Seelsorger aus Moosach:Eine helfende Hand

Norbert Trischler hat 29 Jahre lang Häftlinge in einem Gefängnis betreut, mittlerweile kümmert er sich um obdachlose Menschen. In Moosach lebt er mit Ex-Strafgefangenen in einer Wohngemeinschaft

Von Robin Heininger und Maxime Schächinger, Vaterstetten/Moosach

49 Jahre im Gefängnis. Das ist eine ziemlich lange Zeit. Einen Mann, der in seiner Jugendzeit fünf Menschen tötete, ereilte ein solches Strafmaß. Nach beinahe einem halben Jahrhundert hinter Gittern kam er frei, zunächst auf Bewährung und nur unter der Auflage, in eine betreute Einrichtung zu ziehen - in die Wohngemeinschaft von Norbert Trischler und seiner Frau Ingrid nach Moosach im Landkreis Ebersberg. Dort lebt das Ehepaar mit 17 Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern. Alle sind sie ehemalige Strafgefangene. Ein eher ungewöhnliches Wohnkonzept. Doch wie kam es dazu?

Norbert Trischler ist Pastoralreferent. Seit eineinhalb Jahren betreut er seelsorgerisch obdachlose Menschen. Davor kümmerte er sich 29 Jahre um Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München. Seit 1995 lebt der 64-Jährige mit seiner Frau in einer WG in Moosach mit Ex-Häftlingen zusammen. Die WG ist angedockt an den 1993 gegründeten Verein Tabor, der sich der Unterstützung Strafentlassener und anderweitig sozial belasteter Menschen verschrieben hat.

Norbert Trischler

Der Moosacher Norbert Trischler arbeitet als Seelsorger.

(Foto: Maxime Schächinger)

"Die eigentliche Problematik fängt für viele erst nach der Entlassung aus dem Gefängnis an", erklärt Norbert Trischler. Kein Job. Kein Geld. Keine Wohnung. Oft kaum oder gar keine Freunde. Keine Orientierung, wie die Welt "da draußen" überhaupt funktioniert. "Da brauchen die Betroffenen jemanden, der ihnen die Hand reicht!" Ansonsten sei der Weg zurück in die kriminelle Szene ein sehr kurzer - die Rückfallquote belaufe sich auf 60 bis 70 Prozent, so Trischler.

Und der 64-Jährige weiß, wovon er spricht: In den 29 Jahren, in denen er als Seelsorger in Stadelheim gearbeitet hat, sind ihm viele Menschen begegnet, Menschen mit vielen Problemen. "Jeder brachte seinen Lebensrucksack mit zu seinem Gespräch mit mir", erzählt Trischler. Es seien harte Lebensgeschichten, die aus den Rucksäcken gepackt wurden: schlimmer Missbrauch, langjährige Misshandlungen, eine lieblose Kindheit, keine erlebte Geborgenheit. "Wenn ich mir das alles zu eigen gemacht hätte, dann wäre ich nach spätestens zwei Wochen zusammengebrochen", so Trischler weiter.

Und so fasste er einen Entschluss, ganz im Sinne seiner Selbstbestimmung: Im Gespräch wurden die Probleme besprochen, manche konnte man vielleicht sogar gemeinsam lösen - aber nach dem Gespräch muss der Strafgefangene die übrigen Probleme wieder aufklauben, in seinen Rucksack verpacken und mitnehmen. "Jeder muss sein Leben auch selbst zu verantworten lernen," sagt er. "Ansonsten ist geteiltes Leid einfach nur doppeltes Leid."

Anstatt die Probleme der Gefangenen zu nah an sich heran zu lassen, fand der 64-Jährige bessere Wege, ihnen zu helfen. So nahm er regelmäßig Zeitungen und Zeitschriften aus den vergangenen Tagen und Wochen mit ins Gefängnis - es war seine Initiative. Die Häftlinge hatten so nicht nur die Möglichkeit, sich die viele Zeit in der Zelle zu vertreiben, sondern Trischler gab ihnen dadurch einen Draht zur Außenwelt, zu dem, was dort geschah, über was die Menschen sprachen.

Zeitunglesen reicht aber nicht aus, um nach einer Haftstrafe in ein geregeltes Leben zu finden. Um etwas zu schaffen, das noch stärker einen positiven Effekt auf die Ex-Gefangenen hat, hat das Ehepaar Trischler 1993 den Verein Tabor gegründet - übrigens kennen sich Norbert und Ingrid Trischler aus dem Gefängnis in Stadelheim. Aber nicht, weil einer von ihnen dort einsaß: Während Norbert Trischler dort hauptberuflich arbeitete, engagierte sich seine Frau ehrenamtlich, irgendwann leiteten sie gemeinsam eine Gesprächsgruppe.

Projektwoche Demokratie Mittelschule Vaterstetten

Der Moosacher Norbert Trischler arbeitet als Seelsorger.

(Foto: Maxime Schächinger/OH)

In der Wohngemeinschaft können sich die ehemaligen Strafgefangenen frei bewegen, sie entscheiden selbst, wann sie den Tag beginnen und beenden - wie in jeder anderen WG eben auch. Manche kommen aus freien Stücken, für andere ist der WG-Einzug eine ihrer Bewährungsauflagen, so wie bei dem Mann, der nach 49 Jahren Haft in das Moosacher Tabor-Haus kam. Hausregeln gibt es aber auch dort, wie Trischler sagt, und zu denen zählt ein striktes Verbot von Alkohol, illegalen Drogen und Gewalt. Außerdem ist ein Abend in jeder Woche der Gemeinschaft vorbehalten, dort werden Probleme diskutiert und Pläne für den Haushalt erstellt.

Redaktionelle Unterstützung haben die Schülerinnen und Schüler der Zeitungsgruppe von Johanna Feckl bekommen.

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