Seniorenheim Markt Schwaben:Zeitmangel und Überforderung

Bewohner auf dem Toilettenstuhl gefüttert, eine Seniorin vor männlichem Besuch entkleidet: Die Heimleitung hat entwürdigende Übergriffe in einem Markt Schwabener Seniorenheim nun bestätigt.

Karin Kampwerth

Eine gerügte Pflegerin und eine gekündigte Auszubildende, das sind die Konsequenzen, die der Awo-Bezirksverband bislang aus entwürdigenden Übergriffen auf Bewohner im Markt Schwabener Seniorenheim gezogen hat. Die beiden Vorfälle - einmal wurde ein Bewohner auf einem Toilettenstuhl gefüttert, ein anderes Mal eine Seniorin vor männlichem Besuch in ihrem Zimmer entkleidet - hatten Heimleiter Rüdiger Schäfer und Bezirksgeschäftsführer Wolfgang Schindele auf einer Pressekonferenz am Montag bestätigt.

Seniorenheim Markt Schwaben: Im Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt in Markt Schwaben fühlt sich das Personal überfordert - die Bewohner haben darunter zu leiden.

Im Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt in Markt Schwaben fühlt sich das Personal überfordert - die Bewohner haben darunter zu leiden.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Andere Vorwürfe, die zwei Mitarbeiterinnen anonym gegenüber dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) erhoben haben, seien hingegen nur schwer nachprüfbar. So beschreibt eine der Mitarbeiterinnen in ihrem Bericht, der der SZ vorliegt, viele tägliche Situationen wie etwa die Mahlzeiten im Wohnbereich II, wo vorwiegend Demenzkranke betreut werden.

"Die Eingabe von Nahrung und Getränken erfolgt nicht nur in rasender Geschwindigkeit, sondern auch mit Gewalt (in den Kiefer greifen, zwicken oder Lippen aufzwingen) oder unter Androhung von Strafe." Angehörige von Bewohnern haben der SZ auf Nachfrage ähnliche Vorgänge geschildert. "Das alles geschieht aus Personalmangel", lautet die einhellige Überzeugung.

Heimleiter Schäfer zufolge arbeiten auf der Station am Morgen vier und am Nachmittag drei oder vier Pflegekräfte, die 40 Bewohner zu versorgen haben. Auch die Art und Weise, wie teilweise Schwestern über und mit den Bewohnern sprächen, hat die Pflegekraft festgehalten. "Der Umgangston etlicher Schwestern ist zutiefst unhöflich und demütigend", schreibt sie an den MDK.

Beispielhaft dafür führt sie den Ausruf einer ihrer Kolleginnen an, die quer durch Aufenthaltsraum und Gang geschrieen habe: "Der Meier hat wieder dermaßen geschissen, ich könnte kotzen." Darüber hinaus enthält der Bericht Schilderungen über mangelnde Fürsorge einzelner Pfleger.

So habe eine eindringlich um Hilfe gebetene Stationsschwester ihr Kommen verweigert, obwohl eine erst mittags aus dem Krankenhaus entlassene, asthmatische Bewohnerin im Speisesaal kaltschweißig, blass und panisch geworden sei. Die Stationsschwester habe lediglich geantwortet, dass es sich dabei um psychosomatische Beschwerden handele.

Hilfe wurde verweigert

Eine andere Schwester hätte ihre Hilfe für eine kollabierte Bewohnerin versagt, weil sie in der Rauchpause gewesen sei. Auch würden viele der alten Menschen in der Markt Schwabener Einrichtung unpassend angekleidet. "Bewohner laufen zum Teil in Sack und Asche herum. Zum Beispiel mit weit offener Hose, weil angeblich keine andere Hose mehr da ist. Oder im Hochsommer mit dicken Winterschuhen."

Üblich sei zudem, dass Bewohner schon um drei Uhr nachmittags ins Bett gebracht würden, weil die Schwestern sonst bis abends nicht fertig würden. Vorkommnisse dieser Art führt die anonyme Pflegerin auf die angespannte Personalsituation in der Markt Schwabener Einrichtung zurück. Seit sie in dem Heim arbeite, habe sie etliche junge, gut ausgebildete Schwestern gesprochen, die nach wenigen Wochen gekündigt hätten, "da sie nicht in der Lage und Willens sind, morgens zwölf oder 14 Bewohner alleine zu pflegen."

Dem widersprach auf der Pressekonferenz der Awo am Montag die Betriebsratsvorsitzende Margit Lantenhammer. Man habe in Markt Schwaben viele langjährige Mitarbeiter. Käme es zu Personalwechseln, dann in der Regel bei Frauen, weil sie Familie und Beruf nur schwer vereinbaren könnten. "Ich gehe davon aus, dass die Personalsituation prekär ist", sagt dennoch Rolf Jorga über das Markt Schwabener Awo-Seniorenheim.

Missstände könne er nicht ausschließen. Worte, die schwer wiegen, denn Jorga kennt das Haus mit 101 Pflegeplätzen gut. Seit Jahre engagiert er sich als Angehörigenbeirat. Außerdem hat Jorga das Münchner "Pflegeforum aktuell" mit begründet, das die Verbesserung von Pflegeeinrichtungen politisch vorantreiben will. Das gilt auch für ausreichend Personal, das von den Krankenkassen bislang nicht finanziert wird.

Aufgrund seiner Erfahrung ist es für ihn kaum vorstellbar, dass vier Pfleger 40 Bewohner auf der Demenzstation angemessen versorgen können. Jorga weiß aber auch: "Es gibt viele, die sich ein Bein ausreißen."

Gleichwohl fehle den Pflegekräften "der Mumm", eine Überlastungsanzeige zu stellen. Selbst bei den Heimbeiratssitzungen, die ein Forum für Probleme im Pflegealltag sein könnten, habe er den Eindruck, dass das Personal zurückhaltend mit Kritik umgehe. Reagieren könne er nur, wenn ihm Missstände nachweislich mitgeteilt würden.

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