Kabarett im Livestream:Die Welt in Ebersberg

Sarah Hakenbergs Programm "Dann kam lange nichts" aus dem Alten Kino entzückt neben Überraschungsgast Martina Schwarzmann ein internationales Publikum.

Von Michaela Pelz

Kabarett im Livestream: Kabarett statt Poetry: Dass Sarah Hakenberg (Foto) aus Zorneding auf der Bühne Karriere gemacht hat, verdankt sie unter anderem dem Zuspruch von Kollegin Martina Schwarzmann.

Kabarett statt Poetry: Dass Sarah Hakenberg (Foto) aus Zorneding auf der Bühne Karriere gemacht hat, verdankt sie unter anderem dem Zuspruch von Kollegin Martina Schwarzmann.

(Foto: Christian Endt)

Das Schöne am Livestream ist ja, dass er kulturelle Teilhabe erlaubt, selbst wenn man, ob mit Hexenschuss oder ohne Babysitter, ans Haus gefesselt ist. Auch die Ortsunabhängigkeit ist von Vorteil - was schnell deutlich wird, als Sarah Hakenberg darum bittet, in den Chat zu schreiben, von wo man sich zugeschaltet hat. Denn da steht neben Zorneding und München auch Goslar, Berlin, Leipzig, Wien, Appenzell und sogar London.

Dass die Musikkabarettistin, aufgewachsen im Landkreis Ebersberg, eine so internationale Fanbase hat, wundert nicht, ist die 42-Jährige doch schon ganz schön herumgekommen. Bevor sie davon erzählt, bietet ein liebevoll gestalteter Blick ins private Fotoalbum eine Zusammenfassung von Hakenbergs Bühnenanfängen, dann ein sympathisches Video einen Eindruck von Ostwestfalen, der neuen Heimat, die die Musikkabarettistin zu ihrem Programm "Dann kam lange nichts" inspiriert hat - und wo sie der Liebe wegen gelandet ist. Die, also Ehemann Kai, meldet sich mit der Ankündigung, die Kinder würden nun zu Bett gehen, im Chat ebenso zu Wort wie die kleine Nichte, die nicht genug von "Tante Sarah" bekommen kann. Fast folgerichtig, dass sich solch familiäre Atmosphäre auch vor Ort im Alten Kino manifestiert. Denn dort ist eine gute Freundin der Künstlerin als "Gästin" angetreten, um das abwesende Saalpublikum zu vertreten. Was dieser Frau bravourös gelingt, handelt es sich doch um niemand Geringeren als Kabarettistin Martina Schwarzmann. Die wiederum mitverantwortlich ist für Hakenbergs Karriere, sagte sie doch vor Jahren zu der damaligen Poetry Slammerin: "Das ist gut, was du machst; nenn' es Kabarett, dann kannst du damit Geld verdienen!"

Kabarett im Livestream: Markus Bachmeier und Violetta Ditterich vom Team bieten mit Extras wie Porträt und Interview einen echten Mehrwert.

Markus Bachmeier und Violetta Ditterich vom Team bieten mit Extras wie Porträt und Interview einen echten Mehrwert.

(Foto: Christian Endt)

Auch nun, etliche Jahre und Auszeichnungen später, glaubt Schwarzmann fest an die Kollegin, obwohl diese zu Protokoll gibt, sich nun, nach der auftrittslosen Durststrecke, vor Hängern zu fürchten. Für den Fall der Fälle bietet Schwarzmann da an: "I ko ja danzn, bis dir der Text wieder einfallt." Spoiler: Das wird nicht nötig sein, findet doch die 1,62 große Powerfrau stets charmant selbst aus der Situation heraus, wenn sie sich wirklich einmal verspielt oder versingt. Ohnehin ein Wunder, dass dies so selten passiert, angesichts von "untereinander frei kombinierbaren Lüster-, Dreistock- und Hybridklemmen mit Steck- oder Bolzenanschluss ...", für die Hakenbergs Wahlheimat neben Billigfleisch und Möbeln bekannt ist.

Es sind einerseits solche absonderlichen Details, die für eine sofortige Verbindung zum Publikum sorgen. Andererseits erobert die zweifache Mutter alle Herzen, wenn sie Bilderbuch gewordene Rollenklischees anprangert (alle Kinder wohnen natürlich und nur bei Mama - selbst im Tierreich!), oder ihrem schwarzen Humor beim Song über eine fiktive Ostereiersuche im berüchtigten Berliner "Görli" freien Lauf lässt: Am Ende können die Dealer aus dem Park keinen veganen Kuchen mehr sehen, die hippen Eltern sind nicht mehr ganz so entspannt und tolerant - aber zumindest Opa hatte eine echt gute Zeit.

Für eine solche sorgen bei allen Freunden gepflegter Morbidität auch die zahlreichen Toten, die es bei den "Zehn kleinen Dorfbewohnern" ("Willst du's mal so richtig rough, komm ins Kaff!") ebenso zu beklagen gibt, wie nach einer Publikumsabstimmung (Ausgang: 100 Prozent zu Null) im Kreuzfahrt-Lied oder im bitterbösen "Trau dich!", wo Cum-Ex-Investmentbanker Robert aufgefordert wird, auf einer Brücke den entscheidenden "Schritt nach vorn zu gehen", um mit solch kühner Tat erstmals auch andere zu erfreuen.

Kabarett im Livestream: Beim Livestream im Alten Kino Ebersberg kompensiert Martina Schwarzmann das fehlende Saalpublikum.

Beim Livestream im Alten Kino Ebersberg kompensiert Martina Schwarzmann das fehlende Saalpublikum.

(Foto: Christian Endt)

Nein, sie nimmt kein Blatt vor den Mund, die zierliche Frau mit dem ansteckenden Lächeln, der man stundenlang zuhören könnte, wenn sie an Ukulele oder Klavier messerscharfe Pointen zum Besten gibt. Auch im Gespräch mit Martina Schwarzmann geht es neben lustigen Berichten vom Tourismus in Altomünster um durchaus kontroverse Themen wie die katholische Kirche oder Hakenbergs Politik-Kritik am Heimatort - die sie offenbar auch zu ihrem neuesten Werk inspiriert hat: "Drückt einmal der Schuh, dann hilft die CDU." Alles wird gut, wenn die Wirtschaft wächst - Schubidubidu.

Am Ende hat man sich keine Sekunde gelangweilt und stellt fest: Alle mit der Livestream-Technik verbundenen Chancen zu nutzen, bietet durchaus Gewinn und Mehrwert. Zumal Bühnenchef Markus Bachmeier schätzt, dass mit vermutlich 300 Personen rund 100 Leute mehr dabei waren, als ins Alte Kino gepasst hätten (was er aus Ticketanzahl plus der Annahme von meist mindestens zwei Leuten vor dem Endgerät ableitet). Gleichwohl ist den vielen wehmütigen Erinnerungen im Chat zu entnehmen, wie sehr alle das gewisse Etwas vermissen, das einen solchen Abend für alle Beteiligten magisch und unvergesslich macht, nämlich die unmittelbare Interaktion zwischen Publikum und Künstlerin.

Dass auch ohne diese im Stream eine große Nähe entsteht, ist das wirklich Erstaunliche an diesem Abend und großer Verdienst nicht nur des engagierten Teams vom Alten Kino, sondern auch von Martina Schwarzmann und vor allem den unermüdlich kommentierenden Fans.

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