Schulbegleitung im Landkreis EbersbergDie Senioren aus der ersten Bank

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An den kleinen Stühlen in diesem Klassenzimmer der Ebersberger Grundschule an der Floßmannstraße sieht man, dass hier normalerweise Kinder sitzen. Immer häufiger werden diese aber von einem Erwachsenen im Unterricht begleitet.
An den kleinen Stühlen in diesem Klassenzimmer der Ebersberger Grundschule an der Floßmannstraße sieht man, dass hier normalerweise Kinder sitzen. Immer häufiger werden diese aber von einem Erwachsenen im Unterricht begleitet. (Foto: Christian Endt)

Immer mehr Kinder und Jugendliche im Landkreis Ebersberg sind auf einen erwachsenen Begleiter im Klassenzimmer angewiesen, um ihren Schulalltag meistern zu können. In den Bildungseinrichtungen beobachtet man diese Entwicklung mit Sorge, das Landratsamt warnt derweil vor explodierenden Kosten.

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

In den Schulen sei der Unmut inzwischen groß. „Es sind teilweise einfach zu viele. Die Lehrer können so nicht mehr anständig unterrichten“, sagte Margit Schubert von der Abteilung Kinder, Jugend und Familie am Landratsamt in der jüngsten Sitzung des Ebersberger Jugendhilfeausschusses. „Zu viele“ – damit sind nicht etwa die großen Klassen gemeint, sondern die erwachsenen Schulbegleiter, die dabei helfen, Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf durch den Bildungsalltag zu lotsen. In manchen Schulen säßen inzwischen neben den 25 bis 30 Kindern auch noch drei bis fünf Erwachsene im Klassenzimmer. Es ist eine Dynamik, die während der Corona-Pandemie Fahrt aufgenommen hat – und bei der kein Ende in Sicht ist.

Am besten lässt sich der Trend wohl an der Menge des Geldes ablesen, das der Landkreis Ebersberg für die Schulbegleitung ausgibt. Sind in das Angebot 2009 noch lediglich 7600 Euro geflossen, waren es im vergangenen Jahr rund 1,9 Millionen Euro. Ähnlich stellt sich die Entwicklung bei der Anzahl der Schüler dar, die in den vergangenen Jahren auf Unterstützung im Unterricht angewiesen waren. 2017 lag die Zahl bei 26, im vergangenen Jahr waren es 74 – und die Tendenz ist weiter steigend. Am Landratsamt geht man davon aus, dass 2026 etwa 100 Schülerinnen und Schüler im Landkreis eine Schulbegleitung in Anspruch nehmen werden.

Schulbegleiter geben den Kindern praktische Hilfe, sollen aber auch emotionaler Beistand sein

Rechtlich geht dieses Angebot auf den Paragraf 35 des Sozialgesetzbuches zurück. Dieser befasst sich mit der „Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung oder drohender seelischer Behinderung“. Wenn demnach die „Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist“, können die Eltern eine Begleitung für ihre Kinder beantragen. Die erwachsenen Helfer unterstützen die Schüler dabei, eine „ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung“ zu erlangen, wie es im Gesetzbuch heißt. Konkret geht es etwa um praktische Hilfe zur Bewältigung des Unterrichts sowie bei der Integration in den Klassenverband, aber auch um Unterstützung im emotionalen und sozialen Bereich.

Offenbar greifen immer mehr Erziehungsberechtigte im Landkreis auf diese Möglichkeit zurück. Das Angebot nehme wahnsinnig an Fahrt auf, sagte Margit Schubert, „das will jetzt gerade jeder“. Das Landratsamt selbst kann dagegen wenig tun, denn das Angebot zählt zu den sogenannten kommunalen Pflichtaufgaben. „Die Jugendhilfe steht in der gesetzlichen Pflicht, allen Bedürftigen diese Leistung zu gewähren“, heißt es in einer Stellungnahme der Behörde. Besonders hoch sei die Nachfrage bei den Eltern, deren Kinder die Regelschulen – also Grund- und Mittelschule – im Landkreis besuchen, wie Jugendamtsleiter Dominik Hohl sagte. Das liege unter anderem daran, dass die Zahl der Förderschulen in den vergangenen Jahren deutlich reduziert wurde und damit deren Kapazitäten geschrumpft seien. Kinder, die eigentlich einen hohen Förderbedarf haben, müssen deshalb immer häufiger normale Schulen besuchen.

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Generell sei aber zu beobachten, dass psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zunehmen, so Hohl. Aber auch den Eltern attestiert der Jugendamtsleiter eine „veränderte Erziehungsfähigkeit“ ihrer Kinder. Als letzter Ausweg, damit die jungen Menschen nicht auf die schiefe Bahn geraten, bleibe oft nur die Schulbegleitung – „ein richtiges und wichtiges Instrument“, wie Hohl betonte. Aber eben auch eines, das die Jugendämter langsam aber sicher an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit treibt. Nicht zuletzt deshalb arbeitet der bayerischen Landkreis- und Städtetag derzeit an einem Positionspapier an die Staatsregierung, um Verbesserungen in diesem Bereich zu erwirken.

Welche das sein könnten, darüber gab es auch im Ebersberger Ausschuss eine rege Debatte. Klar sei, dass seit der Corona-Pandemie die Nachfrage an Schulbegleitung massiv angestiegen sei, sagte die Geschäftsführerin des Awo-Kreisverbandes, Ulrike Bittner. „Man vergisst manchmal, dass die Zeit da war, aber die Auswirkungen spüren wir jetzt erst so richtig.“ Bittner zufolge ist die Alltagsbegleitung von jungen Menschen nicht mehr nur in den Schulen ein Thema, selbst in den Kitas würden manche Kinder ohne dauerhaften Beistand nicht mehr zurechtkommen. Weil es angesichts der erhöhten Nachfrage aber auch immer mehr Betreuer braucht, plädierte die Awo-Kreischefin dafür, eine „gute Seele“ pauschal in jeder Klasse zu etablieren. Für einen entsprechenden Modellversuch im Landkreis wäre sie jedenfalls offen.

Unterstützung bekam Bittner mit ihrer Idee von Schwester Christophora Eckl, Leiterin der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung auf Schloss Zinneberg. Sie kritisierte, dass Bund und Freistaat sehr viele Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe den Kommunen überlassen würden. Derweil erinnerte sich Grünen-Kreisrat Franz Greithanner an seine eigene Schulzeit: „Wie wir alle wissen, waren die auffälligsten Schüler nicht immer die besten Schüler.“ Man dürfe bei der ganzen Debatte um die Kosten deshalb das Wesentliche nicht aus dem Blick verlieren: das Wohl der förderbedürftigen Schülerinnen und Schüler.

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