Seit Jahren unrentabel:Zu wenig Kleingeld

Anzings letzte Telefonzelle soll abgebaut werden. Josef Häusler, der die Kabine pflegt, wehrt sich dagegen

Von Korbinian Eisenberger

Die Glastür klemmt ein bisschen. Dass sich ihre Telefonzelle nicht mehr richtig schließen lässt, das hat in Anzing zuletzt kaum mehr jemanden interessiert. Denn dem Glaskasten im Ortskern an der Högerstraße sind die Benutzer abhanden gekommen. Der Münzapparat rentiere sich seit Jahren nicht mehr, erklärt die Deutsche Telekom. Sie will deshalb jetzt die Konsequenzen ziehen und die Telefonzelle in Kürze entfernen lassen. Der Anzinger Gemeinderat hat die Pläne der Telekom bereits durchgewunken. Ein Beschluss, den Bürgermeister Franz Finauer und Co. vielleicht noch bereuen werden.

"Die Telefonzelle ist wichtig", sagt Josef Häusler. Der 61-jährige Anzinger will sich nicht damit abfinden, dass der Ort in Kürze seine letzte Telefonzelle verlieren soll. Die Leute würden sich immer auf ihre Handys verlassen, sagt Häusler. "Aber was, wenn mal der Strom ausfällt und der Akku leer ist?" Bei Notfällen könne eine Telefonzelle Leben retten. Und auch für die älteren Anzinger, die kein Handy besäßen, hält er die Telefonzelle für notwendig. Viele von ihnen würden kein Handy benutzen, sagt er.

Ob das stimmt, lässt sich nicht überprüfen. Wendet man die bundesweiten Zahlen des Statistikportals "Statista" auf Anzing an, dürften die etwa 3900 Einwohner jedoch mehr als 5000 Handys im Einsatz haben. Deutschlandweit sind derzeit 116 Millionen Handyanschlüsse vorhanden. "Die Notwendigkeit für Telefonzellen nimmt dementsprechend ab", sagt deshalb Telekomsprecher Markus Jodl. Bundesweit gibt es nur noch rund 40 000 davon. Lohnenswert seien sie lediglich an Flughäfen oder Bahnhöfen, sagt Jodl.

Nach Angaben des Betreibers wird das Telefon in der Högerstraße am Tag durchschnittlich weniger als fünf Minuten genutzt. Diese Nachfrage reicht für die Telekom nicht aus. Der geringe Umsatz sei ein klares Indiz dafür, dass die Anzinger keine Telefonzelle mehr brauchen, sagt Jodl. Bei einem Minutentarif von etwa 50 Cent wandern in der Anzinger Telefonzelle weniger als 2,50 Euro pro Tag durch den Schlitz unter dem Hörer. "Der Kunde ist der Architekt des Telefonzellen-Netzes", sagt Jodl.

Tatsächlich geht es der Telekom weniger um die Kunden, als um die Kasse des Unternehmens. "Der Unterhalt einer Telefonzelle kostet Geld, etwa für Strom, Standortmiete und Wartung", sagt Jodl. Mit der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände wurde deshalb vereinbart, dass die Telekom Städte und Gemeinden darum bitten darf, Telefonzellen abzubauen. Dann, wenn sie wie in Anzing weniger als 50 Euro pro Tag abwirft, entscheidet die Gemeinde, ob die Telefonzelle entfernt wird - oder eben nicht.

Schwer gefallen ist es dem Anzinger Gemeinderat offensichtlich kaum, das Anliegen der Telekom einstimmig zu beschließen. Häusler kritisiert, dass weder die Bundesnetzagentur noch die Gemeinden die Vorteile der Telefonzellen erkennen. Dass sich kein einziger der 17 Stimmberechtigten im Gemeinderat dafür aussprach, die Telefonzelle zu behalten, ist freilich verwunderlich. Zumal das Argument der teuren Wartungskosten in Anzing kaum zutreffen dürfte. Tatsächlich fällt es schwer zu glauben, dass die Telekom die verstaubte Anzinger Telefonzelle regelmäßig auf Vordermann bringt. "Da ist doch schon seit Jahren nichts mehr passiert", sagt Josef Häusler. Er selbst habe die verschmierten Fenster über die Jahre eigenhändig mit einem Glasputzmittel geputzt, den Hörer entstaubt. Nennenswerte Kosten, davon ist auszugehen, hat die Telekom mit der Anzinger Telefonzelle nicht.

Vielleicht hat es tatsächlich ästhetische Gründe, weswegen der Gemeinderat sich dennoch so vehement gegen die Telefonzelle verbrüdert hat. Die Fassade in Grau-Magenta hat sicherlich kaum mehr den Charme der klassischen gelben Variante. Als Schlüsselanhänger oder Kühlschrankmagnet dürfte sich die letzte Version der deutschen Telefonzelle wohl kaum in den Souvenirregalen verewigen.

Josef Häusler hofft jedenfalls, dass die Anzinger Telefonzelle trotz des Gemeinderatsbeschluss erhalten bleibt. "Der Nachtexpress wird doch auch nicht eingestellt, und das, wo nur zwei bis drei Leute mitfahren", sagt er. Wer jedoch Anzings Bürgermeister Franz Finauer kennt, weiß, dass er es nicht schätzt, bereits gefasste Beschlüsse neu aufzurollen. Das Räumungskommando dürfte also in Kürze eintreffen.

Dann landet die Anzinger Telefonzelle wohl in einem Wald bei Potsdam, wo bereits Tausende aussortierte Artgenossen ihr Dasein fristen. Seit kurzem stehen die alten Telefonzellen dort sogar zum Verkauf, 350 Euro das Stück. "Besser als nichts", sagt Häusler. Die Gemeinde könnte sich eine die Telefonzelle als Unterstand für die Schülerlotsen an der Zornedinger Straße kaufen. Immerhin: Die Glastür würde dann wieder häufiger auf und zu gehen

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: