Senioren in EbersbergZwischen Autokolonnen und Stolperschwellen

Lesezeit: 3 Min.

Vielbefahrene Kreuzungen, hohe Gehwegkanten, enge Parkplätze: Ältere Menschen haben es in der Ebersberger Innenstadt oft schwer. Der Seniorenbeirat will jetzt, dass sich etwas ändert. Doch bis Projekte in Gang kommen, dauert es

Von Jörg Lehne, Ebersberg

Thomas John steht an der Kreuzung zwischen Eichthalstraße und Heinrich-Vogl-Straße und will auf die andere Seite. Eine Sache des Timings, denn zu jeder Tageszeit treffen hier Anwohner und Pendler aus drei Richtungen aufeinander. Nur noch die Wagenkolonne von links abwarten, dann kann er rüber. Ganz schön viele Autos. So, jetzt geht was. Doch nicht. Rechts hat sich ein Kombi an die Kreuzung herangepirscht und nutzt die kurz entstandene Lücke, um aus dem Getümmel auszubrechen. Wer hier nicht schnell genug ist, auf den wartet ein langer Umweg über die nächstgelegene Ampel. Oft sind es Senioren, die den Kürzeren ziehen.

Der Seniorenbeirat der Stadt Ebersberg mit John als Vorsitzenden - im vergangenen Juli begann seine zweite Amtszeit - setzt sich dafür ein, dass Menschen über 60 stärker eingebunden werden. Gerade im Straßenverkehr geschehe dies viel zu selten. Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt zeigt John, mit welchen Hindernissen man zu kämpfen hat, wenn man nicht mehr so fit auf den Beinen sind.

Die viel befahrene Kreuzung ist der erste Halt. Der Seniorenbeirat wünscht sich, dass an dieser und an drei weiteren Kreuzungen in Zukunft Zebrastreifen zur sicheren Überquerung dienen. Die Idee sei jedoch auf Gegenwind gestoßen, sagt John. "Zebrastreifen sind die gefährlichste Stelle des Straßenverkehrs", sei ihm von der Polizei entgegengehalten worden. Gleichwohl mangele es für die besagten Stellen an Alternativen. Ampeln etwa könnten durch den langen Rückstau während Rotphasen eine erhebliche CO₂-Belastung für Anwohner oder Kunden der nahegelegenen Bäckerei hervorrufen, da beim Anfahren die Abgasemissionen am höchsten seien.

Ältere Menschen stoßen in der Ebersberger Innenstadt immer wieder auf Hindernisse. Thomas John, Vorsitzender des Seniorenbeirats, kritisiert etwa die gefährliche Überquerung der Heinrich-Vogl-Straße.
Ältere Menschen stoßen in der Ebersberger Innenstadt immer wieder auf Hindernisse. Thomas John, Vorsitzender des Seniorenbeirats, kritisiert etwa die gefährliche Überquerung der Heinrich-Vogl-Straße. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Letzter Ausweg könnte die Anbringung des Verkehrszeichens 133 sein: Ein rotes Dreieck mit einem Fußgänger in der Mitte, das an unübersichtlichen Stellen Autofahrer auf Spaziergänger aufmerksam machen soll.

Der erste Versuch, die durch Ebersberg verlaufende Staatsstraße zu zähmen, ist dies nicht. Mit der Senioren-Ampel gelang dem Seniorenbeirat bereits ein in Deutschland einzigartiger Schritt. An zwei Stellen nahe dem Rathaus können Passanten seit fast drei Jahren die Grünphase der Ampel auf zwölf Sekunden verlängern. Ausgegeben wird der Chip im Bürgerbüro gegen ein Pfand von zehn Euro.

Gegenüber der Kreuzung liegt der Parkplatz vor dem Einkaufszentrum. Hier und am Marienplatz sollen nach Wunsch des Seniorenbeirats bald Seniorenparkplätze entstehen. "Senioren brauchen keine Behindertenparkplätze", sagt John. Es reiche, wenn der jeweils erste Parkplatz der Reihe für Senioren reserviert sei. Es geht darum, dass ihnen genügen Platz beim Aussteigen bleibt - hilfreich, besonders, wenn man noch die Gehhilfe aus dem Wagen wuchten muss. Zwei bis drei Parkplätze dieser Art pro Standort würden schon ausreichen.

Für ältere Mitbürger fehlen beispielsweise Parkplätze.
Für ältere Mitbürger fehlen beispielsweise Parkplätze. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kurze Zeit später ist John auf dem Marienplatz angekommen. Hier hat man mobilitätseingeschränkten Menschen reichlich Steine in den Weg gelegt, findet er. Etwa die Bordsteine, die meisten seien für die einfache Überquerung der Straße zu hoch. Zur Ertüchtigung der Gehwege fordert der Seniorenbeirat daher die Absenkung mehrerer Randsteine. Auch Pflastersteine seien ein Problem, insbesondere für Menschen mit Gehhilfen. "Schön aber unpraktisch", urteilt John. Im Blick hat er dabei vor allem den vollständig gepflasterten Klosterbauhof. Mit aufgelegten Gehwegen aus Kautschuk könnte man die Besichtigung des schönen Innenhofs jedoch mit relativ wenig Aufwand erleichtern, sagt der Vorsitzende des Seniorenbeirats.

All diese Projekte existieren nicht erst seit gestern, doch es braucht einen langen Atem, wer etwas verändern will, das sei John inzwischen klar geworden. Schon durch seine Erfahrungen im Klinikmanagement sei er darauf aufmerksam geworden, dass ältere Menschen oft wenig Rückhalt in der Gesellschaft spüren. Soeben nach Ebersberg gezogen, hat er kurzerhand bei der ersten demokratischen Besetzung des Seniorenbeirats 2014 seinen Namen in den Topf geworfen und wurde prompt zum Vorsitzenden gewählt.

Auch die Pflastersteine im Klosterbauhof gelten als Hindernisse für Senioren.
Auch die Pflastersteine im Klosterbauhof gelten als Hindernisse für Senioren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kürzlich hat er deshalb auch im Umwelt-, Sozial- und Kulturausschuss des Stadtrats wieder über die Arbeit des Beirats berichtet. In der Politik würden Senioren gerne als "Randerscheinung" betrachtet, sagt John. Aber bereits jetzt seien 28,4 Prozent der Ebersberger über 60. In zwei bis drei Jahren werden es 30 Prozent sein. Laut John gelte die Wahrnehmung von Senioren in der Allgemeinheit primär Menschen in Altersheimen. Diese machen jedoch lediglich acht Prozent der Senioren aus. Mehr als 90 Prozent führten ein selbstbestimmtes, aktives Leben inmitten der Gesellschaft. Auch sie bräuchten Betreuung. Das sehen auch die Mitglieder des Ausschusses. Von allen Seiten ernten John und seine sechs Mitstreiter - Marianne Wünschel, Elisabeth Wochermaier, Elke Bunzeit, Michael Münch, Peter Murr und Edward Sofeso - Lob und Zustimmung für ihr außergewöhnliches Engagement.

John kommt auf viele weitere Projekte zu sprechen, eines davon spiegelt ganz besonders den Wunsch stärkerer Inklusion wider. Durch die Pandemie inzwischen unmöglich, konnte man Anfang vorigen Jahres in der Grund- und Mittelschule eine Medienwerkstatt für Senioren besuchen. 20 Schüler der 9. Klasse sollten 20 Senioren im Umgang mit Smartphones, Internet und sozialen Netzwerken schulen. Es reiche nicht, älteren Menschen ein Senioren-Handy in die Hand zu drücken, das einfach nur große Tasten hat, meint John. Man müsse sie in die Gegenwart mitnehmen. Die Medienwerkstatt jedenfalls, sei ein voller Erfolg gewesen und soll sobald es möglich ist, fortgeführt werden. Für die Aktion wurden damals Flyer verteilt. Der letzte Satz darauf war dieser: "Zudem wollen wir, dass Jung und Alt nicht übereinander, sondern miteinander reden!"

© SZ vom 31.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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