Seit 300 Jahren:Dreimal um die Kirche

Trotz des plötzlichen Wintereinbruchs nehmen 39 Wägen an der Grafinger Leonhardifahrt teil.

Alexandra Leuthner

Grafing- Ob in den über 300 Jahren, in denen die Grafinger Leonhardifahrt dokumentiert ist, schon einmal das Wetter für einen Ausfall gesorgt hat, ist nicht bekannt. An diesem Sonntag allerdings mussten diejenigen, die in feiner Festtagstracht in den Truhenwagen der Vereine saßen ebenso wie die Reiter hoch zu Ross und die Zuschauer, die es in die Straßen rund um den Marktplatz gezogen hatte, schon hart im Nehmen sein.

Und doch hatten nur zwei Prachtgespanne den Weg nach Grafing nicht gefunden, berichtete Maximiliane Prantner. Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Leonhardifahrt ist schon seit September damit beschäftigt, Einladungen zu schreiben und dafür zu sorgen, dass die teilnehmenden Vereine und die Besitzer der Kaltblutpferde, die vor die Festwagen gespannt werden, zusammenkommen. Früher, erzählte sie, seien die Werber selbst auf die Höfe gefahren, um die Einladungen zum Umzug zu überbringen. Ein bisschen einfacher sei das heute schon. Doch als dann buchstäblich über Nacht der Winter kam, hatte man schnell noch zwei Vierergespanne auseinandernehmen müssen, damit letztendlich alle 39 Wägen zu den notwendigen zwei Pferdestärken kamen und sich an der Leonhardikirche den Segen abholen konnten.

3000 Zuschauer, die man in früheren Jahren schon zur Leonhardifahrt in Grafing hatte begrüßen können, waren es diesmal nicht, sehr zum Leidwesen der Geschäftsleute, die in der Stadtmitte ihre Läden geöffnet hatten. Und doch strömten zum Umzugsbeginn um elf Uhr aus allen Straßen die Grafinger in Richtung Stadtmitte - diejenigen zumindest, die nicht schon am Festgottesdienst mit Prälat Hans Lindenberger teilgenommen hatten. In der Kirchgasse hatten ein paar junge Mädchen mit ihren Reitpferden Aufstellung genommen, als das Läuten der Kirchenglocken ankündigte, dass es nun bald losgehen würde - und man wollte den Reiterinnen nur wünschen, dass sie unter ihre weißen Reithosen eine zweite Schicht gezogen hatten, so unerbittlich drang die plötzliche Kälte durch sämtliche Kleider. "Seit 42 Jahren wohnen wir hier in Grafing", bemerkte eine ältere Zuschauerin am Straßenrand, "aber dass es so kalt war", daran könne sie sich nicht erinnern. Alois Stockinger, frisch gewählter Vorsitzender des Trachtenvereins Atteltaler, der hinter dem Marktplatz darauf wartete, dass er seiner hoch auf dem vereinseigenen Festwagen thronenden Ehefrau zuwinken konnte, wusste es etwas genauer.

Früher habe die Leonhardifahrt ja noch eine Woche später stattgefunden, erzählte er, nämlich möglichst am Gedenktag zu Ehren des Heiligen, dem 6. November. Da habe man schon das ein oder andere Mal Schnee gehabt. Der Umritt sei erst seit einigen Jahren eine Woche vorverlegt worden, damit man sich nicht mit der Leonhardifahrt in Bad Tölz in die Quere komme - nicht der Gäste, sondern der Pferde wegen. Inzwischen gebe es ja nur noch so wenige Landwirte, die schwere Kaltblüter in ihren Ställen hätten, dass die nicht mehr ausreichten, um für zwei Veranstaltungen gleichzeitig verliehen zu werden. Tatsächlich stammten nur noch zehn der Kaltblüter im Zug aus dem Kreis Ebersberg. Selbst die vier schweren Braunen, die vor das Modell der Leonhardi-Kirche gespannt waren und beim ersten Anfahren einige Mühe hatten, in die richtige Spur zu kommen, kamen von jenseits der Landkreis-Grenzen, aus Oberbiberg. Früher einmal sei es das Privileg seines Vaters gewesen, erzählt Stockinger, den Wagen mit der Kirche durchs Dorf zu fahren, mit seinen eigenen Pferden versteht sich. Er könne sich noch gut erinnern, wie man in aller Früh im Stall gewesen sei, die Tiere auf Hochglanz geputzt, die Mähnen geflochten habe. "Und einer hat dann immer im Stall bleiben müssen, damit sie sich nicht mehr hinlegen."

Dass sich auch ja kein Strohhalm in den langen Schweifhaaren der schweren Schimmel, Rappen oder Falben verstecken konnte, dafür hatten auch diesmal ihre Besitzer gesorgt. Die silbern beschlagenen Geschirre glänzten auch im leichten Schneefall, Felle dampften, zwei zierliche Haflinger konnten trotz des riesigen Wagens der Ebersberger Landfrauen mit einer Heiligen Notburga, den sie ziehen mussten, ihr Temperament kaum bremsen. Dreimal zog die Wagenkarawane, mit Bürgermeister Rudolf Heiler traditionell in der ersten Kutsche, im großen Kreis um die Kirche zum Marktplatz und wieder zurück zur Kirche, und die Damen vom Trachtenverein Atteltaler werden froh gewesen sein um die Pelzkrägen aus Fuchsfell . Aber schließlich, so die lapidare Feststellung von Maximiliane Prantner, "ist das hier eine Wallfahrt, und da nimmt man auf das Wetter keine Rücksicht."

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