geworfen haben, seitdem erscheint in besonderen Nächten, bei Vollmond oder bei Nebel, der Schimmelkopf aus dem Wasser.

Belegt ist zwar, dass die Schweden die Umgebung von Kraham heimsuchten und in Grüntegernbach einmal sieben Reiter einquartiert waren; aber ob sich die Legende nicht doch etwas später entwickelte, ist unklar. Es gibt sie nämlich noch in einer Version, die während des Spanischen Erbfolgekrieges 1701 bis 1714 spielt. Ein kaiserlicher Kurier soll damals von erbitterten Bauern gefangen genommen und getötet worden sein - zusammen mit seinem Schimmel. Aber egal: Noch heute sorgt die Geschichte für Schaudern bei den Krahamern und vor allem bei ihren Kindern, die im Moos unterwegs sind. Die Sage nahm auch der Krahamer Schützenverein zum Anlass und zierte sein Wappen mit einem Schimmelkopf, der sich aus dem Weiher erhebt.

Schloss Mosen

SZ-Grafik

Die Legende hat zudem eine Nachfolgelegende: Lange nach dem Dreißigjährigen Krieg sollen einige junge Burschen um Mitternacht von einem Umtrunk nach Hause gegangen sein. Als sie eine Brücke über das Moor überquerten, schwebte da der glühende Rosskopf auf sie zu und verschwand wieder. Daheim aber wollte ihnen niemand die Geschichte glauben - offenbar waren die jungen Männer von zu viel Bier betrunken. Zwei ältere Männer gingen deshalb denselben Weg eine Nacht später - und sahen den Kopf schweben. Am Bier kann es also nicht gelegen haben.

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