Schimmelige Toiletten, bauliche Mängel:Heim für psychisch Kranke muss schließen

Grafinger Einrichtung verstößt gegen Auflagen - 30 Bewohner verlieren daher ihr Zuhause.

Karin Kampwerth

Grafing Durch die offene Verandatür strömt noch der Duft des Mittagessens. Es hat wohl Kartoffeln mit Braten gegeben. Draußen sitzen ein paar Männer auf Plastikstühlen. Sie rauchen, trinken ein Bier oder dösen einfach in der Sonne. Es ist der letzte Sommer, den sie im Haus Seilstorfer in Grafing verleben werden. Die sozialtherapeutische Einrichtung, die seit 1962 in dem früheren Gasthaus am Bahnhofsplatz 2 untergebracht ist, muss spätestens am 30. November schließen, weil das Landratsamt nicht länger über bauliche und hygienische Mängel hinwegsehen will.

Demnach seien Sanitäranlagen teilweise defekt und renovierungsbedürftig, erklärt Landratsamtssprecherin Evelyn Schwaiger. Es bilde sich Schimmel, es gebe keine Desinfektionsmöglichkeiten und keinen Warmwasseranschluss. Darüber hinaus würden Anforderungen beim Umgang mit Medikamenten nicht erfüllt. Allesamt Vorschriften nach den Bestimmungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes, die das Haus Seilstorfer schon seit Jahren nicht mehr einhält, wie Evelyn Schwaiger ausführt. Für die 30 Bewohner, die hier untergebracht sind, weil ihnen aufgrund von psychischen Beeinträchtigungen, Suchterkrankungen oder sonst irgendwie das Leben entglitten ist, scheint eine sterile Umgebung indes wenig wichtig zu sein.

Das alles will man uns nehmen", klagt ein Mann und schwenkt mit dem Arm über den kleinen Garten mit Steinbrunnen und lauschiger Sitzecke. "Wir sind doch hier zu Hause und der Ernst ist für viele wie ein Vater." Ernst heißt mit Nachnamen Seilstorfer und sitzt an diesem Montag wie so oft mit auf der Veranda. Das Haus hat er 1962 mit seiner Mutter Maria und den Brüdern Gustav und Johann gegründet. Damals, so erinnert sich Seilstorfer, sei man eine der ersten Einrichtungen gewesen, die Menschen aufgenommen habe, nachdem sie aus Bezirkskrankenhäusern wie in Haar entlassen worden waren. Inzwischen führt der 70-Jährige die Einrichtung mit seinem Sohn Marcus Ernst. Seilstorfers Tochter ist für die Hauswirtschaft zuständig.

Ein Familienbetrieb, in dem die Bewohner dazugehören. "Viele von ihnen lebten hier schon, da war ich noch gar nicht auf der Welt", erzählt der 33jährige Juniorchef. Seine Urkunde als geprüfter Fachwirt im Sozial- und Gesundheitswesen hängt über dem Schreibtisch im Büro. Schon von Berufs wegen weiß er, dass das Haus in die Jahre gekommen ist. "Sie haben ja auch Recht", sagt der Junior über die Mängelliste der Heimaufsicht. Aber alleine die Sanierung der Bäder, für die er Angebote eingeholt habe, koste 70 000 Euro. Sein Vater schätzt den tatsächlichen Investitionsbedarf auf mehrere hunderttausend Euro.

Gemacht werden müsste sicherlich vieles, wie beim Rundgang durch das Haus auffällt. Der Steinfußboden ist noch aus der alten Gaststättenzeit, die Fliesen teilweise abgesprungen. Im Speisezimmer, dem früheren Schankraum, ist die Zeit stehengeblieben. Die dunklen Holztische und Stühle stehen noch so, wie wohl einst, als sich die Grafinger hier nach der Kirche zum Sonntagsbraten trafen. Dicke Plastikblumensträuße und wagenradgroße Kronleuchter verleihen dem Zimmer einen seltsamen Charme. Dem orangefarbenen Treppenhaus täte ein Anstrich sicher gut und am schmiedeeisernen Geländer lassen sich ohne Mühe Spinnenweben ausmachen. Mit dem Herrichten sei es schwierig, meint Ernst Seilstorfer. "Unsere Klienten kennen kein Mein und Dein und machen viel kaputt", erzählt der 70-Jährige. Aber dafür habe er Verständnis, sie seien eben krank.

Marcus Seilstorfer hat hingegen gerechnet und findet, das in Einrichtungen mit psychisch Kranken der Investitionskostenzuschuss des Bezirks von täglich 13,10 Euro nicht ausreiche. In finanzielle Schieflage ist das Haus aber offenbar schon vor Jahren gekommen. Nach einer Gesetzesänderung des Bezirks habe die Familie den Betrieb mit 900 000 Euro zwischenfinanzieren müssen, bevor die neue Auflagen erfüllt werden konnten. "Daran zahlen wir noch heute", sagt Seilstorfer Junior.

Das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass nach Beratungsgesprächen und Anordnungen bis hin zu Zwangsgeldern immer nur Kleinigkeiten verändert worden sind, wie es aus dem Landratsamt heißt. Dennoch habe die Heimaufsicht über mehrere Jahre versucht, die Einrichtung zu erhalten, sagt Evelyn Schwaiger. Nachdem nun alle Mittel ausgeschöpft seien und nicht absehbar sei, dass die Missstände abgestellt würden, habe man handeln müssen.

Seilstorfer Senior betrachtet das Aus seines Lebenswerkes nüchtern: "Ich bin alt, ich kann sowieso nicht mehr", sagt er. Der Sohn wie auch die gut 20 Beschäftigten werden beim derzeitigen Pflegenotstand sicher unterkommen. Nur um die Bewohner sorgt sich der Einrichtungsgründer. "Die Maria weint seit Tagen auf ihrem Zimmer, weil sie nicht weiß, wo sie hin soll", sagt er. Das Landratsamt will bei der Unterbringung in anderen Einrichtungen helfen.

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