Süddeutsche Zeitung

S-Bahn-Chaos:Geduldsprobe

Hunderte Pendler stranden am Donnerstagabend in Zorneding

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Ist das da hinten wirklich ein Taxi? Oder gar zwei? Wie gedopt stürmt die gestrandete und durchfröstelte Meute die Straße hinunter - die ersten werden die ersten sein. Den im Nahkampf weniger erprobten Pendlern bleibt nur, sehnsuchtsvoll hinüber zum Bahnsteig zu schauen. Dorthin, wo die S-Bahn aber nur noch gen Osten und wieder zurück nach Zorneding fährt - wegen eines Notarzteinsatzes in Haar ist hier am Donnerstagabend zwischenzeitlich Endstation.

Der Donnerstag ist ein zäher Tag für die Bahnfahrer, so mancher dürfte vier Stunden auf seinem Pendler-Konto gesammelt haben. Denn auch in der Früh geht zwischenzeitlich nichts: Weil ein wohl betrunkener 50-Jähriger am Hauptbahnhof aufs Gleis gestürzt war und sich leicht verletzt hatte, blieb die Stammstrecke zwischen Hackerbrücke und Isartor für eine Stunde gesperrt; in den folgenden Stunden gab es massive Verspätungen.

Zurück in Zorneding. Im Minutentakt trudeln jetzt die per Handy einbestellten Mamas und Papas, Partner und Großeltern ein, um ihre Liebsten abzuholen. Auch eine Lehrerin fordert ihre Schulklasse auf, das Eltern-Taxi anzufunken - ein effektiver Schienenersatzverkehr ist nicht in Sicht. Warum schickt die Bahn in einer solchen Situation keinen Bus, der die etwa 200 gestrandeten zur nächsten U-Bahn nach Trudering bringt? "Weil Taxis schneller gehen", erklärt ein Sprecher der S-Bahn am Freitag. Die S-Bahn habe für solche Situationen zwar Rahmenverträge mit zwei Busunternehmen. Allerdings hätten diese gerade zur Hauptverkehrszeit oft keine freien Kapazitäten; zudem werde ein Busnotverkehr erst dann angefordert, wenn es länger dauert.

Gäbe es am Zornedinger Bahnhof den lang ersehnten Dönermann, der Verkäufer würde sich jetzt die Hände reiben: Die S-Bahn spült von Osten kommend immer mehr Menschen in Zorneding an. Gleichzeitig stockt auch westlich von Haar der Verkehr; Tausende Fahrgäste sind betroffen. Die im pittoresken Zorneding gestrandeten Touristen üben sich mit Handy hinterm Ohr in der Aussprache des Ortsnamens: zwischen "Tsoorrrrr-neding" und "Zorndäng" ist alles zu hören.

Bis auf einer S-Bahn um 19.30 Uhr plötzlich die Lettern "Tutzing" aufleuchten, und die Menge wieder von der Straße in die Unterführung stürmt. Doch da fährt die quasi leere S-Bahn schon wieder ab. Würde diese in einer solchen Situation auf ihre Fahrgäste warten, "dann würde es noch länger dauern, bis sich das System wieder einruckelt", erklärt der Sprecher. Nachfolgende Züge müssten ja auch wieder durchkommen: "Die S-Bahn ist ja kein Bus."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4450951
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.05.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.