Süddeutsche Zeitung

Schüler im Landkreis:Wischkompetent

Wie viel Smartphone braucht das Kind - und wo beginnt Medienkompetenz? Das Landratsamt informiert Eltern und Lehrer.

Von Carolin Fries, Ebersberg

Es hatte schon fast die Hälfte der mehr als 200 Zuhörer den Saal verlassen, da sagte Uwe Buermann, Lehrer und pädagogisch therapeutischer Medienberater, er hoffe, dass Handys und Smartphones für Kinder unter 16 Jahren in absehbarer Zeit verboten werden. In den vorausgegangenen zweieinhalb Stunden hatte das Landratsamt auf Initiative der Vereine" Mobilfunk mit Grenzen" und "Diagnose Funk" mit dem Untertitel "Faszination mit Nebenwirkungen" Eltern, Lehrer und vereinzelt auch Kinder und Jugendliche über Digitale Medien informiert. Buermann skizziert dabei trefflich den klassischen Umgang Jugendlicher mit den Geräten, wie ihn die Anwesenden nickend und lachend immer wieder bestätigten. Sein Fazit: Mit Medienkompetenz hat das nichts zu tun.

Dass die Technik da ist, genutzt wird und durchaus ihre Berechtigung hat, erkennt auch Buermann an. "Es geht gar nicht um gut oder schlecht." Doch zeigte sich an diesem Abend im Hermann-Beham-Saal des Landratsamtes, dass sich sowohl Eltern als auch Lehrer mitunter überfordert fühlen und sich fragen: Wie viel Handy braucht das Kind? Spätestens in der fünften Klasse verlangen die Neun- bis Elfjährigen nach einem Smartphone - "und ein Elternhaus nach dem anderen kippt um", wie Buermann sagte. Rüdiger Modell, Leiter des Humboldt-Gymnasiums in Vaterstetten, bestätigte: Von den 1600 Schülern hätten fast 100 Prozent ein Smartphone. Dass Sim-Karten erst von mindestens 16-Jährigen erworben werden können, die meisten Kinder also juristisch betrachtet die Geräte ihrer Eltern nutzen und in deren Namen posten, shoppen und womöglich allerhand Unfug treiben, sei vielen Eltern erst einmal egal. "Denn Eltern denken, Jugendliche nutzen die Geräte wie wir - und versündigen sich mit diesem Transferdenken an den Kindern."

Buermann berichtete von Jugendlichen, die ihre Smartphones über mehrere Jahre keine Minute ausschalten, immer online sind, immer erreichbar. "Unterschätzen Sie das nicht", warnte Buermann. Kinder und Jugendliche erwarten von ihresgleichen, dass sie binnen weniger Minuten eine Antwort auf ihre Nachrichten bekommen. Das führe über kurz oder lang zu sogenanntem Phantomvibrieren, wie Schlaflabor-Studien gezeigt hätten: Kinder und Jugendliche wachen nachts zweimal leicht auf, um ihr Gerät zu checken. Darunter leiden die vor allem die für Heranwachsende wichtigen Tiefschlafphasen.

Hinzu kommt die Strahlenbelastung, wie der Physiker und Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg, Klaus Scheler, in seinem Vortrag beleuchtete. Er stellte wissenschaftlich anerkannte Studien vor, wonach die Mobilfunktechnik zu erhöhten Gesundheitsrisiken führt. So würden immer mehr Kinder unter Kopfschmerzen leiden, die Fälle von ADHS hätten in den vergangenen fünf Jahren um 42 Prozent zugenommen und auch die Krebserkrankungen bei Kindern nehmen zu. "Mobilfunk muss nicht Auslöser sein, aber er wirkt hier förderlich", sagte Scheler. Vor allem nachts sollte sich der Körper strahlenfrei regenerieren können, mahnte Scheler. Er warnte vor Langzeitschäden einer ständigen Strahlenbelastung, die Symptome müssten nicht sofort auftreten.

Eltern sollten also abends die Geräte ihrer Kinder einsammeln. So handhabt das auch Rüdiger Modell mit seinen drei Söhnen . Der Schulleiter stellte das Medienkonzept des Humboldt-Gymnasiums vor, das Bücher und Zeitungen ebenso umfasse, wie das Schreiben einer E-Mail oder die Präsentation einer Projektarbeit mit dem Beamer. Entscheidend im Umgang mit den digitalen Medien sei im Unterricht, diese nicht einzusetzen, weil sie da sind, sondern wenn es sinnvoll ist. Modell zeigte einen Lehrfilm zum Satz des Pythagoras und das Modell einer geometrischen Form im Raum. Er kann sich einen Unterricht ohne solche Mittel gar nicht mehr vorstellen. Die Unterrichtsqualität habe zugenommen, die Jugendlichen seien motiviert, sagte er. Selbstverständlich würden die Gefahren und Risiken besprochen - und das nicht nur an der Vaterstettener Schule: Datenschutz und Urheberrecht stehen im Lehrplan.

Medienbildung, da war man sich einig, gehört an die Schulen. Medienkompetenz wiederum ist vorrangig Aufgabe des Elternhauses. "Einfach Geräte auszuhändigen, geht nicht", sagte Buermann. Er spaltete den großen Begriff Medienkompetenz zur besseren Verständlichkeit deshalb in drei Fähigkeiten auf: Empathie, Sozialkompetenz und ein übergeordnetes Interesse. Fähigkeiten, die man nicht im Netz erwerben kann, wie er betonte. Dort würden Minderjährige vorrangig baggern, labern und mobben.

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SZ vom 29.04.2015
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