Schule:Wenn Drittklässler in den Sommerferien Nachhilfe nehmen müssen

Nachhilfe

Nachhilfeunterricht mit einem Grundschüler (Symbolfoto).

(Foto: dpa)

Immer mehr Eltern aus dem Kreis Ebersberg lassen ihre Kinder im Urlaub büffeln. Statt dem erhofften Lerneffekt ist oft das Gegenteil der Fall.

Von Moritz Kasper, Ebersberg

Sommerferien. Damit verbinden viele den Badesee, Urlaub, Faulenzen, den eigenen Hobbys nachgehen, vielleicht sich für einen guten Zweck zu engagieren - während die Schule in angenehm weite Ferne rückt. Doch für eine wachsende Zahl von Schülern im Landkreis Ebersberg sieht die Situation anders aus. Sie nehmen in diesem heißen Sommer Nachhilfe, um Lücken aufzufüllen. Um Unterstützung für die Prüfungsvorbereitung zu erhalten, den Übertritt ins Gymnasium zu schaffen oder - und das ist eher neu - einfach so: Weil sie ja sonst mal hinten dran sein könnten, oder der Einserschnitt in Gefahr gerät.

Cornelia Schmieg ist Mathe- und Physiklehrerin. In ihrem Nachhilfezimmer in Grafing stapeln sich auf dem Tisch Taschenrechner, mindestens zehn Stück dürften es sein. Je nachdem für welche Schule man lernt kann ein bestimmtes Modell vorteilhaft sein, das woanders wiederum nicht zugelassen ist. "Dieses Jahr machen bei mir besonders viele Schüler Nachprüfungen", sagt sie. Für viele, die schon beim Übertritt zum Gymnasium Probleme hatten, werde es ab der siebten und achten Klasse kritisch. Mit Mühe und Not boxen sie sich dann durch die Nachprüfungen, aber bei manchen seien die Lücken einfach zu groß.

So verschieden die Meinungen von Nachhilfelehrern auch sein mögen, sie alle bemängeln den Run aufs Gymnasium. In einkommensstarken Orten wie etwa in Baldham sei der Leistungsdruck besonders hoch, sagt Ansgar Machinek vom Nachhilfeinstitut "Schulfit Vaterstetten". In diesem Sommer hat er alle Hände voll zu tun - um mehr als 50 Prozent ist die Anzahl der Schüler, die er über die Ferien betreut, seit dem vergangenen Jahr gestiegen. Einen noch relativ kleinen, aber wachsenden Anteil der Ferienbüffler stellen Grundschüler, die sich auf die vierte Klasse oder den Übertritt vorbereiten. Auf etwa 15 Prozent schätzt Anja Lerner, Inhaberin von mehreren Schülerhilfen im Landkreis und Raum München, diese Gruppe ein.

"Mach nichts mehr und nimm ne Wellnessdusche."

Die genauen Gründe für Nachhilfe in den Ferien sind vielfältig, wie die Experten erläutern. Nachhilfelehrerin Schmieg nennt hier zum Beispiel den Wechsel von einem Sportgymnasium an eine herkömmliche Schule. Oft bleibe den Schülern hier gar keine andere Wahl, als den fehlenden Stoff über den Sommer nachzuholen. Kritik übt die promovierte Pädagogin an der Zeiteinteilung, die manche Eltern ihren Sprösslingen aufzwingen.

"Mach nichts mehr und nimm ne Wellnessdusche", rät sie da schon mal, wenn die Kinder nach dem Termin bei ihr noch stundenlang nacharbeiten sollen. Auch vom längerem Pauken im Ferienhotel, während der Rest der Familie am Strand ist, hält sie nicht besonders viel. "Vielleicht mal eineinhalb Stunden am Morgen, aber das reicht dann auch."

Oft kämen Kinder und Jugendliche am Anfang der Ferien völlig überfordert mit einem Berg an Aufgaben zu ihr. Dann gibt sie ihr Bestes, den Stoff und die Lerntage so zu strukturieren, dass die Kinder möglichst viel Freizeit zurückgewinnen, wie sie erzählt. Zweimal pro Woche treffen sie sich dann meistens, manchmal gibt es auch längere Pausen. Mindestens eine komplett lernfreie Woche empfiehlt sie ihren Schülern.

Nachhilfe kann auch kontraproduktiv sein

Auch Hans-Jonas Röthlein, Vorsitzender des Landesverbands bayerischer Schulpsychologinnen und Schulpsychologen (LBSP) rät davon ab, "Schüler durchgehend in den Sommerferien in Nachhilfeinstitute zu stecken". Das Gehirn brauche die Erholungszeit, "um Lerninhalte konsolidieren zu können". Gerade bei fehlender Motivation könnten "misserfolgsorientierte Schüler unter enormen Leistungsdruck geraten, der im schlimmsten Fall zu Prüfungs- und Versagensangst führen kann", sagt er.

Anja Lerner von der Schülerhilfe sieht auch die Erziehung der Eltern als Grund für den erhöhten Nachhilfebedarf vieler Schüler. "Die Eltern könnten nicht so eine hohe Leistung von ihren Kindern erwarten, ohne ihnen auch die entsprechende Selbstdisziplin beizubringen", sagt sie. Die Hoffnung, dass Kinder wirklich motiviert in die Sommernachhilfe kommen, hat Lerner schon lange aufgegeben. Für sie ist es eine Frage der Selbstbeherrschung. Diese Ansicht teilt Schmieg nicht. Bei vielen sei die Sommernachhilfe die letzte Chance, sagt sie - also "Ernst hoch drei", wie es Schmieg nennt. Allein das könne schon die nötige Motivation auslösen.

Den häufigen Kritikpunkt, Nachhilfe gefährde die Chancengleichheit, kann Schmieg nur begrenzt nachvollziehen. "Wenn jemand in drei oder vier Fächern hinten dran ist, hilft auch Nachhilfe nicht mehr", sagt sie. Benachteiligt könnten aber Kinder mit Teilleistungsschwäche sein, die gezielte Förderung in einem bestimmten Bereich benötigen. Hierfür kann man zwar im Jobcenter Unterstützung vom Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) beantragen. Dies habe man aber seit der Einführung vor knapp acht Jahren erst einmal bei ihr versucht.

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