Schmerztherapie:Deutschlands erste legale Hanf-Plantage soll in Forstinning entstehen

Regierung organisiert Anbau und Handel von Cannabis für Patienten

Lizenz zum Anbauen: Der Landkreis könnte für die bundesweit mittlerweile 600 Patienten mit Cannabis-Genehmigung ein beliebtes Ziel werden.

(Foto: Abir Sultan/dpa)
  • Bundesweites Pilotprojekt: In Forstinning soll die erste legale Hanfplantage Deutschlands entstehen.
  • Auf etwa 600 Quadratmetern soll der Bedarf an Medizinalhanf für die etwa hundert registrierten bayerischen Schmerzpatienten gedeckt werden.
  • Ob die Staatsregierung die Sondergenehmigung dafür jedoch erteilt, ist fraglich.

Von Korbinian Eisenberger

Thorsten Hetfeld hatte es endlich geschafft. Nach vier Knochentransplantationen, nachdem sein linkes Wadenbein in den rechten Oberschenkel eingesetzt wurde und Hetfeld zehn Jahre im Rollstuhl verbracht hatte, war es im September soweit: Der 47-Jährige aus Forstinning stand aus seinem Rollstuhl auf, Hetfeld konnte wieder laufen und ging wieder zur Arbeit. Im Sommer hatte er eine Genehmigung für medizinisches Cannabis bekommen.

"Ich war zum ersten Mal in meinem Leben schmerzfrei", sagt Hetfeld, der seit seiner Geburt an einem genetischen Knochendefekt leidet. Doch die neu gewonnene Freiheit hatte ihren Preis: Die Kosten für das Medizinalhanf von der Apotheke überstiegen Hetfelds Budget - monatlich 4000 Euro, von denen seine Krankenkasse keinen Cent übernahm. So geht es ihm und etwa 600 anderen Patienten, die bundesweit Cannabis als Schmerzmittel verwenden dürfen.

Krankenkassen erkennen Cannabis nicht als Medizin an

Es ist ein Streitpunkt, seit Längerem: Krankenkassen lehnen Anträge von Schmerzpatienten ab, Cannabis als Medizin anzuerkennen und die Kosten dafür zu übernehmen. Wer eine Sondergenehmigung, also ein Rezept vom Arzt, dafür hat, Cannabis als Schmerzmittel einzunehmen, bekommt die Ware zwar in der Apotheke, muss dafür jedoch selbst bezahlen.

Gut 15 Euro ist der gängige Apotheken-Preis in Bayern für ein Gramm, fünf Gramm Tagesbedarf sind das Maximum dessen, was ein Patient dort bekommen darf, den Preis bestimmen die Apotheken selbst. Im Durchschnitt, so meldet der Cannabis-Verband Bayern (CVB), kommen bei Betroffenen jeden Monat zwei- bis dreitausend Euro zusammen.

Bundesweit einmaliges Pilotprojekt

Der CVB will die Situation der Schmerzpatienten jetzt verbessern - und zwar mit einem bundesweit einmaligen Pilotprojekt. In Forstinning, mitten in Oberbayern, soll die erste legale Hanfplantage Deutschlands entstehen. In einem demnächst leer stehenden Küchenstudio soll auf 600 Quadratmetern der Bedarf an Medizinalhanf für die etwa hundert registrierten bayerischen Schmerzpatienten mit einer Sondergenehmigung gedeckt werden.

"Kein Patient ist dann mehr gezwungen, Hanf selber anzubauen oder es sich aus dubiosen Schwarzmarkt-Quellen zu besorgen", sagt Wenzel Cerveny, Initiator des Vorhabens und Vorsitzender des bayerischen Dachverbands, der sich für Cannabis-Patienten stark macht. Zunächst soll das 1,7-Millionen Euro teure Projekt mit Spendengeldern finanziert werden. Bevor es dazu kommt, muss der Freistaat das Vorhaben aber erst genehmigen. Genau daran könnte es scheitern.

Gesundheitsausschuss will über den Antrag beraten

Bernhard Seidenath, Sprecher der CSU-Landtagsfraktion für bioethische Fragestellungen, gibt sich zwar grundsätzlich aufgeschlossen. "Ich begrüße die Überlegung, Schmerzpatienten mit einer Sondergenehmigung finanziell zu entlasten", sagt Seidenath. Von dem Projekt in Forstinning will er bisher jedoch nichts erfahren haben, stattdessen habe er mit Cerveny über einen Bunker in Memmingen gesprochen, der sich womöglich als reine Anbauanlage eignen könne.

Von dem Eilantrag für Forstinning wisse er nichts, sagt Seidenath. Tatsächlich hatte der Landtag den Eingang des Antrags am 21. März jedoch bestätigt, mit dem Hinweis, dass der Gesundheitsausschuss darüber beraten werde. In besagtem Ausschuss sitzt auch Seidenath, dort findet letztlich die richtungsweisende Entscheidung statt, ob dem Antrag später im Landtagsplenum stattgegeben wird.

Thorsten Hetfeld

Schmerzpatient Thorsten Hetfeld mit seiner Ehefrau.

(Foto: privat)

Es geht diesmal nicht um die Debatte, Marihuana für den allgemeinen Genuss freizugeben, also nicht um den Zugang für Gelegenheitskiffer, sondern um Menschen wie Franz Wolf. Dem 49-jährigen Münchner wurden nach einem Halswirbelbruch bei einem Autounfall vor 32 Jahren vom Hals ab starke Schmerzen bei Bewegungen diagnostiziert. Nur Cannabis habe geholfen, sagt Wolf.

Gesetzesänderung nicht gewünscht

20 Jahre habe er sich Stoff auf dem Schwarzmarkt besorgt. "Da wusste man nie, was man kriegt", sagt er. "Manchmal war es gepanscht, da liegt man dann drei Stunden in der Ecke und hat Atembeschwerden". Seit zwei Jahren habe er jetzt ein Rezept und gehe zur Apotheke. Wie Hetfeld hat auch er das Problem, die monatlichen Kosten mit seiner Frührente zu decken. Um Krankenkassen an den Kosten zu beteiligen, wäre eine Gesetzesänderung von Nöten - ein Schritt, den das Gesundheitsministerium von Hermann Gröhe (CDU) bisher strikt ablehnt.

Auf die geplante Hanfplantage des CVB in seinem Heimatort will sich Hetfeld, der Ingenieur, nicht verlassen. Der Forstinninger hat deshalb Ämter abgeklappert, Politikern geschrieben und sich an Organisationen gewandt. Der Sozialverband VdK übernahm schließlich die Kosten einer Klage von Hetfeld gegen seine Krankenkasse, bisher ohne Erfolg.

250 000 Euro pro Jahr für Medikamente, die nicht helfen

Bevor er Cannabis entdeckt habe, hätte ihm die Kasse jährlich um die 250 000 Euro für Medikamente bezahlt, sagt Hetfeld. "Ich habe bis zu 80 Morphin-Tabletten am Tag geschluckt", sagt er. Geholfen habe dies jedoch kaum. "Jetzt geht es jährlich um 50 000 Euro für Cannabis, und die Kasse blockt", sagt er. Warum das so ist, könne er nicht verstehen.

In der Pressestelle der Krankenkasse ist auf diese Frage keine Stellungnahme zu erhalten. Hetfeld hat seine Arbeit mittlerweile wieder aufgegeben. "Ich bin pleite", sagt er. "Die Kosten, damit ich laufen und arbeiten kann, sind zu hoch." Von April an, so Hetfeld, werde er sich wieder in seinen Rollstuhl setzen.

Sechs Kilo Gras im Monat

Geht es nach dem Cannabis-Verband Bayern (CVB), soll im Gewerbegebiet Forstinning eine 600 Quadratmeter große Hanfplantage mit einem angeschlossenen Therapie-Zentrum entstehen. Demnach steht der Verband mit dem Eigentümer eines Küchenstudios in Kontakt, das demnächst leerstehen soll. Dieser, so ein Verbandssprecher, sei bereit, Gebäude und Grundstück an den CVB abzutreten.

Geplant ist, die Hanfpflanzen in einem abgesicherten Teil des Obergeschosses anzubauen. Die übrigen Räume des insgesamt 2000 Quadratmeter umfassenden Komplexes sollen für Forschungsarbeiten und Seminare genutzt werden. In Zusammenarbeit mit einem Ärzteteam sollen dann "einwandfreie medizinische Cannabis-Blüten angebaut, getrocknet, getestet und verarbeitet werden". Eine Ärztin aus Weilheim habe sich bereits bereit erklärt, ihre Praxis nach Forstinning zu verlegen und sich ausschließlich mit Cannabis-Schmerztherapie zu befassen. Monatlich will der Verband zunächst sechs Kilogramm Medizinalhanf produzieren. Für jeden der bayernweit etwa hundert registrierten Schmerzpatienten mit Cannabis-Genehmigung stünden demnach monatlich 60 Gramm zur Verfügung - die erlaubte Höchstmenge.

Sollte der bayerische Landtag das Vorhaben genehmigen, hätte der CVB einen Forschungsauftrag. Dann, so der CVB, wolle man deutlich mehr Patienten versorgen, auch über die Freistaat-Grenzen hinaus. In Deutschland sind derzeit etwa 600 Schmerzpatienten registriert, die legal in Apotheken Hanf als Medizin kaufen dürfen. Kritiker monieren, dass durch eine Lockerung der Gesetze die Gefahr des Missbrauchs von Cannabis steigt. koei

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