Süddeutsche Zeitung

Rote Montagsreihe:Städtebauliche Tabus brechen

SPD-Stadtratskandidat Ernst Böhm spricht über die hohen Grafinger Baulandpreisen. Sollen sie sinken, ist ein radikales Umdenken erforderlich, findet der Bauunternehmer - und stellt den Volksfestplatz zur Debatte.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Die Rechnung ist einfach: Ist Wohnraum knapp, wird er teuer. Und Ernst Böhm, Bauunternehmer, SPD-Stadtratskandidat und knapp unterlegener Landratskandidat, hat zum Auftakt der "Roten Montagsreihe" keine gute Nachricht mitgebracht. "150 000 Zuzüge gibt es pro Jahr im Großraum München", sagte er am Montagabend im Kastenwirt. "Das wird alles noch einmal verschärfen." Die zweite Nachricht konnte den etwa 60 Besuchern dagegen Hoffnung machen: Die Rechnung, steigende Wohnpreise zu bremsen, sei ebenfalls einfach - wenn Städte bereit seien, städtebauliche Tabus zu brechen. "Wer sagt denn zum Beispiel, dass ein Volksfestplatz unbedingt mitten in der Stadt liegen muss?"

In Grafing gibt es gerade guten Grund für Diskussionen wie diese. Vor wenigen Wochen waren die Preise der Bauträgerhäuser in der "Wolfsschlucht" bekannt geworden. Etwa 700 000 Euro müssen Interessenten selbst für das günstigste der Häuser bezahlen. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge.

"Der erste politische Konsens daraus müsste sein, dass die Stadt Häuser nicht mehr von Bauträgern bauen lässt", sagte Böhm. "Der muss pro Quadratmeter zwischen 800 und 1000 Euro Marge draufschlagen, damit sich das für ihn lohnt." Bauträgerhäuser führten daher praktisch zwangsläufig zu Preisen, wie sie jetzt in der "Wolfsschlucht" zu bezahlen sind. Selber bauen, Baugemeinschaften gründen oder einer Baugenossenschaft beitreten seien die Alternativen.

Zweiter Konsens müsse sein, die Innenstadt ernsthaft und effektiv nachzuverdichten, sagte Böhm. "Wenn man innenstädtische Flächen wie den Volksfestplatz hat, dann gehören die einfach bebaut - und Punkt." Die Bank, der das Gelände gehöre, sei dazu bereit. Warum also nicht den Volksfestplatz in den Außenbereich verlegen und dort über einem Parkplatz zwei oder drei Stockwerke Wohnungen bauen? Auf der Leinwand hinter ihm zeigte er eine Skizze, wie das Konzept anderswo längst umgesetzt wird.

Dazu seien allerdings politische Entscheidungsträger nötig, die solche neuen Konzepte auch städtebaulich verteidigten, "denn es wird bei so etwas natürlich immer Leute geben, denen das nicht gefällt". Wo ein Wille sei, finde sich auch ein Weg. "Im Baurecht gibt's große Spielräume." Eine Alternative sieht der Bauunternehmer nicht: "Wenn Grafing weiter mit einem Prozent im Jahr wächst und das nicht zur Verdrängung oder steigenden Preisen führen soll, braucht es jedes Jahr ungefähr 60 neue Wohneinheiten. Die müssen ein Grundbedürfnis werden wie Brücken oder Bahngleise."

Natürlich hat Bauunternehmer Böhm als Stadtratskandidat bei so einem Termin eine Agenda dabei. "Wenn ich nicht unbedingt eine Spitzenlage mit Alpenblick will, dann bekomme ich hier Baugrund für 530 Euro pro Quadratmeter", liest Böhm den Bodenrichtwert für Grafing vor. "Bei 400 Quadratmetern macht das 200 000 Euro. Rechnet man bei 150 Quadratmetern Wohnfläche schlüsselfertige 2000 Euro pro Quadratmeter dazu, sind wir bei ungefähr 500 000 Euro. Und mein Anspruch wäre, das für Einheimische 20 Prozent günstiger hinzubekommen - und zwar sowohl beim Grundstückspreis als auch bei den Baukosten."

Das sei ja wohl kaum realistisch, kam ihm sofort ein Einwand entgegen. "Doch, das habe ich gerade bei 20 Häusern so gemacht." Wie das bitte gehen solle? "Beim Baugrund, indem man echtes Bauland für Einheimische ausweist. Und bei den Baukosten, indem man zum Beispiel Eigenleistung einbringt."

Das führe dann womöglich dazu, dass weniger Häuser als Geldanlage gebaut würden. Nach Böhms Ansicht ist das aber kein Problem. "Es ist doch sowieso viel besser, wenn jemand ein Haus baut, weil er darin gerne wohnen will." Das sei übrigens bis etwa ins Jahr 1980 ganz üblich gewesen. Dann änderte sich die Praxis - und trug womöglich auch ihren Teil zu den Preisen von heute bei.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2014
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